Feminismus und Netzkultur beim Gendercamp

Feminismus 2.0

Analoge und digitale Nerds trafen auf dem Gendercamp bei Hamburg aufeinander und diskutierten über das Geschlecht des Internet und über die Frage, wie queer­feministische Inhalte dort sichtbarer gemacht werden können.

»Bitte keine Torrents, Clips oder größeren Datenmengen runter- oder hochladen«, lautet eine der ersten Ansagen von Henning Wötzel-Herber, der das Gendercamp mitorganisiert hat. Nur DSL 1 000 ist hier verfügbar, und das befriedigt beileibe nicht die Bedürfnisse der Anwesenden, was Schnelligkeit betrifft. Vielfach geht das Netz gar nicht, auch der Handyempfang ist schlecht.
Ein klassisches Problem der Provinz. Ausgerechnet hier, in Hüll, im Umland von Hamburg, zwischen Kuhställen, Traktoren und Obstbaumplantagen, fand das erste Gendercamp statt. Unter dem Titel »Im in ur Internetz, Deconztructin ur Gender!« twitterten und diskutierten rund 50 Menschen vom 7. bis 9. Mai über queerfeministische Handlungsmöglichkeiten im Netz. Mit und ohne Facebook-Account.

Gender- und Netzpolitik wurden hier zum Thema gemacht, ausgehend von der Feststellung, dass sich im Netz, wie im real life, sexistische und patriarchale Strukturen reproduzieren und Männergruppen auch in der virtuellen Welt danach streben, Technik- und Netzpolitikthemen vermeintlich objektiv zu besetzen oder queerfeministische Perspektiven als »Partikularinteressen« abzutun.
Ein weiteres Motiv für die Thematisierung von Gender- und Netzpolitik leite sich aus Alltagsproblemen her, erzählt Kathrin Ganz, zum Beispiel, wenn es darum gehe, wie der I-Pod am neuen taschenlosen Kleid zu tragen sei. Ganz ist eine Organisatorin des Camps und Macherin des Blogs iheartdigitallife.de über Feminismus und digitales Leben.
Wie Netzkultur, queere Politik und Feminismus zusammengedacht werden sollen, wurde nicht im Voraus festgelegt, sondern in der Tradition der BarCamps thematisiert. Bei BarCamps handelt es sich um offene Tagungen, deren Inhalte und Ablauf user generated sind, also von den Teilnehmenden selbst bestimmt werden. Diese partizipative Organisationsform geht auf eine Reihe von Veranstaltungen zurück, die vom Software-Entwickler Tim O’Reilly initiiert wurden, der seit 2003 jährlich Freunde zum Austausch und Übernachten im Rahmen eines Hacker-Events lädt.
Austausch und Vernetzung stehen auch auf dem Gendercamp im Mittelpunkt, und die Fragestellungen bringen die Teilnehmenden selbst mit: Bewege ich mich lieber anonym oder öffentlich durch das Netz? Wie gehe ich mit Hass-Kommentaren und diffamierenden Forum-, Blog- oder Chatbeiträgen um?
Wirklich unergründlich sei, mit welchen Suchwörtern feministische und queere Websites oder Blogs angewählt würden, erzählt eine der Macherinnen des Podcast-Blogs »Heiter Scheitern« (scheitern.org). Wie auch die Blogs »Mädchenblog« (maedchenblog.blogsport.de) und »Mädchenmannschaft« (maedchenmannschaft.net) haben sie die Suchwörter ausgewertet, über die ihre Seiten gefunden werden. Neben eindeutig sexuell konnotierten Suchbegriffen führen auch Eingaben wie: »Wer saß bei Käßmann im Auto?« oder: »Deutschland stirbt aus!« zu diesen Seiten. Für die geübte Feministin ist es einfach, zielgerichtet in den überschaubaren digitalen queerfeministischen Kosmos einzutauchen. Thema­tische Blogs werden gemeinsam oder einzeln betrieben und haben unterschiedliche Formate und Zugangsmöglichkeiten. Beim »Mädchenblog« reicht eine Registrierung als Autorin, »Heiter Scheitern« ist ein Projekt von drei Personen, die ihre Küchentischgespräche publizieren, »Mädchenmannschaft« wiederum arbeitet mit einem festen Autorinnen-Team.

Auch der Umgang mit dem eigenen Namen wird unterschiedlich gehandhabt was die Frage nach dem strategischen Einsatz von Online-Identitäten aufwirft. Einerseits bietet das Netz die Möglichkeit, durch Nicknames Geschlechtsidentitäten zu umgehen beziehungsweise sie zu veruneindeutigen. Andererseits bleibt die Frage nach der Geschlechtszugehörigkeit auch im Netz, in Chats oder Foren relevant. Alles wie im realen Leben.
Deswegen verfolgen viele Bloggerinnen eine Strategie der Sichtbarkeit. Mit vollem Namen und Foto. Offline- und Online-Identität sind untrennbar, was in Zeiten von sozialen Netzwerken wie Facebook auch wieder zum Trend geworden ist. Die Frage, wie man mit der eigenen Identität umgeht, wird unterschiedlich diskutiert, abhängig von der je eigenen politischen Praxis. Festzustellen ist für die meisten Teilnehmenden, dass die Schaffung eines virtuellen Raums ohne eindeutige Mann-und-Frau-Projekte eine Utopie bleibt und dass das Netz kein guter Ort ist, um Geschlechter­themen zu verhandeln.
Als brutal, aggressiv und hemmungslos werden die Angriffe auf feministische und queere Websites beschrieben, variierend je nach Bekanntheitsgrad. Diskutiert wird über Angriffe, die über die Kommentarfunktion von Blogs oder Foren vollzogen werden und zumeist sexistischen Müll beinhalten. Im Fachjargon werden die Verfasser von Kommentaren, die auf diffamierende Weise auf die diskutierten Themen Bezug nehmen, als »Trolle« bezeichnet. Zuletzt zeigte sich bei einem Panel über Sexismus im Netz auf der re:publica im April, wie ihre Angriffe – also Trollereien – eine öffentliche Chatdiskussion im Netz verhindern können. Die Referentinnen und Referenten des Vortrags »Das andere Geschlecht – Sexismus im Netz« wurden zum Ziel eines sogenannten Shitstorm, also von massiven Angriffen, die per Livechat gepostet wurden und unbeteiligten Zuschauerinnen und Zuschauern das Verfolgen des Livestreams unmöglich machten. Diese Erfahrung löste in der Blogosphäre erneut eine Diskussion darüber aus, inwiefern es berechtigt sei, ein Hausrecht auszuüben, also eine Netiquette zu verfassen. Das »Mädchenblog« entschloss sich nach wochenlangen nervigen Trollereien dazu, die Kommentare zu moderieren. Löschen heißt das für die meisten. Zensur und Verbot für andere. Der Vorschlag, die Beschimpfungen umzudrehen und die Angreifer zu Objekten der Selbstentlarvung zu stilisieren, indem die besten Hass-Mails gesammelt und gezielt veröffentlicht werden, wird nicht so recht aufgegriffen.

Ein weiteres Problem liegt in der Impressumspflicht, die Blogs noch angreifbarer macht. Es wird schwierig, Beschimpfungen ironisch umzudrehen, wenn die Gefahr besteht, dass die eigene Adresse auf einer Nazi-Seite mit dem Aufruf zu einem Hausbesuch verlinkt wird. Die Bloggerin Antidote berichtet von heftigen Drohungen auf ihrem portugiesischsprachigen Blog zu polyamourösem Leben. »Es sind krasse Drohungen, die unter dem Deckmantel von Spaß daherkommen«, berichtet sie. Zuweilen ergibt sich der Eindruck, als ob eine Unzahl von Trollen im Netz unterwegs sind, doch vermutlich handelt es sich um ein paar wenige, die aber gut vernetzt sind.
Neben diesen Abwehrkämpfen liegt ein Schwerpunkt auf der verstärkten Sichtbarkeit von feministischen und queeren Inhalten im Netz. Projekte sind vorhanden, wie zum Beispiel das Genderwiki (genderwiki.de), das nun weiter mit Inhalten angerichert werden soll. Es gilt, das Schlagwort »Feminismus 2.0« inhaltlich zu konkretisieren. Angesichts der vielen Feminismen, die im Netz, wie auch im realen Leben, vertreten sind, liegt der Schwerpunkt auf der Vielfalt in der feministischen Netzkultur.
Kathrin Ganz findet, dass ein gemeinsames Verständnis von Feminismus im 2.0-Bereich gar nicht mehr notwendig sei. Wichtiger erscheint ihr eher das Knüpfen von strategischen, netzbasierten Allianzen in Bezug auf bestimmte Themen. Sie führt die derzeitige Kampagne zum Hebammen­streik gegen unbezahlbare Versicherungen in Geburtshäusern an, die gerade durch die Communitys zwitschert und in vielen Blogs verlinkt wird. Präsenz und Sichtbarkeit stehen bei der Kampagne an erster Stelle. Wie diese Strategien die Realität verändern und wie konkrete Forderungen an die Politik daraus entwickelt werden können, wird sich erst noch zeigen, sowie auch, in welcher Form queerfeministische Positionen zum Ausdruck kommen werden.

Um sich in die digitalen Kämpfe um Deutungshoheit einzumischen, werden queerfeministische Inhalte situativ und strategisch verlinkt, in einer Art Patchwork-Arbeit. Als ein Beispiel wird das Online-Lexikon Wikipedia angeführt, auf dem Machtkämpfe um die Bedeutung von Wissen geführt werden. Themen wie Feminismus, Homosexualität oder Identitätspolitiken lösen dort permanenten Anfeindungen aus. Unter anderem von christlichen Fundamentalisten, die sich auch im Netz tummeln, um ihre Sicht auf die Welt durchsetzen wollen. Dem soll entgegengetreten werden, da »bestimmte Räume im Internet auch mein Zuhause sind«, wie eine Teilnehmerin formuliert.
Unter dem Titel »Trolle monetarisieren« wird am letzten Tag über eine Strategie diskutiert, wie aus Dreck Geld zu machen sei. Dank Google Ads, also automatisch geschalteter Werbung über die Suchmaschine, sollen Hass-Kommentare auf externe Seiten verlinkt werden und über die Zugriffe Geld abwerfen. Die queerfeministische Revolution wäre zumindest finanziert. Über das weitere »wie, was, wer und wohin« muss noch gebloggt, getwittert und verlinkt werden, und das wird derzeit eifrig auf den Seiten des Gendercamps betrieben. Das »wo« ist hingegen klar, im Netz.