Lass deinen Drachen steigen

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Seit Jahren ist der innerstädtische Flughafen Tempelhof in Berlin ein echter Dauerbrenner der gewohnt provinziellen Lokalpolitik. Erst protestierten tendenziell rechte Bürgerinitiativen gegen seine Schließung, nun tun es die Linken. Denn der nun eröffnete »Tempelhofer Park«, wie die gigantische Rasenfläche mit den ebenso gigantischen Asphaltbahnen dem Wort Park zum Hohn jetzt heißt, wird abends ab halb zehn abgeschlossen. »Reclaim Tempelhof! Nehmen wir uns die Stadt zurück!« nennt sich eine von autonomen Linken arrangierte Kampagne, die sich »gegen den Zaun« und »die eingeschränkten Öffnungszeiten« wendet und außerdem drohende Mieterhöhungen für die Anwohner der nun durch die »neue« »Park«-Lage aufgewerteten Kieze befürchtet.
Ich war nicht bei der Demo, ich fühlte mich irgendwie, vermutlich zu Unrecht, an eine autonome Kampagne gegen die Öffnung der Oberbaumbrücke vor 20 Jahren erinnert, für deren Unterstützung ich mich heute ausdrücklich schäme. Sicherheitshalber, dachte ich mir, inspiziere ich erstmal alleine in aller Ruhe die 355 Hektar.
Und so stehe ich schließlich auf dem Flugplatz. Wow, groß! Und … groß! Außerdem … echt groß! Am Horizont die Häuser: sooo klein! Man steht also in dieser wohl größten Baulücke der Welt, der Wind weht, ein paar Feldlerchen tschilpen, Radfahrer, Rollerblader, Spaziergänger bevölkern die ehemalige Startbahn und man denkt: Ach, hier könnte man prima Drachen steigen lassen. Man weiß aber auch, dass man das nie tun wird. Man wird auch sonst nichts tun hier. Was auch? Man fragt sich: Wozu ein Zaun? Hier gibt es nichts zu klauen. Diesem »Park« fehlt es einfach an allem, sogar an Bäumen. Hier gibt es aber auch nichts, wofür es sich zu demonstrieren lohnte. Hier ist einfach wirklich überhaupt: nichts. Ich gehe fünf Meter hin und fünf Meter her, dann hab ich alles gesehen. Vielleicht im Herbst mal wieder, zum Drachen-steigen-Lassen …