Der Bundesparteitag der Piratenpartei

Shitstorm im Piratengarten

Am Wochenende hielt die Piratenpartei ihren Bundesparteitag ab. Die Ergebnisse des skurrilen Politspektakels sind bescheiden.

Parteitage sind in aller Regel sorgfältig orches­triert und haben für den ungebundenen Betrachter nur dann Unterhaltungswert, wenn das Unvorhergesehene passiert, wenn die Delegierten sich beispielsweise weigern, die von ihnen erwarteten Personalentscheidungen zu treffen, oder unerwartete Kandidaturen aus dem geplanten Kuschelwahlgang eine Kampfveranstaltung der Extraklasse machen. Im Falle der Piratenpartei war dagegen schon Wochen vor dem Parteitag am Wochenende in Bingen am Rhein Großes angekündigt worden, nämlich die Generalabrechnung mit der Parteiführung, und ganz besonders mit Aaron König. Was ein »Medienpirat« – so lautete die Funktionsbezeichnung des Mannes, der im vergangenen Jahr erst kurz vor seiner Wahl in den Vorstand den Piraten beitrat – genau macht, dürfte Außenstehenden unklar sein, ist aber schnell erklärt: im Grunde nichts, außer ein bisschen bloggen.
In seinem Blog »Politicool« hatte König unter anderem dem schweizerischen Minarett-Urteil applaudiert, von Einwanderern nach Deutschland strikte Anpassung gefordert und Sarrazins Positionen gelobt. In einem wirren Text erklärte er zudem, dass »Linke hassen«, Piraten dagegen lieben würden, und forderte zum Schutz Israels einen präventiven Angriff auf die iranischen Atomanlagen. Königs kruder Politcool-Mix, ergänzt um eine Klagedrohung gegen die Jungle World wegen einer Satire, hatte immer mehr Piratenanhänger aufgebracht. Aus der großen Abrechnung wurde allerdings nichts. Am Tag nach der NRW-Wahl trat der Medienpirat aus der Partei aus. Die Partei habe »vor allem Altlinke angezogen«, und die setzten statt auf libertäre Politik »weiterhin auf staatsinterventionistische Konzepte«, schrieb König. Deswegen sei nun Schluss. Gerüchteweise wird er sich Gabriele Pauli anschließen.

Ob der Medienpirat möglicherweise auch nur seiner Abwahl zuvorkommen wollte, ist unklar. Dabei ist nicht einmal sicher, ob er sein Amt nicht sogar hätte behalten können wie Jens Seipenbusch, der blässliche Parteichef, dessen Absetzung schon Wochen vor der Wahl propagiert worden war und der am Ende wiedergewählt wurde. Vielleicht wäre das Ergebnis anders ausgefallen, wenn die Gegenkandidaten Seipenbuschs – unter anderem ein Pfarrer und ein selbst ernannter Universalwissenschaftler, der seine Kandidatur als Gesamtkunstwerk verstanden wissen wollte – mehr Ahnung von IT gehabt hätten. Vielleicht aber wäre das Ergebnis auch ein anderes gewesen, wenn all die, die unter dem Hashtag #Piraten immer wieder ihre Unzufriedenheit mit Seipenbusch getwittert hatten, nach Bingen gefahren wären. Denn das macht die Mitgliederversammlungen, wie sie die Piratenpartei praktiziert, so unberechenbar: Die Ergebnisse spiegeln nicht unbedingt die Mehrheitsmeinung der Basis in den Orts-, Kreis-, und Landesverbänden wieder, sondern das, was die zufällig Anwesenden denken. Und so wirkte mit Ausnahme des erneut ohne Gegenkandidaten antretenden Schatzmeisters keiner der Kandidaten richtig sieges­sicher.
Für die Wahlleiter auf der Bühne war das Bingener Wochenende recht arbeitsintensiv. Ihr Job war eine Mischung aus Kaufhauspromoter und Super-Nanny. Sie mussten nicht nur die zahllosen Anträge zur Geschäftsordnung bewältigen, sondern auch die 1 001 Anwesenden daran hindern, ständig zu schwätzen. »Ey, ihr habt Twitter, ihr habt ICQ, könnt ihr nicht einfach mal die Klappe halten?« brach es aus einem heraus.
Und so hätte das ruckelfrei via Livestream übertragene Piraten-Chaos ein amüsantes, basisdemokratisches Event sein können, wenn nicht überraschend mit der Politologie-Studentin und Aktivistin für freie Software Lena Simons eine Frau für den Vorstand kandidiert hätte. Denn nun begann das, weswegen die Piratenpartei von manchem Blogger für schlimmer als ein »bösartiger Kindergarten« gehalten wird. Lena Simon ist nämlich Feministin und sieht die Gender-Frage als außerordentlich wichtig für ihre Partei an – was bei den Mitgliedern erst kürzlich zu einem regelrechten Shitstorm führte. Denn die glauben, die Piraten seien postideologisch und hätten entsprechend die Gleichberechtigung bereits verwirklicht. Wer immer schon mal wissen wollte, wie es aussehen und vor allem sich anhören würde, wenn auf dem Oktoberfest Tribunale veranstaltet würden, hätte sich die Fragerunde mit der Kandidatin Simons anschauen sollen. Was da an die Mikrofone trat, waren hauptsächlich Frauen, deren Wille zur Empörung in einigen Fällen größer war als die Fähigkeit zum mündlichen Ausdruck und die sich nach vollbrachter Wortmeldung beifallheischend zu den Männern in ihrer Bezugsgruppe umschauten. Das Gejohle der Zuhörer hatte allerdings einen ungeahnten Effekt: Lena Simons wurde zwar nicht in den Vorstand gewählt, erzielte aber mit rund 30 Prozent ein respektables Ergebnis, so dass sie mit ihrem überlegenen Auftritt selbst bei einigen ihrer Kritiker Respekt erntete.

Und dann war der erste Tag der Mitgliederversammlung auch schon vorbei, und ein gemietetes Partyschiff wartete. Was hat die Partei nun aber in Bingen konkret gemacht, außer Leute in ihren Ämtern zu bestätigen oder neue hineinzuwählen, Bötchen zu fahren und Lena Simons verschrobene Fragen zu stellen? Die per Twitter gestellte Frage nach dem Ergebnis von Bingen brachte als Antwort fünf Links. Diese verweisen auf Beschlüsse über freie und demokratisch kontrollierte technische Infrastruktur, mehr »gewagte Demokratie«, die Einführung von interaktiver Demokratie mit »Liquid Feedback« (übrigens ein Lieblingsprojekt von König), den Beitritt zur Pirate Party International und darüber, dass die Jungen Piraten nun die offizielle Jugendorganisation der Piratenpartei sind. Eine weitere Antwort lautete: »Na nix.« Und das trifft insofern zu, als ein Großteil anstehender Beschlüsse aus Zeitgründen nicht gefasst werden konnte. Nun soll eine zweite Mitgliederversammlung noch in diesem Jahr stattfinden, idealerweise nicht in der Nähe eines Gewässers oder zumindest ohne Partyschiff.