Über die Befreiung von Clotilde Reiss

Befreiung mit Geheimnissen

Hinter der Befreiung einer französischen Staatsbürgerin aus iranischer Haft wird ein Gefangenenaustausch zwischen Frankreich und dem Iran vermutet.

So viele Zufälle auf einmal wirken verdächtig. Am vorvergangenen Sonntag kehrte die junge Französin Clotilde Reiss mit einem Sonderflug aus Teheran zurück nach Paris. Am Tag darauf unterzeichnete der französische Innenminister Brice Hortefeux den Abschiebebefehl für den wegen politischen Mordes verurteilten iranischen Staatsbürger Ali Wakili Rad, der 24 Stunden später von Paris aus in Richtung Teheran abflog.
Statt einer Auslieferung an das dortige Regime handelte es sich freilich eher um ein Geschenk, das Wakili Rad und der iranischen Regierung zugleich gemacht wurde. Denn der Mann, der zusammen mit zwei Mittätern im August 1991 den iranischen Exilpolitiker Schahpur Bakthiar mit Küchenmessern buchstäblich abschlachtete, handelte dabei ohne Zweifel im Auftrag des iranischen Regimes.
Wakili Rad war zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden, mit einer Mindestverwahrung von 18 Jahren. Diese Frist war soeben abgelaufen, und just am Dienstag voriger Woche sollte ein Haftprüfungstermin vor dem zuständigen Richter stattfinden. In der Regel müssen Gefangene nach Ablauf ihrer Mindestverwahrungsperiode jedoch mehrere Jahre warten, bevor eine bedingte Freilassung in Erwägung gezogen wird. So erging es etwa den Häftlingen der früheren linksterroristischen Gruppe Action Directe, von denen mehrere an Krebs erkrankt waren. Im Falle von Wakili Rad allerdings unterzeichnete Innenminister Hortefeux am Tag vor dem Haftprüfungstermin die Anordnung, ihn nach Teheran ausfliegen zu lassen.

Dies war offenkundig der Preis, den die französische Regierung für die Rückkehr von Clotilde Reiss bezahlte. Am Vortag war sie in dem Prozess, der ihr in Teheran unter Spionage-Anklage gemacht worden war, »nur« zu einer Geldstrafe in Höhe von 285 000 Dollar (rund 200 000 Euro) verurteilt worden. Im Iran kann unter dem Vorwurf der Spionage die Todesstrafe verhängt werden. Die Geldstrafe wurde noch am selben Vormittag von ihrem Anwalt bezahlt. Dies machte den Weg für die Rückkehr der 25jährigen nach Frankreich frei.
Clotilde Reiss war am 1. Juli vergangenen Jahres auf dem Flughafen von Teheran festgenommen worden. Bis dahin hatte sie Französisch an der Universität Isfahan unterrichtet. Das iranische Regime warf ihr vor, an den Demonstrationen nach der manipulierten Präsidentschaftswahl vom 12. Juni vergangenen Jahres teilgenommen zu haben. Doch es gibt Hinweise darauf, dass Reiss’ offizielle Tätigkeit und der Vorwurf im iranischen Spionageprozess nur ein Deckmantel gewesen sein könnten, unter dem sich anderes verbarg.
Clotilde Reiss’ Vater, Rémi, arbeitet beim französischen Kommissariat für Atomenergie. Und dort ist er nicht irgendwo tätig, sondern in der »Abteilung für militärische Anwendungen«, die mit dem Bau von Nuklearwaffen befasst ist. Seine Tochter konnte durch seine Vermittlung dort ein Praktikum absolvieren. In dessen Rahmen erstellte sie einen Forschungsbericht, der das iranische Nuklearprogramm zum Gegenstand hatte. Während ihres Aufenthalts im Iran kommunizierte sie mit ihrem Vater per E-Mail, und er riet ihr, vor ihrer Ausreise ihren Laptop bei der Botschaft in Teheran in Verwahrung zu geben, um ihn mit dem Diplomatengepäck transportieren zu lassen. Die iranischen Behörden hatten die Botschaft offenbar mitgelesen, nicht ohne Verdacht zu schöpfen.
Daran, dass es sich um einen Gefangenenaustausch handelte, wie etwa die Onlinezeitung »Rue89« meint, dürften kaum Zweifel bestehen. Noch nicht klar ist jedoch, worum die bilateralen Verhandlungen sich sonst noch drehen könnten. Der senegalesische Präsident Abdoulaye Wade, der im Fall Clotilde Reiss den Vermittler zwischen Paris und Teheran zu spielen versuchte, gibt jedenfalls an, die Freilassung Reiss’ sei schon im Dezember spruchreif gewesen. Frankreich sei jedoch damals auf das von ihm ausgehandelte Angebot nicht eingegangen. Offenbar führte sie parallel dazu andere Verhandlungen.