Europas Bankrott-Kandidaten, Teil eins: Portugal

Fatima und Vaterland

Portugal, Italien, Irland und Spanien sind die Staaten der EU, denen griechische Verhältnisse drohen. Doch wie pleite sind sie wirklich und wie wahrscheinlich ist der »Domino-Effekt«? ­Beginn einer Serie über Europas Bankrott-Kandidaten. Teil eins: Portugal

Wer nach Fatima kommt, erhofft Wunder und erwartet Heilung oder zumindest ein bisschen Trost. Von alldem konnten die Besucher des portugiesischen Wallfahrtsortes viel gebrauchen, die sich dort vergangene Woche zu einem besonderen Anlass trafen. Der angeschlagene Papst Benedikt, der in Fatima eine Messe hielt, hat ein ehrfürchtiges Publikum bitter nötig. Und die halbe Million Pilger, die seinen Worten lauschten, mochten gerne glauben, dass sich ihre Probleme vielleicht auf mystische Weise lösen ließen.
Schließlich hofft derzeit selbst die portugie­sische Regierung auf ein kleines Wunder. Wegen seiner hohen Verschuldung droht Portugal sogar unmittelbar in den Sog der Griechenlandkrise zu geraten. Mit einem drastischen Sparprogramm will die sozialistische Regierung in Lissabon ­nun die Schulden abbauen und riskiert damit eine langwierige Rezession.

Dabei ist es noch gar nicht lange her, dass Portugals Wirtschaft als besonders dynamisch galt. Immerhin hatte das Land in kurzer Zeit die katastrophalen Folgen einer der längsten Diktaturen in Europa überwunden. Das faschistische Regime von António de Oliveira Salazar hatte ein abgeschottetes Wirtschaftssystem etabliert, das vorwiegend auf dem Tausch von einfachen Konsumgütern gegen koloniale Rohstoffe basierte. Nach der sogenannten Nelkenrevolution von 1974 öffnete sich das Land zwar den westlichen Märkten, richtig in Schwung kam die Wirtschaft aber erst zehn Jahre später mit dem EU-Beitritt. Portugal erhielt erhebliche Finanzmittel, um seine marode Infrastruktur auszubauen und die ländlichen Regionen zu entwickeln. Mit dem Geldsegen aus Brüssel schossen auch die Konsumausgaben in die Höhe. In den neunziger Jahren stellten die Portugiesen mehrere Rekorde auf – nirgendwo sonst in Europa wurden im Verhältnis zur Bevölkerungszahl so viele Neuwagen gekauft, Kreditkarten zugelassen oder Eigenheime erworben. Zudem investierten internationale Konzerne wie Continental und General Motors in das Land: Die Löhne waren niedrig und die Absatzmärkte im westlichen Europa nicht weit entfernt. »Die Wirtschaft wächst jährlich um 3,5 Prozent. Die Arbeitslosigkeit sinkt, während der Lebensstandard sich sehr schnell erhöht«, bejubelte noch im Jahr 2000 der Economist den Aufschwung im westlichsten Land Europas.
Kurze Zeit später war der Boom vorbei. Der Beitritt zum Euro sorgte zwar noch einmal kurzfristig für hohe Wachstumszahlen, weil Kredite nun günstiger zu erhalten waren. Zugleich verteuerten sich jedoch portugiesische Produkte aufgrund des hohen Wechselkurses, zu dem die Währungsumstellung erfolgte. Überdies gab es wegen der EU-Ost-Erweiterung weniger Finanzhilfen aus Brüssel, während viele ausländische Investoren ihre Fabriken nach Tschechien oder Polen verlagerten.

Übrig blieben von den goldenen Jahren zahlreiche strukturelle Probleme. Trotz hoher Wachstumsraten war es nicht gelungen, eine auf dem europäischen Markt wettbewerbsfähige Indus­trie aufzubauen. So importiert das Land massenhaft hochwertige Konsumgüter, während sich die Ausfuhren vor allem auf wenig einträgliche Produkte wie Kork oder Wein beschränken. Dass die portugiesische Wirtschaft nur wenig produktiv ist und kaum technologisch hochwertige Erzeugnisse fabriziert, liegt auch am schlechten Bildungssystem: Die Analphabetenquote von neun Prozent ist ein europäischer Spitzenwert.
Ähnlich wie in den anderen südeuropäischen Ländern hat die Konjunktur auf Pump eine fatale Wirkung erzeugt. Das Staatsdefizit liegt heute zwar nur leicht über dem von Deutschland und ist bei weitem nicht so hoch wie in Griechenland. Allerdings ist das Land auch im privaten Sektor stark verschuldet. Die Regierung kann daher kaum Kapital im Inland aufnehmen und ist fast vollständig auf die Finanzmärkte angewiesen, um sich neues Geld zu leihen.

Vor allem für deutsche und spanische Banken steht in Portugal viel auf dem Spiel. Deutsche Kreditinstitute halten zwar nur rund 40 Milliarden Euro an portugiesischen Schuldentiteln, während spanische Banken eine doppelt so hohe Summe aufgenommen haben. Schwankt die Finanzierung Portugals, dann hat auch der große Nachbar ein Problem. Weil aber deutsche Investoren wiederum für rund 240 Milliarden Euro und französische Banken für 220 Milliarden Euro spanische Staatsanleihen halten, könnte es schnell zu einem Domino-Effekt kommen.
Im Zuge der Finanzkrise erwies sich diese Konstellation als besonders folgenreich. Die Kreditkosten stiegen, Investitionen und Konsum gingen zurück, was wiederum die Konjunktur und den Haushalt belastete. Die Finanzmärkte reagieren daraufhin nervös und verlangen zusätzliche Risikoaufschläge. Nachdem die Rating-Agentur Standard&Poor’s im April die Bonität des Landes herabstufte, drohten auch dort griechische Verhältnisse.
Die sozialistische Minderheitsregierung unter Ministerpräsident José Sócrates verschärfte vergangene Woche bereits beschlossene Sparmaßnahmen und will nun entgegen ihren eigenen Versprechen auch die Einkommens- und Mehrwertsteuer jeweils um mindestens ein Prozent erhöhen. Unternehmen mit Gewinnen von mehr als zwei Millionen Euro sollen eine zusätzliche »Krisensteuer« zahlen, die Bezüge der Politiker und der Verwalter öffentlicher Unternehmen werden um fünf Prozent gesenkt. Außerdem will die Regierung die Gehälter im öffentlichen Dienst einfrieren und die Personalausgaben deutlich reduzieren. Prestigeträchtige Projekte wie die Hochgeschwindigkeitsbahn nach Spanien werden um zwei Jahre verschoben. Durch Privatisierung von Staatseigentum erhofft man sich in Lissabon zusätzliche Einnahmen von sechs Milliarden Euro. Die Portugiesen müssten zusätzliche »patriotische Opfer« bringen, damit das Vertrauen in die Wirtschaft des Landes gestärkt und der Euro gestützt werde, sagte Sócrates.
Während die konservative Opposition die sozialistische Minderheitsregierung unterstützt, zeigen sich Gewerkschaften und linke Parteien wenig begeistert von dem patriotischen Aufruf Sócrates’. Im März streikten die öffentlich Bediensteten, im April legten Eisenbahner und Busfahrer den Verkehr lahm. Der Vorsitzende des Bloco da Esquerda (Linksblock), Francisco Louca, kündigte zusammen mit den Gewerkschaften entschiedenen Widerstand gegen die »Wirtschaft der Angst« und der »absoluten Ausbeutung« an. Eine durchaus populäre Haltung. Selbst nach Meinung des Boulevardblatts Correio da Manha werden die angekündigten Maßnahmen »die Mittelschicht zerdrücken«.
Tatsächlich bedeuten die Sparpläne für die meisten Portugiesen drastische Einschnitte. Das durchschnittliche Monatseinkommen liegt derzeit bei knapp 1 100 Euro brutto, der gesetzliche Mindestlohn bei 475 Euro. Löhne und Gehälter sind damit bereits deutlich niedriger als in den meisten anderen EU-Staaten, während die Lebenshaltungskosten mitteleuropäisches Niveau erreichen. Mittlerweile ist Portugal in der Wirtschaftsleistung hinter Tschechien, Malta und Slowenien zurückgefallen.
Die Regierung steht vor einem Dilemma. Sie muss das Staatsdefizit senken, um ihre Kreditwürdigkeit zu erhalten. Sparen und gleichzeitig die Staatseinnahmen erhöhen, um Schulden abzubauen. Sollte kein kleines Wunder geschehen, dann bleibt vielleicht auch Sócrates bald nichts mehr anders übrig, als nach Fatima zu pilgern.