Über Rating-Agenturen

Who’s poor?

Nicht erst seit der Griechenlandkrise wird über die Rolle und Macht von Rating-Agenturen diskutiert. Die Finanzkrise hat jedoch deutlich gezeigt: Die Bewertung von Unternehmen und Staaten hat nicht viel mit der realen Ökonomie zu tun. Dass solche Agenturen Entwicklungen in der Wirtschaft vorhersehen, wird immer mehr angezweifelt.

Ende April löste die Rating-Agentur Standard ­ &  Poor’s (S & P) mit ihrer Herabstufung der Kreditwürdigkeit Griechenlands, Spaniens und Portugals beinahe eine Panik an den europäischen Finanzmärkten aus. Damit brachte sie die griechische Regierung in Schwierigkeiten, die durch die Herabstufung nicht mehr in der Lage war, Kredite auf den Finanzmärkten zu tragbaren Konditionen zu erhalten. Sie verdeutlichte damit aber zugleich, wie anfällig Finanzmärkte und Währungssysteme sind.
Man liegt wahrscheinlich nicht ganz falsch mit der Annahme, die Agenturen folgten den ökonomischen Interessen ihrer Auftraggeber, der großen Finanzunternehmen. Das neue Rating von S & P für Griechenland kam zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, als gerade das Hilfspaket der EU geschnürt wurde. Danach schossen die Risikoaufschläge für Staatsanleihen auf ein neues Rekordniveau. Klar, könnte man meinen, die Benzinpreise steigen ja auch immer zum Urlaubsbeginn. Aber hinsichtlich der Rating-Agenturen bestehen andere Erwartungen, die auf illusionären Vorstellungen von deren Neutralität und Seriosität beruhen.

Rating-Agenturen sind tatsächlich nichts anderes als private Unternehmen, die Analysen über die ökonomische Situation großer Kreditnehmer erstellen. Drei Agenturen haben in diesem Bereich einen Marktanteil von 95 Prozent und damit eine Machtstellung, die allmählich auch verstockten Gegnern der Finanzmarktregulierung unheimlich wird. Fitch, Moody’s und S & P kontrollieren praktisch den Zugang zu den Finanzmärkten. Wer immer dort Schulden aufnehmen will, braucht vorher ein Rating. Die Agenturen benennen die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Gläubiger sein Geld zurückerhält.
Je höher diese Sicherheit, desto leichter und zinsgünstiger kann ein Staat oder eine Firma Geld leihen. Je schlechter das Rating, desto mehr Zinsen kassiert der Gläubiger für sein höheres Risiko. Da die Rating-Agenturen nicht selten mit den bewerteten Unternehmen auch über personelle und geschäftliche Beziehungen verbunden sind, ist die Verlässlichkeit der Ratings vor allem in den vergangenen krisenhaften Jahren infrage gestellt worden. Verstärkt wird diese Tendenz dadurch, dass die Rating-Agenturen für die Bewertung von Investmentprodukten direkt von den Finanzunternehmen beauftragt und bezahlt werden.
Auch Staaten werden von den Agenturen bewertet, und eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit kann schnell katastrophale Folgen bis hin zum Staatsbankrott haben. Ebenso wie bei der Bewertung von Unternehmen hat das Rating von Staaten offenbar eher mit Wohlgefallen oder Vorurteilen als mit realen ökonomischen Prozessen zu tun. So hat in den gängigen Länder-Ratings Griechenland inzwischen ungefähr denselben Status wie Pakistan. Venezuela ist trotz seiner Ölvorkommen mit der Note BB auf der Prioritätenliste potentieller Investoren ziemlich weit nach unten gerutscht, während Japan, das mit 210 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts eigentlich völlig überschuldet ist, immer noch mit der relativ guten Note AA bewertet wird.
Schwierigkeiten könnten auch die bisherigen Rating-Musterknaben Deutschland und Frankreich bekommen. Bisher hatten ihnen alle großen Agenturen die Bestnote AAA gegeben. Diese jedoch ist nun in Gefahr, nachdem sich die beiden EU-Führungsmächte mit dem 750-Milliarden-Rettungspaket für den Euro ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt haben.
»Durch das Paket verschlechtert sich das Schuldenprofil, was die Bonitätseinstufung von Kernstaaten gefährden könnte«, sagte Stefan Kolek, Stratege bei UniCredit. Es handle sich um »eine Art Schneeballsystem auf höchstem Niveau«.
Die Praktiken dieses Machtzentrums haben inzwischen weitreichende Kritik hervorgerufen. Ihre blauäugigen Fehlbewertungen hochriskanter Immobilienfonds hatten ab 2007 auch einen Anteil an der US-Immobilienkrise, die binnen kurzem die Finanzmärkte weltweit ergriff.

Wie Mitte Mai bekannt wurde, hat die New Yorker Staatsanwaltschaft Untersuchungen gegen mehrere Großbanken eingeleitet, darunter auch gegen die Deutsche Bank. Die Institute stehen im Verdacht, Rating-Agenturen durch falsche Informationen zu einer Besserbewertung ihrer Hypotheken-Absicherungen bewegt zu haben.
Außer gegen die Deutsche Bank wird auch noch gegen Goldman Sachs, Morgan Stanley, UBS, Citigroup, Credit Suisse, Credit Agricole und Merrill Lynch ermittelt, das inzwischen der Bank of America gehört. Bei den ausgetricksten Agenturen handelt es sich um S & P, Fitch und Moody’s. Außerdem werden mehrere Fälle untersucht, in denen Banken den Agenturen Mitarbeiter abwarben und sie dann auf die umstrittenen Hypothekenpakete ansetzten.
Die New York Times berichtete bereits Ende April, Banken hätten sich Berechnungsformeln der Rating-Agenturen besorgt, um so deren Bewertungsmechanismus zu beeinflussen. Hier haben sich also, wenn sich die erhobenen Vorwürfe erhärten sollten, alle Global Players der Finanzbranche gegenseitig planvoll und bei vollem Bewusstsein übers Ohr gehauen und dabei in einer Weise verzockt, die jeglicher behaupteten kapitalistischen Rationalität spottet.
Auch im Fall der Lehman-Pleite waren Rating-Agenturen in die Kritik geraten, da sie die Situation der Bank völlig falsch eingeschätzt hatten. Zudem werden sie mitverantwortlich gemacht für das Ausmaß der Finanzkrise. So sollen sie bei der Strukturierung von Finanzprodukten behilflich gewesen sein und diese Produkte anschließend aus eigennützigen Motiven mit Bestnoten bewertet haben. Deutlich wird daran auch, dass zum Betrügen immer zwei benötigt werden und die Rating-Agenturen durchaus nicht hilflose Opfer skrupelloser Finanzhaie sind, sondern selber mit eigenen ökonomischen Interessen in die spekulativen Geschäfte involviert waren.
Nach der Herabstufung der EU-Südflanke durch die beiden US-amerikanischen und eine britische Agentur just vor der Verabschiedung des Griechenland-Hilfspakets zeigten sich die Regierenden in Berlin und Paris alles andere als erfreut. Die EU-Kommission solle erwägen, »Vorschläge zur Stärkung des Wettbewerbs zwischen den Rating-Agenturen zu unterbreiten«, forderten Angela Merkel und Nicolas Sarkozy in einem gemeinsamen Brief an EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Im Klartext heißt das, dass sie gerne ein Gegengewicht durch Rating-Agenturen hätten, die den Interessen der Euroländer loyaler gegenüberstehen.
Peter Bofinger, der Alibi-Keynesianer unter den »Wirtschaftsweisen«, legte in einem Interview kürzlich nach: »Die drei großen Rating-Agenturen haben bisher in jeder Krise massiv versagt. Trotzdem sind sie dafür bislang noch nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Ihr gesamtes Geschäftsmodell ist höchst problematisch, da sie zum einen für ihre Beurteilung nicht haften, und da zum anderen kein echter Wettbewerb zwischen ihnen besteht. Die Errichtung einer europäischen, nicht gewinnorientierten Rating-Agentur wäre daher dringend geboten.«

Der US-Senat will indessen die Agenturen an die kurze Leine nehmen. Ein im Senat verabschiedeter Änderungsantrag zum Gesetz über die Finanzaufsicht fordert die Schaffung einer staatlichen Clearingstelle, deren Richtlinien die Agenturen einhalten müssten. Ebenso wird dekretiert, dass sich staatliche Stellen bei der Beurteilung finanzieller Risiken nicht mehr allein auf die Bewertungen der privatwirtschaftlich agierenden Rating-Agenturen verlassen dürften. Die US-Behörden sollen eigene Mechanismen zur Einschätzung der Kreditwürdigkeit ausarbeiten.
Desweiteren will der Senat den Banken verbieten, sich selbst auszusuchen, welche Rating-Agenturen ihre Finanzprodukte bewerten dürfen.
Zumindest für Europa ist jedoch eine gewisse Skepsis gegenüber den etwa von Merkel und Sarkozy geforderten Reformen angebracht. Ob nun, wie die Regierungen es sich wünschen, neue europäische Rating-Firmen mit politischer Verantwortung die Dominanz der anglo-amerikanischen Agenturen einschränken oder – wie von Peter Bofinger bis Sahra Wagenknecht im Lager der Keynesianer und Sozialstaatsretter gefordert wird – eine europäische staatliche Rating-Behörde errichtet wird, bisher ist alles Rhetorik.
Bereits am 9. März hatte Angela Merkel bei einem Besuch in Luxemburg den »Primat der Politik über die Finanzmärkte« eingefordert. Lucas Zeise, Kolumnist der Financial Times Deutschland, merkte damals völlig zu recht an, die Umsetzung einer solchen Willenserklärung bedeute eine völlige Änderung des Charakters der Europäischen Union. Sie bedeute, wenn sie konsequent verfolgt werde, dass nicht mehr scheinbarer Sachzwang die Politik bestimme, sondern soziale, ethische, also politische Werte und am Ende gar das Interesse der Bevölkerungsmehrheit.
Zu rechnen ist mit einer solchen Entwicklung jedoch nicht. Die Haltung der Bundesregierung gegenüber Griechenland zeigte deutlich, was von ihr zu erwarten ist: reine Interessenpolitik im Sinne des deutschen Kapitals und des innerhalb der Eurozone auf seine Vormachtstellung pochenden deutschen Staates. Kritisiert werden die Mächte des Marktes dann, wenn sie sich gegen die eigenen Positionen richten, gar die Krisenlösung im Interesse des Großwirtschaftsraums EU und seiner internationalen Leitwährung gefährden. Ansonsten ist bisher noch jede EU-Intervention gegen Schutzmechanismen der abhängig Beschäftigten mit den Bedürfnissen des Marktes gerechtfertigt worden.
An europäischen Finanzplätzen wird derzeit viel und laut über »Protektionismus« gejammert, wenn die relativ harmlosen Regulierungsabsichten der deutschen Regierung thematisiert werden. Ein Beispiel dafür ist die Finanztransaktionssteuer. Sie wird inzwischen ernsthaft diskutiert, ohne dass Attac, das ebendiese seit Jahr und Tag gefordert und als den großen Wurf im Kampf gegen das Finanzkapital verkauft hat, auch nur mit einer Silbe erwähnt würde.
Protektionismus und Freihandelskapitalismus sind, wie jetzt wieder deutlich wird, keine fundamentalen Gegensätze, sondern Resultat interessen- und situationsbedingter Entscheidungen.