Die Verschärfung des Gesetzes zur Spätabtreibung

Das perfekte Kind

Vor etwa einem Jahr hat der Bundestag eine Verschärfung des Schwangerschaftkonfliktgesetzes beschlossen. Wessen Situation sich dadurch verbessert hat, ist weitgehend unklar.

Der Abbruch einer Schwangerschaft ist in Deutschland noch immer rechtswidrig, aber er bleibt straffrei, wenn er bis zur zwölften Schwangerschaftswoche erfolgt. Die Neuregelung, die im Mai vorigen Jahres im Bundestag beschlossen wurde, betrifft Schwangerschaftsabbrüche nach der zwölften Woche. Sie dürfen nur im Fall einer sogenannten medizinischen Indikation vorgenommen werden. Solche Spätabtreibungen, die häufig in direkter Folge der Ergebnisse einer pränataldiagnostischen Untersuchung vorgenommen werden, waren vor der Änderung des Gesetzes auch schon möglich, jedoch ohne dass Ärzte dazu verpflichtet waren, die Schwangere auf die Möglichkeit einer Beratung hinzuweisen.
Das ist jetzt anders. Weisen die Ergebnisse eines pränataldiagnostischen Befundes auf eine mögliche Behinderung des Kindes hin, so sind Ärzte nun zum Angebot einer »ergebnisoffenen« Beratung der Schwangeren verpflichtet. Schwangere können diese Beratung ablehnen. Sofern keine unmittelbare Gefahr für das Leben der Schwangeren besteht, muss in jedem Fall vor der Ausstellung der medizinischen Indikation eine Bedenkzeit von drei Tagen bis zum Abbruch eingehalten werden. Diese Bedenkzeit soll dazu dienen, Frauen die Möglichkeit zu geben, sich umfassend zu informieren und nicht in einem »Schockzustand« ihre Entscheidung zu treffen.

Eine medizinische Indikation ist gegeben, wenn Ärzte einen Abbruch der Schwangerschaft für notwendig halten, um eine »Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden«, so lautet die Formulierung im §218a des Strafgesetzbuchs. »Medizinisch« heißt diese Art der Indikation erst seit 1995. Im Zuge der Vereinheitlichung der Rechtslage im Bereich der Schwangerschaftsabbrüche löste sie die »embryopathische Indikation« ab, die auch als eugenische Indikation bekannt ist. »Eugenisch« bezog sich dabei einzig auf das entstehende Leben. Die medizinische Indikation sollte das ändern: Jetzt darf nicht allein eine diagnostizierte Behinderung des Embryos als Abtreibungsgrund gelten. Im Zentrum soll das physische und psychische Wohlergehen der Frau stehen. Damit wurde zwar der Blick von Schädigungen und Behinderungen des Embryos weggelenkt, die daraus resultierende Praxis hat sich jedoch nicht verändert. In aller Regel bleiben »Unregelmäßigkeiten« oder »Schädigungen« des Embryos, die durch vorgeburtliche Untersuchungen festgestellt werden, der Grund für den Abbruch. Denn die grundsätzliche Frage, ob ein Kind gewünscht ist, wurde zum Zeitpunkt der Untersuchung ja bereits positiv beantwortet. Eine mögliche Behinderung des Kindes stellt diese Entscheidung wieder in Frage. Dies ist kein Zufall, denn die gesellschaftliche Wahrnehmung von Behinderung und chronischer Krankheit ist häufig negativ. Eine Behinderung wird der Nichtbehinderung als Abweichung gegenübergestellt und als Zustand wahrgenommen, den es in der Regel zu vermeiden gilt.

Die Debatte um behinderte Kinder dreht sich häufig um »Leidvermeidung«. Behinderung gilt als ein Zustand der Abhängigkeit und des Verlusts, und viele können sich ein selbstbestimmtes Leben mit Behinderung nicht vorstellen. Dass diese Vorstellungen auch von schwangeren Frauen geteilt werden, verwundert nicht. Mit der Weiterentwicklung pränataler Diagnostik und neuer medizinischer und technischer Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin eröffnen sich immer neue Möglichkeiten der »Vermeidung« von Behinderung. Frauen werden dadurch immer mehr für die Gesundheit und »Qualität« ihres Nachwuchses verantwortlich gemacht. Die Interessen der Ärzte werden dabei oft ausgeblendet. Sie sind vor Schadenersatzklagen nach Geburt eines behinderten Kindes nicht abgesichert und mit einem vermeintlichen »Rechtsanspruch« auf ein gesundes Kind konfrontiert. In der gesellschaft­lichen Realität tragen überwiegend Frauen die Verantwortung der Reproduktionsarbeit, und sie sind diejenigen, deren Leben durch die Geburt eines Kindes die stärksten Veränderungen erfährt. Kinderkriegen wird der Privatsphäre und damit der Frau zugeordnet, die in und mit dieser oft allein gelassen wird. Im Verlaufe einer Schwangerschaft sind die Angebote für pränatale Diagnostik allgegenwärtig. Deuten die Ergebnisse auf eine Behinderung hin, sind es die Schwangeren, denen die Verantwortung zugewiesen wird, nach Maßgabe gesellschaftlicher »Notwendigkeiten« über ihren Nachwuchs zu entscheiden. Von gesellschaftlichen Normen, dem zunehmenden Leistungsdenken und Leistungsdruck ist diese Verantwortung nicht zu trennen. Auf diese Art werden biopolitische Maßnahmen zu Lasten von Frauen individualisiert, bleiben aber ungebrochen wirksam.

Zwar werden die neuen Bußgeldandrohungen bis zu bis 5 000 Euro an Ärzte gerichtet, wenn sie ihrer Pflicht, auf die Beratung hinzuweisen, nicht nachkommen oder die dreitägige Frist nicht einhalten. Pro Familia warnt allerdings vor negativen Effekten auch für schwangere Frauen. Es gelte zu beobachten, ob verunsicherte Ärzte durch die Androhung weniger Spätabbrüche durchführen werden. Diese Verunsicherung wird durch das Anfang Februar in Kraft getretene Gendiagnostikgesetz, das ärztliche Aufklärungs-, Beratungs- und Dokumentationspflichten bei den vorgeburtlichen Untersuchungen regelt, noch verstärkt. Das könnte die Situation von Schwangeren vor allem in ländlichen Gegenden weiter verschlechtern, denn dort ist es schon jetzt häufig schwierig, Schwangerschaftsabbrüche durchführen zu lassen. Die Neuordnung der Beratungssituation, die von Organisationen wie der Lebenshilfe als »wirkliche Hilfe für schwangere Frauen« begrüßt und auch von der Bundesärztekammer und den Kirchen positiv aufgenommen wurde, sieht Pro Familia ebenfalls kritisch. Ärztliche und psychosoziale Beratung habe Frauen bereits vor der Neuregelung kostenlos zur Verfügung gestanden, und ein Bedürfnis von Frauen nach mehr Beratung sei empirisch nicht zu belegen. Das »Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik« wies im September vorigen Jahres in seinem Rundbrief darauf hin, dass die Beratung in ein Medizinsystem eingebunden bleibe, das von der Angst vor »Kind-als-Schaden«-Urteilen und einem instrumentellen Blick auf Behinderung geprägt sei. Allerdings begrüßen viele Organisationen, dass sich aus der neuen Gesetzeslage eine bes­sere Zusammenarbeit zwischen Ärzten und psychosozialen Beratungsstellen entwickeln könnte.
Eine eindeutige Verschlechterung ergibt sich für Frauen bei Abbrüchen mit rein mütterlich-medizinischer Indikation. Für diese Abbrüche ohne vorherige pränataldiagnostische Untersuchung gilt nun auch eine Bedenkzeit von drei Tagen. Ob durch die Neuregelung eine positive Veränderung der gesellschaftlichen Debatte um Behinderung eintreten wird, bleibt abzuwarten. Im Oktober 2009 hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zwei neue Informationsbroschüren erstellt, die Ärzten die Beratung erleichtern und werdende Eltern über das Leben mit einem behinderten Kind aufklären sollen sowie über Anlaufstellen informieren. Die Individualisierung von Verantwortung wird in den Broschüren jedoch nicht thematisiert. Der Gesetzgeber hat nach der Änderung des Schwangerschaftkonfliktgesetzes zumindest die Erarbeitung weiterer Materialien angekündigt.

Die Verfasserin ist Mitglied von AK Mob (Arbeitskreis Mit- und ohne Behinderung).
Weitere Informationen: ak-mob.org