Der israelische Angriff auf die Propagandaflotte vor Gaza

Propagandaschlacht auf hoher See

Nach dem Angriff auf die Propagandaflotte der Organisation »Free Gaza«, bei dem mindestens neun Menschen erschossen wurden, steht Israel in der internationalen Kritik. Was sich vor der israelischen Küste abgespielt hat, ist noch nicht endgültig geklärt. Fest steht: Nicht alle Friedensaktivisten kamen mit friedlichen Absichten.

Die diplomatische Katastrophe für Israel nach der Militäraktion gegen die Flottille der Organisation Free Gaza Anfang dieser Woche ist nicht wegzudiskutieren. Die Weltöffentlichkeit, aber auch die Uno und die EU verurteilten Israels Vorgehen scharf, die Türkei und die Arabische Liga sprachen gar von einem »Massaker« in internationalen Gewässern. Die Kritik beschränkt sich nicht auf die Aktion, die neun Gaza-Aktivisten das Leben kostete. So behauptete der arabische Knesset-Abgeordnete Muhammad Barake, Israel habe sich selbst »aus der Völkerfamilie entfernt«. Oder es wird gleich das Ende des israelischen »Apartheidstaats« beschworen: »Israel wird es genauso ergehen wie Südafrika unter der Apartheidzeit. Die Frage ist nur, ob die Israelis Vernunft annehmen werden und freiwillig einer Abwicklung des Apartheidstaates zustimmen werden. Oder ob es zwangsweise geschehen wird«, sagte etwa der schwedische Schriftsteller Henning Mankell, der an Bord eines der Schiffe war, gegenüber der Welt.

Unter den Organisatoren des Schiffskonvois befanden sich einschlägige pro-palästinensische Vereine und die islamisch-türkische Hilfsorganisation IHH, die nach Angaben des Danish Institute for International Studies Verbindungen zu Hamas hat, früher auch zu al-Qaida und anderen islamistischen Organisationen. Die IHH bestreitet das vehement. Die verkündete Absicht der Organisatoren, es sei lediglich darum gegangen, Hilfsgüter zu den leidenden Palästinensern im Gaza-Streifen zu bringen, ist zumindest zweifelhaft. »Bei dieser Mission geht es nicht darum, humanitäre Güter zu liefern, es geht darum, Israels Blockade zu brechen«, sagte etwa eine britische Sprecherin der Organisatoren in Zypern im Vorfeld der Aktion.
Das Durchbrechen der israelischen Blockade des Gaza-Streifens kann als legitime politische Absicht betrachtet werden. Dennoch, solange Israel der unumstrittene Besatzer des gesamten Westjordanlandes und des Gaza-Streifens war und die ehemaligen Grenzen zum Kernland Israels offen waren, beanstandete niemand die israelische Kontrolle aller Außengrenzen. Mit der Einrichtung einer autonomen palästinensischen Selbstverwaltung wurde die israelische Kontrolle in den international anerkannten Osloer Verträgen verankert. In Artikel 9 des Gaza-Jericho-Abkommens von 1994 heißt es, dass Israel die Verantwortung für die »Sicherheit« in den »maritimen Aktiv-Zonen« vor der Küste von Gaza trage, und »jegliche notwendige Maßnahmen gegen Schiffe« ergreifen dürfe, die im Verdacht stehen, »Waffen, Munition, Drogen oder Waren« an Land bringen zu wollen. Genau dies war die ausdrückliche Absicht der Free-Gaza-Flotte.
Noch vor Ablegen der ursprünglich acht teilnehmenden Schiffe hatte Israel auf diplomatischem Wege versucht, den Protestkonvoi zu stoppen. Die Türkei und Griechenland weigerten sich, mit Israel zu kooperieren, Zypern hingegen gab dem israelischen Ersuchen nach. Das führte zu mehrtägigen Verzögerungen. Am Ende musste die Flotte vom völkerrechtlich illegal türkisch besetzen Nordzypern in Richtung des Gaza-Streifens, der in den Augen vieler Aktivisten ebenfalls als illegal besetzt gilt, aufbrechen.
Ob Israel eine andere Alternative blieb, als den Konvoi abzufangen und an einer Weiterfahrt zu hindern, bevor er Küste von Gaza erreichte, ist derzeit nach israelischen Presseberichten umstritten.

Die israelischen Marinesoldaten hatten genügend Zeit, zu trainieren und sich für alle Szenarien vorzubereiten. Aus ersten Zeugenberichten von israelischen Soldaten und Journalisten, die mit der Marine mitgefahren waren, geht hervor, dass die Israelis offenbar ein falsches Konzept hatten, das am Ende zu einem Debakel mit mindestens neun Toten und zahlreichen Verletzten führte. Die Soldaten glaubten tatsächlich, dass sich unter den rund 600 Passagieren auf der »Mavi Marmara« und den weiteren Schiffen nur gewaltlose Friedensaktivisten befänden. Die ersten Soldaten, die sich einzeln auf das Deck des Schiffes abseilten, trafen hingegen auf Aktivisten, die sie mit Schleudern, Eisenstangen und Messern attackierten. Der Militärreporter des Online-Nachrichtenportals Ynet (ynetnews.com), Ron Ben Yishai, der sich auf einem der israelischen Marineschiffe befand, berichtete: »Die Kommandos waren mit Handfeuerwaffen ausgestattet und wurden darauf hingewiesen, diese nur in lebensbedrohlichen Situationen zu benutzen. Als sie sich vom Helikopter abseilten, riefen sie sich gegenseitig zu: ›Nicht schießen, nicht schießen!‹, obwohl sie zahlreiche Schläge erhielten.« Der Geheimdienst und die Eliteeinheiten hätten höchstens damit gerechnet, bespuckt und beschimpft zu werden.
Ein weiterer Augenzeuge, der auf einem israelischen Marineschiff mitgefahren war, berichtete, die Aktivisten hätten »große Pakete« über Bord geworfen, als sich die israelischen Kriegsschiffe der »Mavi Marmara« näherten. Was sich in diesen Paketen befand, ist bisher unklar. Manche Friedensaktivisten behaupteten, die israelischen Soldaten hätten willkürlich um sich geschossen und Zivilisten im Schlaf ermordet, sobald sie das obere Deck erreichten. Überwachungsfilme israelischer Drohnen bezeugen jedoch eher das Gegenteil. Sie zeigen, wie die Soldaten bei ihrer Ankunft angegriffen und vom Oberdeck in die Tiefe gestoßen wurden. Zwei Soldaten retteten sich durch einen gewagten Sprung ins Wasser. Zwei weiteren seien angeblich die Pistolen entwendet worden. Einer erhielt einen Bauchschuss, ein anderer einen Schuss ins Knie.
Die türkische Regierung behauptet, die Ladung und die Passagiere geprüft zu haben, um sicher zu sein, dass keine Waffen an Bord gelangten. Das israelische Militär meldete jedoch, Messer, Schleudern, Säcke voller Glasmurmeln und Gasmasken seien an Bord gewesen, was darauf hindeuten würde, dass zumindest einige der Aktivisten sich auf eine gewaltsame Konfrontation mit den Soldaten vorbereitet hätten.
Der Rest der noch nicht abgeschlossenen Geschichte ist weitgehend bekannt. Die begleitenden Schiffe des Konvois ergaben sich ohne jeden Widerstand. Alle Schiffe wurden in den israelischen Hafen von Aschdod gebracht. Die Passagiere wurden von Bord geholt und verhört. Einige der Gaza-Aktivisten wurden abgeschoben. Andere wurden zunächst im Ela-Gefängnis inhaftiert, darunter auch der ehemalige Erzbischof Hilarion Capucci, der 1974 wegen Schmuggels von Sprengstoffen und Waffen für radikale Palästinenser zu einer zwölfjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden war, von denen er nur drei Jahre absitzen musste. Die Toten und Verletzten waren zuvor schon per Hubschrauber evakuiert und auf Krankenhäuser in Israel verteilt worden.

Die israelische Marine hat nach eigenen Angaben die sechs Schiffe der Free Gaza-Aktion etwa 70 Meilen vor der Küste gestoppt und geentert, also in internationalen Gewässern. Nicht nur in der arabischen Welt wird dies als ein israelischer Verstoß gegen internationales Recht verurteilt. Dabei scheint die Legalität militärischer Aktion in internationalen Gewässern nicht eindeutig zu sein. Die USA, Israel und weitere Staaten haben immer wieder Frachtschiffe mit Raketen, Waffen oder Röhren für Nukleartechnologie auf dem Weg in den Iran, nach Syrien oder Ägypten aufgebracht und geentert. Das Mandat der Bundesmarine, vor der Küste des Libanon im Rahmen der Unifil-Mission, Waffenschmuggler abzufangen, wäre kaum durchsetzbar, wenn man darauf warten müsste, dass Waffenschmuggler die libanesischen Territorialgewässer erreicht haben. Ohne Zweifel, sagte ein Rechtsexperte des israelischen Außenministeriums im Hinblick auf die Operationen deutscher, französischer und US-amerikanischer Kriegsschiffe in internationalen Gewässern gegen somalische Piraten, verletzen diese am Horn von Afrika weder die deutsche, noch die amerikanische oder französische Souveränität.
Solange die Osloer Verträge gelten, hat Israel das Recht, die Außengrenzen zu kontrollieren. Die gewaltsame Übernahme der Schiffe hätte sich erübrigt, wenn die Kapitäne den israelischen Aufforderungen Folge geleistet hätten, ihre Ladung in Aschdod kontrollieren zu lassen. Im internationalen Recht gebe es nach Angaben des Rechtsexperten zudem den Begriff »maritimes Blockade-Gebiet«, aus dem ein Staat »feindliche Elemente« fernhalten dürfe. Hinzu kommt, dass neben Israel auch Ägypten den Gaza-Streifen entlang seiner Grenze absperrt. Mit dem Abzug israelischer Truppen aus dem Gaza-Streifen und dem Abriss der dortigen Siedlungen im August 2005 wurde zwischen Israel und der PLO ein Abkommen ausgehandelt, wie die Grenzübergänge abzusichern und zu kontrollieren seien. Ägypten schloss sich diesen Abmachungen an. Doch mit dem Putsch der Hamas wurden die Kameras und Durchleuchtungsmaschinen zertrümmert, die Elitetruppen der PLO in die Flucht geschlagen und europäischen Beobachter und Zöllner verscheucht. Gleichwohl wurden Vereinbarungen getroffen, damit der Gaza-Streifen von Israel aus mit Strom und Kraftstoff, mit Lebensmitteln und anderen lebenswichtigen Gütern versorgt wird. Wegen des Kriegszustandes zwischen Israel und der Hamas lässt Israel aber keine Metalle und Baumaterialien durch mit der Begründung, sie könnten der Hamas helfen, ihre militärische Infrastruktur auszubauen.