Proteste gegen das Immigrationsgesetz in Arizona

Latinos im Visier

Der US-Bundesstaat Arizona will mit einer Verschärfung des Einwanderungsgesetzes gegen illegalisierte Migranten aus Mexiko und anderen Ländern Lateinamerikas vorgehen. Jede Person, bei der ein »begründeter Verdacht« auf illegale Migration besteht, kann demnach kontrolliert werden. Nicht nur Menschenrechtler warnen vor rassistischem Profiling. In mehreren US-Bundestaaten regt sich Protest, auch Barack Obama kritisierte das Gesetz.

»Das Gesetz macht alles nur noch schlimmer«, sagt Enrico Garcia, während er die Theke putzt. Der 42jährige ist der Besitzer eines kleinen Getränkeladens im amerikanischen Teil von Nogales, im US-Bundesstaat Arizona, nur 300 Meter von der mexikanischen Grenze entfernt. »Schon seit Monaten kontrolliert die Grenzpolizei wöchentlich die kleinen Läden und schikaniert die Mitarbeiter. Und eine Arbeitskonzession zu bekommen, wird immer schwieriger.« Garcia befürchtet, durch das neue Immigrationsgesetz seine wichtigste Einnahmequelle zu verlieren: Mexikaner, die ihre Verwandten in den USA besuchen. Auch wird es für ihn schwieriger werden, Angestellte für seinen Laden zu finden. »Das Gesetz ist gegen Mexikaner gerichtet«, davon ist Garcia überzeugt.
Am 23. April unterzeichnete die republikanische Gouverneurin von Arizona, Jan Brewer, die Senate Bill 1 070 (SB 1 070), die am 29. Juli in Kraft treten wird. Dabei handelt es sich um einen Zusatz, der das bereits bestehende Immigrationsgesetz deutlich verschärft. Demnach wird künftig der Polizei erlaubt sein, Personen zu kontrollieren, bei denen ein »begründeter Verdacht« besteht, sie könnten sich unerlaubt in den USA aufhalten. In welchen Fällen ein Verdacht als begründet gilt, ist nicht näher spezifiziert. Mehr noch: Bürgern, die der Meinung sind, dass die Behörden die neuen Bestimmungen nicht streng genug durchsetzen, räumt das Gesetz das Recht ein, Polizeibeamte zu verklagen.
Initiator der SB 1 070 ist Russell Pearce, Republikaner und bekennender Mormone. Der Senator fiel in den vergangenen Jahren durch seine Kontakte zu Gruppen von Neonazis und White Supremacists auf. Im Jahr 2007 trat er mit dem bekannten Neonazi J.T. Ready auf, ein Jahr zuvor hatte er – angeblich aus Versehen – eine E-Mail an seine Unterstützer weitergeleitet, in welcher der Holocaust in Frage gestellt wurde und von einem »Rassenkrieg« die Rede war.
Bereits vor der Verabschiedung der SB 1 070 hatte US-Präsident Barack Obama das Gesetz als »fehlgeleitet« kritisiert. Im Präsidentschaftswahlkampf hatte er versprochen, in den ersten 90 Tagen nach seinem Amtsantritt das Immigrationsrecht bundesweit zu reformieren, unter anderem auch, um Alleingänge in den einzelnen Bundesstaaten zu verhindern. Einer der Gründe für solch ein Wahlversprechen waren sicherlich die neun­­ Millionen wahlberechtigten hispanics, die US-Bürger lateinamerikanischer Abstammung. Diese vorwiegend katholische Wählerschaft ist gleichmäßig auf beide Parteien verteilt. Viele dieser Wähler gelten allerdings als swingvoters und sind daher von Demokraten und Republikanern stark umkämpft. Vor der Verabschiedung der Bill protestierte auch die katholische Kirche. Die Bischöfe von Arizona kritisierten das Gesetz als »unmenschlich« gegenüber ihrer Religionsgemeinde, die vorwiegend aus Latinos besteht. Da Obama bis jetzt sein Reformversprechen nicht eingehalten hat, machen ihn viele hispanics für die Entwicklung in Arizona indirekt verantwortlich. Die Enttäuschung gegenüber Obamas Einwanderungspolitik verstärkte sich Ende Mai, als der Präsident weitere 1 200 Soldaten der Nationalgarde an die Grenze zu Mexiko schickte. Um illegalisierten Einwanderern eine Legalisierung zu ermöglichen, braucht Obama die Stimmen der Republikaner, denen er nun mit der Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen an der mexikanischen Grenzen entgegenkam.
Die bisherige Praxis im Umgang mit Migranten aus Lateinamerika sieht vor, dass die vermeintlichen »Illegalen« zu einer Anhörung vor Gericht gebracht oder innerhalb von 24 Stunden abgeschoben werden. Im Jahr 2009 fanden in Arizona 3 600 sogenannte immigration hearings statt, wodurch 900 Einwanderer eine temporäre Aufenthaltsgenehmigung oder permanente Staatsbürgerschaft erhielten. Im gesamten US-Staatsgebiet gab es 29 000 Legalisierungsfälle. Illegalisierte Migranten haben außerdem die Möglichkeit, eine Entlastungspetition zu beantragen, um eine Arbeitserlaubnis oder einen Führerschein zu erhalten. All diese Dinge stehen in Arizona nun durch die SB 1 070 zur Disposition.

Mit dem neuen Gesetz werden alle Polizisten angehalten, vermeintliche »Illegale« aufzuspüren und vor Gericht zu bringen. Geldstrafen und Gefängnisaufenthalt sollen vor weiteren Einreiseversuchen abschrecken. Auch werden staatliche Behörden dazu aufgefordert, alle Daten über Migranten auf Abruf bereitzustellen. Menschenrechtsgruppen sehen darin die Gefahr eines rassistischen Profilings und einer wachsenden Diskriminierung von Menschen lateinamerikanischer Abstammung im Alltag. Wer papierlose Migranten etwa mit dem Auto transportiert oder sie vor dem Verdursten in der Wüste rettet, kann sich nach dem neuen Gesetz des Menschenschmuggels schuldig machen und muss mit hohen Strafen rechnen.
Das Gesetz wird nicht nur von antirassistischen und Menschenrechtsgruppen kritisiert. Anders als in Deutschland ist in den USA das Recht auf individuelle Bewegungsfreiheit ohne die Verpflichtung, sich auszuweisen, in der Gesellschaft tief verankert. Aufrufe zum Protest und zu einem Wirtschaftsboykott von Arizona gingen in den vergangenen Wochen durch die Medien. Der Stadtrat von Los Angeles beschloss einen Boykott, dem sich beispielsweise Sportvereine und weitere Wirtschaftsbranchen angeschlossen haben. Andere Städte zogen nach, wie San Francisco und der Distrikt Südkalifornien. In Arizona klagten die Städte Flagstaff und Tucson gegen das Gesetz.
Neben diesen offiziellen Klagen hat sich eine breite Bürgerbewegung aus Migranteninitiativen, Liberalen, Native Americans und radikalen Linken formiert. Selbst manche konservative Think-Tanks haben sich gegen das Gesetz gewendet, da sie darin einen Verstoß gegen ihre politische Grundlinie sehen.

Jimmy DeLocke, ein linker Aktivist aus Tucson, berichtet von einem regelrechten Boom an Gruppengründungen in seiner Stadt, der allerdings lange vor der Verabschiedung des Gesetzes in Arizona begonnen hat. »Es gib einen anarchistischen Zusammenschluss, der ›No more Deaths‹ heißt und vor allem die mexikanische Grenze im Fokus hat«, erzählt er. Dann berichtet er von der Gruppe O’odham Voices against the Wall, einer Natives-Gruppe aus der Gegend. »Mir ist es wichtig, in der ganzen Debatte um SB 1 070 und die Boykotte und Resolutionen der einzelnen Städte klarzustellen, dass die Lösung nicht eine bessere Grenze sein kann. Vielmehr ist das Grenzregime an sich das Problem«, sagt er.
Arizona ist seit langem der US-Bundesstaat mit der höchsten Anzahl an illegalisierten Migranten. Viele Einwanderer sehen den Grenzstaat als Durchreiseland nach Kalifornien, wo die meisten von ihnen als Billigarbeiter in der Landwirtschaft beschäftigt sind. Aber auch in Arizona sind weite Teile der Wirtschaft von der Arbeit von Einwanderern aus Lateinamerika abhängig. Die rechtliche Lage ist dabei nicht eindeutig. Illegalisierte Migranten dürfen zur Schule gehen und die Universität besuchen, sofern sie keine staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen. Dennoch bedeuten diese Freiheiten kein Schutz vor der willkürlichen Abschiebung.
Im Vorfeld der Verabschiedung von SB 1 070 heizten die Republikaner mit populistischen Aussagen über »Ausländerkriminalität« die Stimmung an, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Der Bundesstaat Arizona sieht sich außerdem im Kampf gegen den Drogenhandel und den ausufernden Bandenkrieg in den mexikanischen Grenzstädten vom Staat alleingelassen und hat daraufhin das neue Gesetz forciert. Bereits im Jahr 2005 riefen die Bundesstaaten Arizona und New Mexiko wegen des Drogenkriegs und der illegalen Migration den nationalen Notstand aus, um gut zwei Millionen Dollar für Grenzstädte im Budget frei zu machen.
Anna Gaines, Vorsitzende von American Citizens United, einer Gruppe, die härtere Einwanderungsgesetze fordert, sagt: »Die Illegalen kommen bewusst hierher und brechen das Gesetz, also müssen sie auch mit den Konsequenzen rechnen.« Diese Aussage empört viele hispanics und US-amerikanische Staatsbürger mexikanischer Abstammung. Gaines steht mit dieser Ansicht aber nicht alleine da. In Arizona existieren selbsternannte Grenzschützer und Bürgerwehren, die mit Pferden und Jeeps an der Grenze patrouillieren und vermeintliche Illegale mit Waffen bedrohen und der Polizei ausliefern. Auch Privatpolizei, wie die berüchtigten Pinkertons, wird an einzelnen Abschnitten des Grenzzauns eingesetzt, um Illegale aufzuspüren.
An der US-mexikanischen Grenze in der Sonora-Wüste (Arizona) sind die Auswirkungen der Migrationspolitik am deutlichsten sichtbar. Staat­liche Quellen schätzten die Todesrate von Migranten, die zwischen 1999 und 2009 im Grenzbereich von Arizona unter anderem aufgrund von Dehydrierung starben oder erfroren, auf 1 755. Linke Quellen sprechen von 1 500 Toten allein in den vergangenen fünf Jahren. Nach Angaben der Organisation Coaliciòn de Derechos Humanos gab es im Jahr 2010 schon 110 Tote an der Grenze zu Arizona.
Marco, ein Aktivist aus der mexikanischen Community in Tucson, berichtet von den traumatischen Erlebnissen in der Wüste nahe der Grenze: »Einmal haben Aktivisten von No more Deaths drei Migranten gefunden. Zwei waren Geschwister, einer hat die Überquerung der Grenze nicht überlebt. Das war ein großes Trauma für den überlebenden Bruder.« Marco erzählt auch von drastischen Fällen von Vergewaltigungen: »An manchen Orten warten mexikanische Männer auf Migrantinnen. Sie überwältigen und vergewaltigen sie. Es gibt sogar einen Ort, wo die Unterwäsche der vergewaltigten Frauen wie eine Art perverse Trophäe an einem Baum gehängt wird.«

Ein erster Testlauf von SB 1 070 wurde am 15. April in verschiedenen Städten Arizonas durchgeführt. Rund 800 Polizisten, Beamte des FBI und der Homeland Security stürmten mit Hubschraubern und Maschinengewehren den südlichen Stadtteil von Tucson. Angeblich galt dieser militärische Einsatz der Suche nach Drogen- und Menschenschmugglern. Viele Leute aus der mexikanischen Community sehen das jedoch als einen direkten Angriff gegen die Mexikaner.
»Was wir erlebt haben, war eine Terrorisierung der gesamten Community. Die Leute haben Angst, sie wollen ihre Häuser nicht mehr verlassen. Selbst Kinder und Schulbusse wurden angehalten und mit vorgehaltenen Waffen durchsucht«, erzählt die Aktivistin Kat Rodriguez. Ihre Kollegin, Lynda Cruz, berichtet weiter: »Wir haben Anrufe bekommen, dass überall Durchsuchungen stattfanden. Ich habe so etwas noch nie gesehen. Männer mit AK47-Gewehren und mit Sturmmasken rannten durch die Straßen. Aktivisten, die die Situation beobachten wollten, wurde die Verhaftung angedroht.«
Die Positionen in der Debatte um das neue Gesetz in Arizona sind verhärtet, die Atmosphäre ist durch rassistische Vorurteile und durch die massive Militarisierung des Alltagslebens vergiftet. Die letzten konservativen Unterstützer einer Reform des Immigrationsgesetzes auf Bundesebene haben den Ton erheblich verschärft. Ein offizieller Sprecher von John McCain, dem Senator von Arizona und ehemaligen republikanischen Präsidentschaftskandidaten, betont die neue politische Linie: »Erst kommt die Sicherheit der Grenze. Dann sehen wir weiter.« Schnell bringt er seine Ansichten auf den Punkt: »Die Illegalen kosten uns Steuern und plündern die Sozialversicherung. Und die Ausländerkriminalität steigt.« Diese Ansicht teilen viele Bewohner in Arizona. Die einzige Hoffnung der linken Opposition besteht darin, eine starke Bürgerbewegung auf die Beine zu stellen, um Obama und die staatlichen Institutionen zum Einschreiten zu zwingen. Denn in Sachen Immigration gilt noch immer das staatliche Recht vor dem föderalen Recht. Bereits 1941 hatte der Bundesgerichtshof ein ähnlich scharfes Immigrationsgesetz, das in Pennsylvania erlassen worden war, für rechtswidrig erklärt. Darauf ruhen die Hoffnungen vieler Menschrechtsaktivisten. Ein erster Erfolg der derzeitigen Mobilisierung war in der vergangenen Woche in Phoenix zu sehen, wo bis zu 70 000 Menschen gegen das neue Gesetz protestiert haben.
Die Debatte um SB 1070 ist allerdings nicht nur auf Arizona begrenzt. An der Südgrenze Mexiko werden illegale Migranten aus Lateinamerika häufig ohne Prozess für Monate inhaftiert, Vergewaltigungen und Lösegeldforderungen an die Familien sind alltäglich. Auch von Erschießungen und Folter berichten dortige Menschenrechtsgruppen.