Christian Pfeiffer über gewalttätige muslimische Jugendliche und Aufklärungstendenzen im Islam

»Das wird sich ändern«

Eine Studie zur Jugendgewalt zeigt, dass muslimische männliche Jugendliche um so mehr zur Gewalt neigen, je religiöser sie sind. Bei christlichen Jugendlichen gilt der Studie zufolge das Gegenteil. Verfasser der Untersuchung ist Christian Pfeiffer, Vorsitzender des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen und ehemals niedersächsischer Justizminister.

Der Beitrag eines muslimischen Kommentatoren zu Ihrer Studie beginnt mit dem Satz: »Wenn es eines gibt, worauf die Islamophoben gewartet haben, war es so eine Studie.«
Wir sehen unsere Studie nicht als Beleg für eine problematische Auswirkung des Islam, sondern sagen, dass die Art und Weise, wie der Islam durch die Mehrheit der Imame in Deutschland präsentiert wird, problematisch ist. Von daher freut es mich, heute in der Presse zu lesen, dass sich in Köln ein liberal-islamischer Bund gegründet hat, der in Deutschland einen Islam vertreten möchte, der insbesondere der im traditionellen Islam stark betonten Dominanz des Mannes widerspricht.
Wir haben hier eine Situation, die der der evangelischen und katholischen Kirchen kurz nach dem Krieg ähnelt, in denen damals auch noch ganz klar die Dominanz des Mannes betont wurde. Seitdem ist ein Wandlungsprozess zu beobachten. Während früher bei uns die christliche Religion noch sehr patriarchalisch interpretiert wurde, hat sich in den fünziger Jahren zuerst vorsichtig, in den sechziger und siebziger Jahren immer deutlicher ein verändertes Bild der Geschlechterrollen durchgesetzt. Das erleben wir auch im Islam – eben mit zeitlicher Verzögerung. Daher ist nicht verwunderlich, dass es eine Interpretation des Islam gibt, die nicht besonders integrationsfreundlich ist, und dass wir zu dem Ergebnis kommen: Je öfter Jugendliche solche Moscheen besuchen, umso mehr entfremden sie sich unserer Kultur. Daneben gibt es, wie die Studie von Rauf Ceylan deutlich zeigt, eine wachsende Gruppe von Imamen und religiösen Orientierungen innerhalb des Islam, die zurecht als ­liberal bezeichnet wird und die intellektuell aufgeschlossen ist.
Ceylan sagt aber auch, dass die Mehrheit der Imame noch immer einen konservativen Islam predige. Und in einem Interview mit der Islamischen Zeitung sagte er, dass die in muslimischen Gemeinden engagierten Jugendlichen schon allein durch die soziale Kontrolle deutlich weniger delinquent seien als andere Jugendliche. Widerspricht das ihrer Studie?
Dazu hat er keine empirischen Erhebungen gemacht, das steht auch nicht in seinem Buch, und wie ich ihm gestern kritisch sagte, ist das eine Behauptung, die er nicht belegen kann.
Sie machen für die höhere Gewaltbereitschaft muslimischer männlicher Jugendlicher deren Machokultur verantwortlich. Auch das Christentum scheint in manchen Regionen noch eine Machokultur zu befördern. Ist diese denn unter den christlichen migrantischen Jugendlichen schon überwunden?
Nein, noch nicht ganz, wir haben interessante kleine Unterschiede feststellen können zwischen evangelischen und katholischen Migranten. Bei evangelischen oder etwa auch bei buddhistischen und jüdischen Migranten gilt: Je religiöser sie sind, umso weniger machistisch sind sie, und um­so eindeutiger lehnen sie Gewalt ab. Bei den katholisch geprägten Mirganten geht das leicht in eine andere Richtung – aber lange nicht so deutlich wie beim Islam. Zum Beispiel fragen wir die Jugendlichen: »Stell dir vor, du bist Vater, und du hast eine 13jährige Tochter, die nachts um Zwölf nach Hause kommt, statt wie vereinbart um Acht. Was machst du mit ihr?« Da gibt es fünf Antwortvorgaben, und eine davon lautet »Verprügeln«. Da zeigt sich, dass diese Antwort am stärksten von den sehr religiösen jungen Muslimen gewählt wird, aber auch von katholischen Migranten. Es gibt speziell bei den katholischen Zuwanderern noch ein gewisses patriarchalisches Denken, das religiös gestützt wird. Diese wie gesagt nur schwache Tendenz überrascht mich nicht völlig, denn schaut man sich die katholische Kirche an, ist sie immer noch deutlich von Männern dominiert.
Religionssoziologen von der Universität Münster behaupten, die Aggression muslimischer Jugendlicher stelle eine mögliche Antwort auf die Erfahrung dar, als muslimischer Mensch diskriminiert zu werden.
Auch wir schreiben, dass wir die Gewalttätigkeit nicht einseitig dem Islam oder seiner Praxis zurechnen, sondern dass wir empirisch belegen können, dass Muslime mit stärkerer gesellschaftlicher Zurückhaltung und teilweise auch Ablehnung betrachtet werden. Ich würde nicht von einer generellen Ablehnung sprechen, aber unsere Fragen im Integrationsteil unserer Studie zeigen, dass große Unterschiede bezüglich der Akzeptanz der verschiedenen ethnischen Gruppen in Deutschland bestehen, und gegenüber den Muslimen besteht die größte Zurückhaltung.
Spannend wird es, wenn wir die jeweilige Frömmigkeit der Muslime beachten. Da zeigt sich: Je intensiver Muslime im Glauben verankert sind, umso weniger sind sie integriert. Damit kommt ein Aspekt hinzu, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob man das der Haltung der Deutschen zurechnen kann – die Deutschen wissen ja gar nicht genau, wie religiös jemand ist, ob jemand etwa zuhause vor dem Einschlafen betet oder nicht. Und da sehe ich die kritische Frage an jene Imame gerichtet, die mit der deutschen Kultur nicht verbunden sind.
Ihre Studie beruht auf Aussagen der Jugend­lichen. Könnte man nicht vermuten, dass die Jugendlichen, die gegenüber der deutschen Mehrheitsgesellschaft ein besonders starkes Abgrenzungsbedürfnis haben, angeben, besonders muslimisch oder gewalttätig zu sein – schlicht der Provokation wegen?
Das ist reine Spekulation, denn die Gewalttätigkeit haben wir ja gegenkontrolliert. Die Jugend­lichen wurden zuerst gefragt, ob sie Opfer von Gewalt waren, etwa die türkischen Jugendlichen. Die fragen wir weiter, welcher ethnischen Gruppe die Täter angehört haben, und dann sind die Türken bei den Tätern um das dreifache überrepräsentiert – und das aus der Sicht von türkischen Opfern, die sehr wohl wissen, ob der Täter ein Türke war. Dass die muslimischen Jugendlichen deutlich gewalttätiger sind, ist eine objektive Tatsache.
Und zu den Angaben zur Religiosität: Es gibt keinen Grund dafür, das die befragten Schüler ihre Religiosität übertreiben, dass ist ja keine verbale Äußerung gegenüber einem staunenden Publikum, sondern sie sitzen da und kreuzen an, wie sie sich selbst einschätzen. Insofern gibt es keinen Anhaltspunkt für die Annahme, die Jugendlichen wollten durch die Antworten provozieren. Wir nutzen auch spezielle Fragen zur Lügenkontrolle und konnten so feststellen, dass die Lügen­rate bei unter zwei Prozent liegt. Wir nehmen die Aussagen zur Religiosität daher ernst.
Angesichts Ihrer Studie setzen muslimische Verbände auf das Argument, die gewaltbereiten muslimischen Jugendlichen pflegten gar keine strenge, sondern eine oberflächliche Religiosität, da sie die Gebote nicht befolgten.
Das ist eine Schutzbehauptung der betroffenen Organisationen, die empirisch keine Deckung hat. Eine unserer Fragen lautet: »Wie wichtig ist Religion in deinem Leben?« Dort konnten die Schüler verschiedene Antworten von »sehr wichtig« bis »gar nicht wichtig« ankreuzen. Was da ­jeder für sich ankreuzt, nehme ich ernst. Die Schutzbehauptung, das seien keine wirklich religiösen Jugendlichen, die gewalttätig werden, mogelt sich darum herum, dass es im Islam in der Weise, wie er von der Mehrheit der Imame gepredigt wird, ein Problem gibt, und das ist die Machokultur.
Mich rief vor kurzem eine Türkin an, die sich für die Studie bedanken wollte. Sie sagte, sie sei eine gläubige Muslima und sie ärgere sich jedes Mal, wenn sie in die Moschee geht, dass es für sie dort einen gesonderten Raum gibt, der im Vergleich zum Raum der Männer nur spärlich ausgestattet ist, und dass der Prediger sich nur an die Männer wendet. Es werde ihr allein durch die Organisation des Gebets vermittelt, dass sie weniger Wert sei und sich unterordnen müsse. Das macht sie wütend, sie findet, es muss einen anderen Islam geben, in dem Männer und Frauen gleich behandelt werden. Da hat sie Recht.
Und die männliche Dominanz ist der Grund für die Gewalttätigkeit junger Muslime?
Ja, die Machokultur lebt ja von der These, dass die Männer sich das Recht herausnehmen dürfen, innerfamiliär bei Ungehorsam zuzuschlagen. Das ist eine der Thesen, nach denen wir fragen. Wir messen mit acht Äußerungen, die alle schöne Machoäußerungen sind, die Akzeptanz, und wir sehen: Je öfter die Jugendlichen in die Moschee gehen, je wichtiger ihnen die Religion ist, umso mehr akzeptieren sie diese Thesen. Da denke ich, damit muss sich der Islam auseinandersetzen, und das geschieht ja auch. Da ist Bewegung, und in 50 Jahren wird das ganz anders aussehen. Bei uns mussten die Frauen in der Kirche auch lange kämpfen und müssen das noch immer. Das Gesetz, dass eine Frau einen Job annehmen oder ein Konto eröffnen darf, ohne ihren Mann um Unterschrift zu bitten, kam in Deutschland im Jahr 1957, in der Schweiz 1977 und in der Türkei 1997. In arabischen Ländern haben wir das noch heute nicht, aber das wird kommen.
Es gibt aber auch die Ansicht, dass die verbreitete konservative Interpretation des Islam eher eine Art Gegenbewegung, eine Reaktion auf eine als bedrohlich empfundene Moderne ist. Wäre das nicht auch möglich?
Nein, der Islam ist ja in Predigt und Praxis dort am konservativsten, wo es überhaupt keine liberalen Grundströmungen gibt – wie etwa in den arabischen Ländern. Die Männerdominanz ist am ausgeprägtesten dort, wo es diese Konfrontation mit dem Westen gar nicht gibt. Das ist eine alte Tradition, die sich aber wandelt.
Aus Ihrer Studie werden vor allem die Aussagen zur Religion zitiert. Sind Faktoren wie Armut, Ausgrenzung und mangelnde Bildung nicht genauso wichtige Faktoren für die jugendliche Gewaltdelinquenz?
Natürlich haben wir diese Faktoren berücksichtigt, wir haben 500 Seiten über diese Schülerbefragung veröffentlicht, im ersten Band geht es nur um diese Faktoren. Wir haben dazu auch viele Präventionsvorschläge entwickelt. Aber diesmal haben wir auch die Religion als einen Faktor unter vielen mitberücksichtigt, und haben dann Regressionsanalysen gemacht, in denen natürlich Bildung und Armut und all das mitberechnet wird. Spannenderweise kam heraus, dass die Wirkung der Religiosität als Einflussfaktor erhalten bleibt, und zwar bei zwei zentralen Förderfaktoren der Gewaltbereitschaft: die Machokultur und die Nutzung brutaler Computerspiele.
Es zeigt sich ferner, dass zu dem allerwichtigsten Einflussfaktor, der Gewalt fördert, die Freundschaft mit delinquenten Jugendlichen gehört. Bei allen anderen Religionen konnten wir zeigen, das mit steigender Religiösität die Quote delinquenter Freunde niedriger ist, nur bei den Muslimen haben wir die gegenteilige Tendenz. Wir berücksichtigen natürlich die Frage, wie sich die Tatsache auswirkt, dass die türkischen Jugend­lichen am zweithäufigsten und die arabischen Jugendlichen am häufigsten arbeitslose Eltern haben. Das ist ein massiver Faktor. Der Vorteil von Regressionsanalysen ist, dass man mehrere Einflussfaktoren berücksichtigen und dann die Interdependenzen messen kann. Da zeigt sich etwa, dass die innerfamiliäre Gewalt in den muslimischen Familien höher ist, aber nicht mit wachsender Religiosität steigt. Es kam nicht heraus: Je religiöser muslimische Eltern sind, umso häufiger prügeln sie ihre Kinder, sondern, dass das eindeutig eine Folge der sozialen Verhältnisse ist. Bei der Machokultur, beim Gebrauch von Gewaltmedien und der Freundschaft mit delinquenten Jugendlichen ist der Zusammenhang mit der Religiosität dagegen signifikant.