Tamar Amar-Dahls Biografie von Shimon Peres

Zwischen Peace und Panzern

»Shimon Peres, Friedenspolitiker und Nationalist«: Die Historikerin Tamar Amar-Dahl hat eine umfassende Biografie des dienstältesten israelischen Politikers geschrieben.

Als der Staat Israel vor kurzem seinen 62. Geburtstag feierte, konnte der israelische Staatspräsident Shimon Peres auf eine ebenso lange politische Karriere zurückblicken. Peres, der im August 87 Jahre alt wird, hat die Geschichte Israels und damit auch das politische Selbstverständnis der israelischen Gesellschaft von Beginn an entscheidend mitgeprägt. Eine politische Biografie des amtierenden Staatspräsidenten, dreimaligen Ministerpräsidenten, vielfachen Ministers, engen Vertrauten des Staatsgründers David Ben-Gurion, langjährigen Vorsitzenden der israelischen Arbeitspartei und Mitglied des israelischen Parlaments von 1959 bis 2007 bietet daher eine einzigartige Möglichkeit, zentrale Probleme der politischen Geschichte Israels zu skizzieren. Eine solche Biografie liegt nun vor, verfasst von der in Israel geborenen Historikerin Tamar Amar-Dahl.
Nicht nur seine ständige Präsenz im Zentrum der israelischen Politik macht Peres zu einer Schlüsselgestalt, sondern auch die Widersprüchlichkeit seines politischen Handelns, in dem sich die Dilemmata der israelischen Politik spiegeln. Während Peres im Ausland als Konsens­figur Israels gilt, ist er im eigenen Land höchst umstritten. Er steht sowohl für den Versuch einer friedlichen Lösung des Palästina-Konflikts, insbesondere als Mitinitiator des Oslo-Prozesses, wie auch für die Politik militärischer Stärke und Kompromisslosigkeit gegenüber den Palästinensern und den arabischen Staaten. Die Biografie von Amar-Dahl erhebt den Anspruch, diese Widersprüche erklären zu können.
Um es vorwegzunehmen: Es gelingt ihr nicht. Zwar entfaltet sie anschaulich die verschiedenen Seiten und Facetten des Politikers. Sie kann damit nicht nur das einseitige Bild des israelischen Staatspräsidenten als »Friedenspolitiker« korrigieren, sondern auch zeigen, weshalb er in entscheidenden Momenten als Friedenspolitiker gescheitert ist. Doch die Gründe dieses Scheiterns bleiben verborgen. Das Buch vergibt die Chance, anhand der Biografie die Konflikte zu erörtern, welche die israelische Politik und Gesellschaft bis heute prägen.
Dies liegt im Wesentlichen an zwei konzeptionellen Vorentscheidungen. Zum einen vermeidet es die Autorin fast durchgehend, die Aktivitäten ihres Protagonisten aus dem historischen, politischen und kulturellen Kontext heraus zu interpretieren. Zum anderen verfolgt sie einen radikal deduktiven Ansatz: Die Interpretation steht vorab fest, das untersuchte Material dient lediglich seiner Veranschaulichung. So bleibt das von Peres gezeichnete Bild schematisch, und der Hintergrund für sein Denken und Handeln wird nicht analysiert.
Dennoch ist es gerade für ein deutsches Publikum lohnend, sich der teilweise mühevollen und durch viele Wiederholungen erschwerten Lektüre zu unterziehen. Die deutsche Debatte über Israel und den Palästina-Konflikt leidet notorisch darunter, dass aus einer rein deutschen Perspektive argumentiert und diese Debatte häufig ohne Wissen über die Geschichte des Konflikts geführt wird. Oftmals scheint das Ausmaß der Ignoranz im direkten Verhältnis zur Entschiedenheit zu stehen, mit der die verschiedenen Positionen vertreten werden.
Da kann der Band zu stärkerer Differenzierung beitragen. Zum einen erschließt die Autorin die kritische israelische Diskussion, aus der sie ihre Interpretationen vorwiegend bezieht. Zum anderen bietet der Band Informationen über wichtige Etappen der israelischen Geschichte und zeigt deren Konfliktreichtum und Komplexität. Auch wenn Amar-Dahl hierfür nur Ansätze liefert, so ist ihr Werk ein guter Ausgangspunkt dafür, um den Widersprüchen der israelischen Politik auf den Grund zu gehen. Er zeigt gerade auch in seinen Unzulänglichkeiten, dass die Geschichte und Gesellschaft Israels nicht für Pauschalisierungen und Identifikationen taugt.
Dass Shimon Peres bereits in den Anfangsjahren des israelischen Staates im Zentrum der politischen Macht, aber auch der ideologisch-politischen Auseinandersetzungen stand, zeigt sich an seiner Rolle in der Lavon-Affäre und im Suez-Krieg. Beides sind bedeutsame Ereignisse der israelischen Geschichte der fünfziger Jahre, deren Bedeutung und Konsquenzen jedoch außerhalb Israels kaum mehr bekannt sind und an die zu erinnern ein wichtiges Verdienst des Bandes ist.
1954 unternahm eine israelische Einheit ohne Wissen des damaligen Ministerpräsidenten Moshe Sharett verdeckte Operationen in Ägypten, um das Land zu destabilisieren und so den Abzug der Briten vom Suez-Kanal zu verhindern. Die Aktion flog auf und führte zum Rücktritt des Verteidigungsministers Pinhas Lavon. Im Suez-Krieg kämpften 1956 israelische Truppen an der Seite von Großbritannien und Frankreich gegen Ägypten, das den Einfluss der ehemaligen Kolonialmächte im Nahen Osten zurückdrängen und sich als Führungsmacht des panarabischen Nationalismus etablieren wollte.
Lavon-Affäre und Suez-Krieg standen im Zusammenhang tiefgreifender Auseinandersetzungen innerhalb des politischen Establishments in Israel. Es gab damals zwei sehr unterschiedliche Einschätzungen der Lage, in der sich Israel in den Jahren nach der Staatsgründung befand, und eine Kontroverse über die geeignete politische Strategie, wie man der Situation begegnen solle. Während Ben-Gurion davon ausging, dass die arabischen Staaten, allen voran Ägypten, Israel zerstören wollten und daher auf eine konsequente Politik der militärischen Abschreckung und Stärke setzte, sah Sharett die Möglichkeit, mit diesen Staaten zu verhandeln, wenn Israel von einer aggressiven Außenpolitik ablassen würde. Ben-Gurion blieb Sieger in dieser Auseinandersetzung.
Amar-Dahl macht deutlich, dass hier langfristig politische Weichen gestellt wurden und dass Peres, der als Generaldirektor im Verteidigungsministerium wesentlichen Anteil daran hatte, die Position Ben-Gurions uneingeschränkt teilte.
Es wird jedoch nicht dargelegt, was Peres zu dieser Haltung brachte. Der arabische Nationalismus ist in dieser Darstellung vollkommen abwesend, und es wird gar nicht erst diskutiert, ob die Vernichtung Israels vielleicht tatsächlich das Ziel der arabischen Staaten war. Die politischen Auseinandersetzungen in Israel standen darüber hinaus im Kontext jahrzehntelanger Debatten darüber, welche Bedeutung militärische Gewalt in der zionistischen Bewegung haben sollte. All dies spielte eine gewichtige Rolle dabei, wie nicht nur von Peres, sondern auch von weiten Teilen der israelischen Gesellschaft das Verhältnis zur arabischen Welt in den kommenden Jahrzehnten gesehen wurde.
Peres’ Position in den politischen Auseinandersetzungen der fünfziger und sechziger Jahre ist aufschlussreich, um seine widersprüchliche Haltung gegenüber dem Oslo-Prozess zu verstehen. Als Außenminister im Kabinett von Yitzhak Rabin war Peres maßgeblich am Zustandekommen der Abkommen von Oslo beteiligt. Nach Rabins Tod hatte er entscheidenden Anteil daran, dass der Friedensprozess schließlich ausgebremst wurde. Amar-Dahl zeigt überzeugend, dass Peres sich nur widerwillig auf diesen Prozess einließ und sich noch lange gegen die Idee eines palästinensischen Staates sträubte. Hier wirkten die in den Jahrzehnten davor entwickelten Überzeugungen hemmend auf ihn ein. Nicht erklärt wird damit aber, weshalb sich Peres dennoch hinter diesen Prozess stellte und auch schon zuvor als Ministerpräsident deutliche Signale in dieser Richtung setzte, etwa mit dem teilweisen Abzug aus dem Libanon 1985. Peres’ Position gegenüber dem Friedensprozess ist wesentlich vielschichtiger als das Buch suggeriert.
Um dies zu erklären und die Bedeutung für die israelische Gesellschaft angemessen zu würdigen, müsste die innenpolitische Entwicklung in Israel stärker ins Blickfeld rücken. Den Hintergrund bilden unter anderem der Machtverlust der Arbeitspartei 1977 und die allmähliche Auflösung der zionistischen Integrationsideologie, die innenpolitischen Auswirkungen des Libanon-Kriegs von 1982 und die Entstehung einer Friedensbewegung in Israel, die ökonomische Krise der achtziger Jahre und der Niedergang des korporatistischen israelischen Sozialstaatsmodells sowie nicht zuletzt die Entwicklungen in der israelischen Rechten, wo ein religiös motivierter aggressiver Nationalismus entsteht. All dies führt dazu, dass die in den fünfziger und sechziger Jahren gewonnenen Überzeugungen nicht nur bei Peres, sondern auch bei erheblichen Teilen der israelischen Gesellschaft ins Wanken geraten.
Dass diese Überzeugungen jedoch keineswegs verschwunden sind, ist ein wesentlicher Grund dafür, dass der Oslo-Prozess auch von israelischer Seite nur halbherzig verfolgt wurde und schließlich scheiterte. Auch hier bietet Peres’ Scheitern als Ministerpräsident Einsichten in damalige politische Situation. Kurz nachdem er das Amt des Ministerpräsidenten von dem ermordeten Yizak Rabin übernommen hatte, ordnete Peres die Liquidierung eines hochrangigen Hamas-Funktionärs an. Auf die darauf folgende Welle palästinensischer Selbstmordattentate und auf die zunehmenden Angriffe der Hizbollah reagierte Peres angesichts der bevorstehenden Parlamentswahlen mit Eskalation. Er setzte die Friedensgespräche mit der palästinensischen Autonomiebehörde aus und startete die Militäroperation »Früchte des Zorns« im Libanon.
Diese Entscheidung war in zweierlei Hinsicht wegweisend. Zum einen hatte innerhalb der Arbeitspartei wieder eine Sichtweise die Oberhand gewonnen, die auf eine militärische statt politische Sicherheitsstrategie setzte und dabei auf altbewährte Deutungsmuster zurückgriff. Nicht zufällig war es vor allem der damalige Außenminister Ehud Barak, der sich für einen Angriff im Libanon stark machte. Peres hatte Barak zum Außenminister ernannt, nachdem er selbst Ministerpräsident geworden war, und damit den bisherigen Vize-Außenminister Yossi Beilin, die eigentlich treibende Kraft hinter den Friedensverhandlungen mit den Palästinensern, umgangen. Zum anderen hat Peres mit dieser Politik nicht nur die Wahl verloren, sondern auch den Untergang der Arbeitspartei und die Auflösung des Friedenslagers eingeleitet. Als Führer der Arbeitspartei hat Ehud Barak die von Peres begonnene Entwicklung dann zum Abschluss geführt.
An Peres’ Haltung zum Oslo-Prozess zeigt sich, wie tief die Überzeugung, dass die Sicherheit und Existenz Israels nur militärisch gewährleistet werden könne, im israelischen politischen Bewusstsein verankert ist. Dies hat zu einer strukturellen Militarisierung von Politik und Gesellschaft geführt und die Handlungsmöglichkeiten der israelischen Politik entscheidend eingeschränkt. Die Frage, die Amar-Dahl aber nicht stellt, ist die, ob diese Überzeugung nicht zum Teil auf zutreffenden Beobachtungen und realen Erfahrungen basiert. Hier macht sich die fehlende Kontextualisierung der von ihr bei Shimon Peres konstatierten Vorstellungen bemerkbar. Der von ihm so entscheidend mitgeprägte Sicherheitsdiskurs wurzelt nicht nur in einer langen Verfolgungsgeschichte, die zwar nicht die einzige, jedoch eine wesentliche Voraussetzung des Zionismus insgesamt ist. Er regiert auch auf reale Bedrohungen, die sich Israel und seine Bewohner bis heute ausgesetzt sehen. Erst wenn dieser historische Hintergrund anerkannt ist, lässt sich sinnvoll darüber diskutieren, ob und wie der Sicherheitsdiskurs überwunden werden kann.
Eng verbunden mit dem militärischen Sicherheitsbedürfnis ist das, was Amar-Dahl zutreffend als »Trennungsdiskurs« bezeichnet: Gemeint ist eine Politik, die davon ausgeht, dass die politischen Handlungen Israels sowohl für die Situation der Palästinenser wie auch für die Lösung des Palästina-Konfliktes irrelevant sind. Diese Haltung zieht sich von Anfang an durch die zionistischen Diskussionen. Sie basiert nicht zuletzt auf der Annahme, dass der Judenhass unter den Nichtjuden eine nicht beeinflussbare Konstante ist. Für Peres, und mit ihm für einen Großteil der politischen Elite Israels, bedeutet dies unter anderem, dass die israelische Besatzungsherrschaft keinen Anteil am Fortbestehen des Palästina-Konfliktes hat und dass der Konflikt nicht unbedingt durch Verhandlungen oder durch eine Partnerschaft mit den Palästinensern gelöst werden muss. Selbst Ariel Sharons katas­trophale Politik des Unilateralismus, welche die Legitimität der Palästinensischen Autonomiebehörde untergraben und den Gaza-Streifen an die Hamas ausgeliefert hat, geht auf diese Überzeugung zurück.
Allerdings unterlässt es Amar-Dahl zu fragen, ob dieser »Trennungsdiskurs« nicht auch eine Reaktion auf die Weigerung der arabischen Seite ist, einen Dialog mit den Juden in Palästina und mit dem Staat Israel zu führen.
Insgesamt tendiert die Autorin dazu, der israelischen Seite die Schuld am Fortbestehen des Konflikts zuzuweisen. Bezeichnend hierfür ist ihre Erklärung für die von Hamas und Islamischem Jihad verübten Selbstmordattentate. Damit, so Amar-Dahl, hätten die Islamisten lediglich auf das 1994 von Baruch Goldstein in Hebron verübte Massaker an 29 Palästinensern reagiert.
Lesenswert ist die Biografie allerdings dennoch, zeigt sie doch, dass Peres mit seiner Politik an ideologischer Borniertheit und Unbeweglichkeit gescheitert ist. Wirklich interessant wird diese Einsicht aber erst dann, wenn diese Borniertheit als Symptom gesellschaftlicher Konflikte und Prozesse verstanden wird. Immerhin bietet das Buch von Tamar Amar-Dahl einen Ansatzpunkt, um sich dieser komplizierten Thematik zu nähern.

Tamar Amar-Dahl: Shimon Peres. Friedenspolitiker und Nationalist. Schöningh, Paderborn 2010. 471 Seiten, 39,90 Euro