Wen kümmert’s? Der Iran bombardiert Kurden im Nordirak

Gefährliche Störenfriede

Gegen iranische Angriffe wird im kurdischen Nordirak protestiert. Anderswo ­jedoch nicht.

Die Forderung des jüngst in der irakisch-kurdischen Zeitschrift Awene erschienen Artikels könnte klarer nicht sein: »Schließt am nächsten Freitag alle Moscheen.« Denn seit nunmehr sechs Wochen, argumentiert der Autor, der sich selbst als gläubig bezeichnet, bombardieren iranische Truppen irakisch-kurdische Grenzdörfer, aber bislang gab es keinen Protest aus der islamischen Welt. »Sind wir etwa keine Muslime?« fragt er. Wenn das der Islam sei, so müsse man gegen diesen Islam demonstrieren.
Hunderte Zivilisten mussten fliehen und fristen in brütender Hitze ihr Leben in provisorischen Zeltlagern. Ein 14jähriges Mädchen kam bei den Angriffen um. Angeblich bekämpft der Iran »nur« Kämpfer der PJAK, eines iranischen Ablegers der PKK. Auch die Türkei hat ihre grenzüberschreitenden Aktivitäten im Nachbarland verstärkt, seit die PKK Anfang Juni ihren einseitigen Waffenstillstand aufgekündigt hat. Es gehen sogar Gerüchte um, das türkische und das iranische Militär koordinierten ihre Aktionen.
In kurdischen Nordirak ist man sich dagegen sicher: PKK und PJAK dienen beiden Nachbarstaaten nur als Vorwand. Wenige Monate vor dem Abzug der US-Truppen aus dem Irak wollen sie demon­strieren, wer in der Region das Sagen hat. Präsident Barack Obama gehe es nur darum, die Truppen unbeschadet aus dem Irak abzuziehen, deshalb vermeide er jede direkte Konfrontation mit den Nachbarländern. Auch wenn die Türkei und der Iran gut am Wirtschaftsboom im Nordirak verdienen, ist ihnen die recht freie politische Verfasstheit der Autonomieregion ein Dorn im Auge. Zudem gelten die irakischen Kurden als Alliierte der USA. Ginge es nach ihnen, sollten deren Truppen so lange wie möglich in der Region bleiben.
Auch wenn man dem Iran dankbar ist, dass er in den vergangenen Jahrzehnten großzügig kurdische Flüchtlinge aus dem Irak aufgenommen hat, wächst seit langem der Unmut über das Nachbarland. In Mossul und Arbil kam es zu Demonstrationen gegen die Militäraktionen, in Suleymaniah wurde zum Boykott iranischer Produkte aufgerufen, und auch die unzähligen kurdischen Aktivisten, die dieses Jahr im Iran exekutiert wurden, sind nicht vergessen. Man sympathisiert mit der Grünen Bewegung im Nachbarland. »Ahmedinejad, Khamenei und diese ganze Regierung sollten Saddam Hussein möglichst bald ins Jenseits folgen«, empört sich etwa Faisal Dana, ein junger Journalist, der in Arbil eine Kampagne für die Flüchtlinge unterstützt.
Immer dreister mischt sich der Iran in die irakische Innenpolitik ein, das Regime versucht, die Bildung einer schiitisch dominierten Regierung in Bagdad zu forcieren. »Wir haben, anders als die Palästinenser, im Westen keine Unterstützer«, sagt Faisal. »Solange man den Kurden ihre Rechte vorenthält, wird es keinen Frieden im Nahen Osten geben. Wir drohen oder bedrohen niemanden, sondern fordern für uns nur Demokratie und Föderalismus.«
Solche Forderungen hört man dieser Tage nicht gerne. Sie stellen die Verfasstheit der ganzen Region in Frage. Seit sich die meisten Kurden mit solchen Ideen identifizieren, gelten sie als gefährliche Störenfriede. Leider nicht nur im Nahen Osten. Bislang hat man auch aus Europa noch von keiner offiziellen Verurteilung der iranischen oder türkischen Militäraktionen gehört.