Krawattenmann gegen ostdeutsche Seele. Der Kampf ums Bundespräsidentenamt

Krawatte gegen ostdeutsche Seele

Mit der Nominierung von Joachim Gauck als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten haben SPD und Grüne taktisches Geschick bewiesen. Die Wahl wird nun zur Vertrauensfrage für die Kanzlerin stilisiert.

Es besteht kein Zweifel: Ob Christian Wulff (CDU), Joachim Gauck oder Lukrezia Jochimsen (Linkspartei) – jede der drei Personen ist bestens für das Amt des Bundespräsidenten beziehungsweise der Bundespräsidentin geeignet. Dass sie die Hauptaufgabe des Staatsoberhaupts, nämlich rhetorischen Unsinn abzusondern, vortrefflich erledigen könnten, haben sie seit ihrer Nominierung unter Beweis gestellt.
»Mir geht es darum, Menschen zu integrieren, Interessen auszugleichen und die richtigen Denkanstöße zu geben. Das passt zu mir und das passt zum Amt des Bundespräsidenten«, äußerte sich Wulff. Jochimsen ließ verlauten: »Ich will Friedensstifterin, Vereinigerin und Schirmherrin für die Schwachen und Benachteiligten sein.« Gauck weiß: »Angst macht kleine Augen. Sie ist menschlich, aber nicht der gute Ratgeber, der die Phantasie beflügelt und Kraft und Zukunft in uns entstehen lässt.«
Bei derartigen Aussagen handelt es sich nicht nur um sinnfreie Salbaderei. Wulff, Gauck und Jochimsen bewerben sich mit den passenden Phrasen um das Amt des überparteilichen Versöhners. »Der Bundespräsident ist nun wirklich keine Machtinstanz. Aber unsere Gesellschaft will sich nicht nur über die Ratio des Parteienstaats definieren«, skizziert Gauck das Stellenprofil. Der Bundespräsident habe »die Sehnsucht vieler Deutscher nach Beendigung machtpolitischer Spielchen« zu stillen, befand Vera Lengsfeld (CDU). Das Ende der Ratio des Parteienstaats und der machtpolitischen Spielchen liefe freilich auf das Ende der bürgerlichen Demokratie hinaus, und so kann man froh sein, dass der Bundespräsident nur der Grüßaugust der Nation ist, der gelegentlich für eine gewisse emotionale Abfuhr sorgt.
Dass machtpolitische Spielchen bei der Wahl des Bundespräsidenten zu unterbleiben hätten, betonen Vertreter aller Parteien. Der ehemalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) echauffiert sich über den »Lagerwahlkampf« der Regierung. Möglicherweise ist er aber auch einfach beleidigt, weil er nicht nominiert worden ist. »Uns ging und geht es nicht darum, die Wahl des Bundespräsidenten zu instrumentalisieren«, beteuert Jürgen Trittin (Grüne).
Doch bisher wurde bei jeder Bundespräsidentschaftswahl Parteipolitik betrieben, und selten waren die Vorgänge unterhaltsamer als dieses Mal. SPD und Grüne beweisen mit der gemeinsam ausgeheckten Nominierung Gaucks taktisches Geschick, denn diese bringt die Regierung in arge Bedrängnis. Die Koalition hat sich aus sehr banalen, taktischen Gründen Wulff als Kandidaten ausgeguckt: Er vertritt größtenteils Merkels Politik.
Da ansonsten wenig für Wulff (»Krawattenmann des Jahres 2006«) spricht, verfügt der rot-grüne Kandidat Gauck über das Potential, CDU und FDP etliche Wahlleute abspenstig zu machen. Die Bezeichnung »Bürgerrechtler« verfängt bei Liberalen, »Stasi-Jäger« (Spiegel) bei Konservativen. Je mehr Stimmen aus den Reihen der Koalition auf ihn entfallen, desto peinlicher wird die Wahl für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

SPD und Grüne haben sich einen Kandidaten ausgesucht, der nicht einmal ein wenig links der Mitte steht. Gauck war Befürworter eines Zentrums gegen Vertreibungen in Berlin, ist Erstunterzeichner der stramm revanchistischen Prager Deklaration, in der zwischen Stalinismus und Nationalsozialismus kein Unterschied gemacht wird, und hält nichts davon, »wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird«. SPD und Grüne stört das nicht. Der Kandidat erfüllt seinen Zweck. Er bezeichnet sich selbst als »linken, liberalen Konservativen« und »aufgeklärten Patrioten« – ein einigermaßen irrsinniges, für einen Bundespräsidenten aber ideales politisches Profil. Da ist für jeden etwas dabei, wie die Umfragen und die Begeisterung für Gauck zeigen. Vor allem sorgt Gauck zum Vorteil von SPD und Grünen für Uneinigkeit zwischen CDU und FDP. »Er ist ein liberaler Freiheitskämpfer, und wir als Freiheitskämpfer wählen Freiheitskämpfer«, begründete der sächsische FDP-Wahlmann Tino Günther seine Unterstützung für Gauck. »Joachim Gauck ist ein Vertreter der ostdeutschen Seele«, sagte der Vorsitzende der FDP in Sachsen, Holger Zastrow. Andere FDP-Funktionäre sind verstimmt wegen der Politik und des Gebarens der Union. »Die bürgerliche Mehrheit für Wulff in der Bundesversammlung ist nicht sicher, solange unter den Wahlleuten der FDP das Unbehagen über die Union groß ist«, drohte Hessens FDP-Vorsitzender Jörg-Uwe Hahn. Die Liberalen wollen sich nicht noch einmal als »Gurkentruppe« bezeichnen lassen. Und vor allem soll die CDU tunlichst davon absehen, über Steuererhöhungen nachzudenken.
»Wir entscheiden am 30. Juni nicht über das Wohl und Wehe der Berliner Koalition, wir entscheiden über einen neuen Bundespräsidenten«, beschwichtigt Zastrow zwar. Der SZ zufolge hält Hahn aber »ein Ende der Berliner Koalition noch in diesem Jahr für vorstellbar«. Der Spiegel berichtet, der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) mache »das Schicksal der schwarz-gelben Koalition« von der Wahl Wulffs zum Bundespräsidenten abhängig. Diese Warnungen dürften vor allem dazu dienen, renitente Koalitionspartner zur Räson zu bringen.

Die Krisenverwaltung bereitet der Regierung ernste Schwierigkeiten, nun wird die Wahl des Bundespräsidenten zur Vertrauensfrage für Merkel stilisiert – SPD und Grüne dürfen sich also freuen. Noch dazu befindet sich der andere Gegner der SPD, »Die Linke«, in einem Dilemma. Sie sähe es auch gern, wenn der Kandidat der Regierung nicht gewählt würde. Für Gauck kann sie sich aber nicht begeistern, Stichwort: »Stasi-Jäger«. Gauck hält seinerseits auch nicht viel von der Linkspartei. Er warnt SPD und Grüne vor einer rot-rot-grünen Koalition im Bund und macht aus persönlichen Antipathien keinen Hehl: »Mit Herrn Gysi verbindet mich persönlich eher wenig – um nicht zu sagen, nichts.« So blieb der Linkspartei nur, eine eigene Kandidatin zu nominieren: Lukrezia Jochimsen. Diese stellt sich zwar nicht ganz so ungeschickt an wie der 2009 nominierte Fernseh- und Volkskommissar Peter Sodann. Dennoch wissen die Medien, mit welchen Fragen Jochimsen bloßzustellen ist, etwa mit der, ob die DDR ein Unrechtsstaat gewesen sei. Jochimsen entschied sich für die Antwort, die auch die vormalige SPD-Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan gewählt hatte. Der Begriff »Unrechtsstaat« sei diffus und juristisch und staatsrechtlich nicht zu halten. Diese Aussage hat freilich aus dem Mund der Angehörigen einer Partei, die die SED beerbt hat und deren Mitglieder dem autoritären Staatssozialismus einiges abgewinnen können, einen gewissen Beigeschmack.
Die Taktik von SPD und Grünen ist aufgegangen. Sowohl die Regierung als auch die Konkurrenz in der Opposition stehen nicht gut da. Dass Wulff wegen eines Vorsprungs von über 20 Stimmen in der Bundesversammlung wahrscheinlich doch zum Bundespräsidenten gewählt wird, können beide Parteien verschmerzen. Für die Regierung wäre die Wahl Wulffs dennoch kein Erfolg, denn Gauck gäbe tatsächlich den besseren Präsidenten ab. Dass er den Mahner mimen kann, hat er mit seiner Kritik an den Sparmaßnahmen bewiesen, die er »nicht fair« findet. Das kommt in der Öffentlichkeit gut an. Gauck wäre also in der Lage, für emotionale Abfuhr in der Bevölkerung zu sorgen. Und die ist nötig, schließlich hat die Regierung in der Krise noch allerlei Drecksarbeit und raue Zeiten vor sich.