Über Arbeitskämpfe während der WM in Südafrika

Arm und reich im Arbeitskampf

Jenseits der Stadien wird in Südafrika protestiert. Doch es gibt auch Lohnabhängige, die von der WM profitieren.

Das größte Aufsehen erregte ein Streik von Multimillionären. Dass die französische Mannschaft sich weigerte, zum Training anzutreten, sorgte für internationale Aufmerksamkeit und hätte in Frankreich fast eine Regierungskrise ausgelöst (siehe Dschungel Seite 16).
Die meisten der Südafrikaner, die während der Weltmeisterschaft in den Streik traten, leben jedoch in bitterer Armut. Am spektakulärsten fielen die Proteste am vorvergangenen Sonntag aus, nachdem das Spiel Deutschland gegen Australien abgepfiffen worden war. Die Angestellten des Moses-Mabhida-Stadions in Durban an der Ostküste des Landes beschwerten sich, weil die Löhne, die ihnen für die von ihnen übernommenen Wach- und Sicherheitsaufgaben sowie für den Publikumsempfang ausbezahlt wurden, nicht so hoch wie erwartet ausfielen. 190 Rand oder umgerechnet rund 18 Euro wurden ihnen für einen Arbeitstag bezahlt, die Anreise zum Arbeitsplatz und die Rückfahrt mussten sie selbst finanzieren. Die Subunternehmen, die im Auftrag der Stadionbetreiber und des Internationalen Fußballverbands Fifa händeringend nach Arbeitskräften suchten, hatten ihnen vor dem Spiel ein Mehrfaches dieser Summe versprochen, von bis zu 1 500 Rand war die Rede. Entsprechend wütend waren die Reaktionen.

Die Polizei setzte gegen etwa 500 Protestierende Tränengas und Gummigeschosse ein. Mindestens eine Frau wurde dabei durch ein Geschoss verletzt und lag nach Augenzeugenberichten eine Stunde lang auf dem Boden vor dem Stadion, bevor sie in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Am darauffolgenden Tag, dem 14. Juni, legte das Sicherheits- und Empfangspersonal im Green-Point-Stadion in Kapstadt vor der Begegnung Italien-Paraguay aus ähnlichen Gründen seine Arbeit nieder. Der Präsident des nationalen Vorbereitungskomitees für die WM, der frühere südafrikanische Gewerkschafter Dany Jordaan, nannte das Verhalten der Stadionbediensteten »unakzeptabel«. Doch bezeichnete er auf einer Pressekonferenz das Streikrecht in Südafrika auch als eine wichtige historische Errungenschaft denn der Streik war ein wichtiges Mittel im Kampf gegen das Apartheid-Regime. Den Vorschlag eines anwesenden chinesischen Journalisten, die Streikenden verhaften zu lassen, schlug er aus.
Am 14. Juni legten auch die Busfahrer rund um das Stadion Soccer City in Johannesburg ihre Arbeit nieder. Sie forderten Lohnerhöhungen als Ausgleich für höhere Belastungen. Rund 1 000 Fans, die zum Spiel Niederlande gegen Dänemark wollten, blieben an den Haltestellen stehen. Doch am darauffolgenden Tag nahmen die Fahrer nach Lohnverhandlungen mit ihrem Unternehmen ihre Arbeit wieder auf.
Am folgenden Tag demonstrierten erneut Stadionangestellte in Durban, diesmal waren es bereits 2 000. Auch ihre Kollegen vor dem Stadion Ellis Park in der Metropole Johannesburg gingen auf die Straße. Dort waren die Tageslöhne nach Verhandlungen zwar auf 260 Rand (knapp 25 Euro) heraufgesetzt worden, dies ist die Bezahlung für einen 18stündigen Arbeitstag. Für die Tage, an denen kein Fußballspiel stattfindet, sollte der Tageslohn nach Ansicht der Organisatoren auf die Hälfte abgesenkt werden, obwohl die Sicherheitsmannschaften genauso lange im Dienst sind wie an Spieltagen, denn die technische Infrastruktur muss bewacht werden.

Nicht jeder Streik war erfolgreich. In vielen Fällen verloren die Protestierenden ihre Arbeitsplätze, wie jene 22 Beschäftigten des Luxushotels Pezula in Knysna östlich von Kapstadt, die einen Besuch des südafrikanischen Arbeitsministers genutzt hatten, um einen Forderungskatalog zu unterbreiten. Dort kam es sogar zu einer Begegnung zwischen reichen und armen Streikenden, denn im Pezula hatte sich die französische Nationalmannschaft für 589 Euro pro Person und Nacht einquartiert. Die Franzosen trafen bei der Rückkehr ins Hotel auf eine Protestdemonstration für die Wiedereinstellung der Entlassenen.
Protestiert wurde auch gegen die Vertreibungspolitik, die bereits seit Februar rund um die teilweise noch im Bau befindlichen Stadien zu den Vorbereitungen für die WM gehörte. Dem Reglement der Fifa zufolge dürfen im Umkreis von einem Kilometer um die Stadien keine wirtschaftlichen Aktivitäten betrieben werden, die nicht von den Sponsoren der Weltmeisterschaft ausgehen. Die Verhaftung zweier junger Holländerinnen, die am Rande des Spiels der Niederlande gegen Dänemark Kleidung getragen hatten, die als unautorisierte Werbung für eine Biermarke betrachtet wurde, rief in Westeuropa einen kleinen Skandal hervor.
Doch viel härter traf es die zahlreichen Straßenverkäufer, die sich seit Monaten auf ihre Weise auf die WM vorbereitet hatten und Opfer einer Räumungs- und Vertreibungspolitik wurden. Zu denen, die der WM weichen mussten, gehören auch die Bewohner von Wellblechhütten in Stadion­nähe oder auf dem Gelände von Neubauten, die abgerissen wurden. Das Versprechen, sie in bessere Wohnungen umzusiedeln, wurde oft nicht eingehalten.
In Durban, der größten Hafenstadt Afrikas, wurden während der WM-Vorbereitung Straßenkinder von der Polizei vertrieben, etwa mit den Worten: »Wegen Euch ist die Stadt schmutzig!« Prostituierte wurden an die Peripherie der Stadt mit 3,5 Millionen Einwohnern umgesiedelt, wo sie vor Gewalt und Missbrauch wesentlich weniger geschützt sind. Gesetzlich ist Prostitution in Südafrika verboten, doch war es kein Geheimnis, dass die Anzahl von Sexarbeiterinnen während der WM steigen würde. Solidaritätsorganisationen versuchten, auf ihre besondere Ausbeutung aufmerksam zu machen und verteilten kostenlose Präservative.
Mit der Vertreibungspolitik beschäftigt sich die internationale Koalition World Class Cities for all Campaign, die 2002 anlässlich der WM in Japan und Südkorea gegründet worden war. Ähnlich wie in Südkorea, wo eines der damals neu errichteten Stadien nach der WM wieder abgerissen wurde, weiß man auch in Südafrika zum Teil noch nicht, was aus den sechs renovierten und sechs neu errichteten Stadien werden soll, wenn die WM vorbei ist. Für den Fußball werden nicht alle gebraucht, manche dürften aber künftig dem in Südafrika beliebten Rugbysport dienen.
Es gibt jedoch auch Lohnabhängige, die von der WM profitieren konnten. Die Arbeiter, die am Bau der Stadien beteiligt waren, konnten teilweise erhebliche Lohnerhöhungen aushandeln, da die Veranstalter der WM und die südafrikanische Regierung in den Monaten vor der WM dringend auf sie angewiesen waren. Die Löhne im Bausektor stiegen in den vergangenen drei Jahren um 30 Prozent, was die Unternehmen aber nicht allzu hart getroffen haben dürfte. Denn die Gewinne der beteiligten internationalen Baukonzerne stiegen um teils über 100 Prozent.

Allein der achttägige Streik von 70 000 Stadionerbauern im Juli vergangenen Jahres sorgte für eine Lohnerhöhung um zwölf Prozent. Der Mindestlohn im Bausektor stieg in den Jahren zwischen 2007 und 2009 von 2 200 auf 3 000 Rand pro Monat, umgerechnet knapp 300 Euro. Die südafrikanischen Gewerkschaften erachten allerdings 4 500 Rand als nötig für ein menschenwürdiges Leben. Spürbare Fortschritte gab es auch im Bereich des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz und der Sicherheitsbestimmungen.
Auch die Gewerkschaften haben profitiert, sie konnten in den vergangenen Jahren 25 000 Arbeiter im Bausektor als Mitglieder gewinnen, so dass der Organisationsgrad auf 25 Prozent wuchs. Im Zuge der Organisierungskampagnen und Streiks haben viele Arbeiter ausserdem durchgesetzt, dass sie an beruflichen Bildungs- und Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen können. Dadurch steigen ihre Jobchancen nach der WM, wenn der Bauboom zu Ende sein und Südafrika wohl noch stärker von der globalen Wirtschaftskrise erfasst werden wird.
Vasco Pedrina, ein Gewerkschafter aus der Schweiz, der sich im März in Südafrika aufhielt und an der Solidaritätskampagne »Fair Games, Fair Play« teilnahm, spricht aus diesem Grund davon, dass »die Gewerkschaftsbewegung bei der Weltmeisterschaft gewonnen hat«. Lange Zeit zeigte sich die Fifa, deren Hauptsitz in Zürich steht, kooperationsbereit. Die Politik des Verbandes ist ohnehin umstritten, daher war die Fifa an einem Legitimationsgewinn interessiert und ließ ihre Stadionbaustellen auch von gewerkschaftlichen Delegationen besichtigen. Es sei in Südafrika wesentlich einfacher gewesen, eine Öffnung der Baustellen zu ermöglichen, als etwa in Polen und der Ukraine, wo derzeit die Europameisterschaft der Uefa im Jahr 2012 vorbereitet wird, urteilt Pedrina. Je näher allerdings der WM-Termin in Südafrika rückte, desto nervöser war man bei der Fifa.
Neben den sozialen Kämpfen gibt es auch politische Konflikte während der Weltmeisterschaft. Die befürchteten Zusammenstöße mit rassistischen Gewalttätern, die sich abzuzeichnen drohten, nachdem Anfang April der weiße Rechts­extremistenführer Eugène Terre’blanche von zwei schwarzen Landarbeiter getötet worden war, blieben zwar aus. Doch ein afrikanischer Konflikt, der Machtkampf in Ruanda, dessen Regime vor der Präsidentschaftswahl am 9. August mit rabiaten Methoden seine Autorität zu behaupten versucht, wurde auch während der WM in Südafrika ausgetragen.
Am 10. Juni, einen Tag vor dem Beginn der WM, wurde der ruandische General Jean Bosco Kazura bei seiner Rückkehr aus Südafrika auf dem Flughafen verhaftet. Der Militär ist auch Vorsitzender des nationalen Fußballverbands und war in dieser Eigenschaft nach Johannesburg gereist. Am vorvergangenen Samstag wurden in der süd­afrikanischen Stadt mehrere Schüsse auf den ruandischen General Faustin Kayumba Nyamwasa abgegeben, der im Februar politisches Asyl am Kap beantragt hatte. Er überlebte mit einem Bauchschuss. Die sechs Attentäter sprachen untereinander Kisuaheli, eine Sprache, die in Ostafrika verbreitet ist. Die ruandische Regierung glaubt, dass die beiden Generäle sich getroffen haben könnten und befürchtet ein Komplott hochrangiger Militärs und früherer Mitstreiter gegen Präsident Paul Kagamé. Die Beziehungen des Landes zu Südafrika dürften künftig angespannt sein.