Der Jesus von Venice Beach. Tom DiCillos Film über The Doors

Der Jesus von Venice Beach

»The Doors – When You’re Strange« von Tom DiCillo ist nach Oliver Stones Spielfilm die erste Dokumentation über die Doors.

The Doors – When You’re Strange« ist eigentlich ein Spielverderberfilm. Oliver Stone hat bekanntlich bereits aus der Geschichte rund um eine Hippieband aus Los Angeles mit einem Sänger, der sich für einen verkannten Dichter hielt, die ultimative Doors-Saga gedrechselt, in der Jim Morrison als sexsüchtiger Jesus-Imitator über die Menschheit kommt und Drogen und Frauen maßlos verbraucht, bis er eines Tages in Paris, früh verfettet und ausgebrannt, tot im kalten Wasser einer Badewanne gefunden wird.
Stone hat sich die Mythen rund um die Ikone Morrison, der auch deswegen so strahlen konnte, weil die anderen Bandmitglieder so langweilig wirkten, hingebogen, wie er Lust hatte. Das brachte dem Film viel Kritik ein und führte dazu, dass der Orgelspieler der Doors, der langweilige Ray Manzarek, in seiner Autobiographie nicht müde wurde, Stones Film einem Faktencheck zu unterziehen und ihm ein »Ungenügend« in Sachen Wahrheitsgehalt auszustellen.
Nach Stones Spielfilm über die wichtigste amerikanische Band Ende der Sechziger erscheint jetzt also Tom DiCillos ultimativer Dokumentarfilm über die Doors. Letztlich erzählt er das gleiche wie Stone, nur ohne Tripsequenzen, historisch nicht belegte Frauengeschichten und ohne Billy Idol in einer Nebenrolle. Was erst einmal eindeutig für Stones Darstellung der Ereignisse spricht.
Nur echte Bilder, keine nachgestellten Szenen, nichts als die Wahrheit verspricht die Dokumentation, die als Sprecher niemanden Geringeren als Johnny Depp gewinnen konnte, der wie Morrison eine gewisse Affinität zu Frankreich pflegt und nebenbei ja auch Musiker ist. Doch gerade der Anspruch, im Gegensatz zu Stone die Geschichte der Doors seriös nacherzählen zu wollen, macht die Dokumentation auch etwas langweilig. Man weiß ja schließlich, was am Ende kommt: der Tod in Paris. Doch bis der wirklich eintritt, bekommt man mindestens einmal zu oft nochmals erklärt, welch eine sich selbst verbrennende Lichtgestalt der Dichterfürst im Rockgottantlitz Morrison doch war.
Die Exzesse, der Wahnsinn, die Skandale rund um die Doors, in denen sich Stone ergeht, deutet DiCillo nur an. Jim Morrison soll sich mehrfach im Drogenrausch auf der Bühne entblößt haben, was zu Tumulten und Polizeimaßnahmen geführt hat. Ausgerechnet bei diesen Szenen geizt der Film, der ansonsten spektakuläres Footage aufzuweisen hat, mit Bildern. Auch vom kaputten Morrison in Paris, der mit seiner Band gebrochen hatte und sich als Lyriker im Geiste seines Vorbilds William Blake versuchte, erfährt man wenig. Ganz zu schweigen vom Nachleben der Doors, vom postumen Mythos, von Verklärungen und Peinlichkeiten wie all den Versuchen der übriggebliebenen Bandmitglieder, auch ohne Jim Morrison als The Doors weiterzumachen, erfährt man nichts. Oder davon, wie mit Jim Morrisons Grab auf dem Pariser Friedhof »Père Lachaise« umgegangen wurde, wie sich diese letzte Ruhestätte des amerikanischen Rock­­stars zu einer von den Behörden ungeliebten Pilgerstätte ewiger Hippies entwickelt hat.
Die Bilder wieder für sich sprechen zu lassen, wie DiCillo das versucht, ist durchaus legitim. Aber der Regisseur steht im Grunde auf verlorenem Posten. Zu sehr hat Jim Morrison längst ein Eigenleben entwickelt. Francis Ford Coppola hat sein morbides »The End« für die Eingangssequenz von »Apocalypse Now« verwendet, in der zur Musik Bilder von Napalmbränden im vietnamesischen Dschungel zu sehen sind, was die Doors zu einer Band gemacht hat, die man automatisch mit dem Vietnam-Krieg verbindet. DiCillo behandelt den Vietnam-Krieg nur kurz. Oliver Stone hat seinen »Doors«-Film 1991 mitten in der Grunge-Ära gedreht, Jim Morrison erscheint hier eindeutig als Vorläufer Kurt Cobains, auf derartige Hinweise verzichtet DiCillo ganz. Dass der lustige Rockstar-Verarschungsfilm »Walk Hard« den ikonischen Oben-Ohne-Jim Morrison bereits im Fimplakat liebevoll persifliert, das gilt DiCillo wahrscheinlich als Majestätsbeleidigung, weshalb man davon selbstredend nichts erfährt.
»When You’re Strange« erzählt einfach chronologisch die Geschichte einer Band herunter, die sechs Platten aufgenommen hat, die allesamt als Klassiker gelten und bei denen sich die Kritiker einig sind, dass sowohl das Debüt der Band als auch das letzte Album, »LA Woman«, zu den 100 wichtigsten Platten der Popgeschichte gehören. Berichtet wird von dem Drummer John Densmore, einem erklärten Jazzfan, dem flamencobegeisterten Gitarristen Robby Krieger und dem Organisten und bluesinfizierten Ray Manzarek, die gemeinsam, ohne Bassisten, einen ganz neuen, eigenwilligen Sound erschufen. Natürlich hätte sich für dieses dunkle, psychedelische Bluesgebräu trotzdem niemand ­interessiert, hätten sie nicht diesen Sänger gehabt, der unter Drogen kryptische Texte verfasste und mit dunklem Timbre von der Sehnsucht nach anderen Bewusstseinszuständen sang. Die Band wurde rasend schnell zur Sensation, gleich ihr Debüt schlug voll ein, Andy Warhol wurde zum Bewunderer Jim Morrisons, man hört kreischende Teenagermädchen verkünden: »Sie sind besser als die Beatles.«
Und Jim Morrison wird zum narzisstischen Jesus aus der Hölle. Zum Prototyp des lederhosigen Rockstars mit nacktem Oberkörper, der freilich heute, nach tausenden weiteren lederhosigen Rockstars mit nackten Oberkörpern, etwas lächerlich wirkt. Ein Interesse daran, auch nur ansatzweise den Mythos Jim Morrison in Frage zu stellen, findet sich trotzdem nirgends in »When You’re Strange«. Man sieht: Jim Morrison mit Jesusbart, Jim Morrison im Sportwagen auf dem amerikanischen Highway, Jim Morrison beim Baden, Jim Morrison aufgedreht unter Fans, Jim Morrison nachdenklich allein.
Es ist ja nicht so, als ob all diese Bilder eines schönen Exzentrikers nicht ungemein faszinierend wären, aber eine echte Geschichte hat der Film einfach nicht zu erzählen. Außer die von einer Band, die, wie so oft in der Rockhistorie, mit ihrem sagenhaften Erfolg nicht umgehen konnte. Die Platten wurden unispirierter, der Drogenkonsum nahm zu, der Sänger der Band wurde immer unkontrollierbarer. Irgendwann kam der viel zu frühe Tod. Jim Morrison starb im Alter von 28 Jahren. Jünger als Jesus. Immerhin.

»The Doors – When You’re Strange« (USA 2010).
Start: 1. Juli