Kunst und Gentrification. Der Fall Bethanien

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Das Künstlerhaus Bethanien hat das Bethanien in Berlin-Kreuzberg verlassen und seinen neuen Standort bezogen, während der Kunstraum Kreuzberg im Bethanien bleibt. Ein Besetzer-Kommando ist jüngst gescheitert, die Gruppe der Alt-Besetzer zahlt indes längst Miete und nutzt die Räume für ihr Kulturprojekt. Christoph Villinger über den Stand der Dinge

Das Bethanien bleibt ein Ort öffentlicher gemeinnütziger künstlerischer Produktion!« Was sich wie das Statement aus einer Besetzer-Erklärung liest, stammt aus einer Pressemitteilung des Bezirksamtes von Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin. Darin nimmt der sozialdemokratische Kulturstadtrat Jan Stöß Stellung zu der versuchten Besetzung der Räume des »Künstlerhauses« im Hauptgebäude des Bethanien, das von kulturellen, künstlerischen und sozialen Einrichtungen sowie selbstorganisierten Initiativen genutzt wird. Zuvor war die bisher im dritten Stock des Hauptgebäudes residierende Künstlerhaus Bethanien GmbH unter der Leitung von Christoph Tannert ausgezogen und hat sich in ihrem neuen Domizil an der Kottbusser Brücke eingerichtet.
Mit der gescheiterten Besetzung durch eine autonome Gruppierung, die im Rahmen des Aktionstages »create utopia« agierte, eskalierten noch einmal die Konflikte und Debatten um die Strategien autonomer Politik und die Rolle von Kunstprojekten im Prozess der Gentrifizierung. Neben der kommunalen Musikschule Kreuzberg und der Druckwerkstatt des Berufsverbands Bildender Künstler ist der ebenfalls international beachtete Kunstraum Kreuzberg unter Leitung von Stéphane Bauer, der aus dem Etat des Bezirksamtes finanziert wird, im Gebäude untergebracht.
Bereits im Sommer 2005 war der Südflügel des Bethanien besetzt worden. Damit reagierten die Besetzer auf die Politik des Bezirkes, der den Komplex seit Jahren vernachlässigt hatte und ihn aus haushaltspolitischen Zwängen an einen privaten Investor verkaufen wollte. Geplant war, dort ein internationales kulturelles Gründerzentrum zu errichten. Die gerade aus ihrem Hausprojekt in der Yorckstraße 59 geräumten Besetzer zogen in den leerstehenden Südflügel des Bethanien und gründeten das Kulturprojekt New Yorck. In dem dreistöckigen Gebäudeteil war zuvor das Sozialamt Kreuzberg untergebracht. Die Besetzer durften mit gewissen Sympathien des damaligen Baustadtrats und heutigen Bezirksbürgermeisters Franz Schulz (Grüne) und seiner Partei rechnen. Selbst die Polizei weiger­te sich, das Gebäude zu räumen, und verlangte einen richterlichen Räumungstitel, den der Bezirk allerdings nicht vorlegen konnte. Bei den Anwohnern war der geplante Verkauf des Bethanien an einen Investor denkbar unpopulär. So schlossen sich die in der Initiative Zukunft Bethanien (IZB) organisierten Anwohner mit den Besetzern zusammen und warben mit einem Bürgerbegehren für ihr Konzept eines »offenen sozialen, kulturellen, künstlerischen und politischen Zentrums von unten«. Innerhalb weniger Wochen waren die notwendigen Unterschriften gesammelt, und anschließend suchte man an einem Runden Tisch nach einem für alle Seiten akzeptablen Kompromiss.
Am 1. Mai 2009 übernahm die gemeinnützige GSE die Bewirtschaftung des Bethanien und entwickelte ein Konzept zur Finanzierung des Komplexes. Die Besetzer des Südflügels bekamen Verträge und zahlen seitdem genauso wie alle anderen Nutzer des ehemaligen Krankenhauses Miete. Das Haus beherbergte mittlerweile viele unterschiedliche kulturelle Projekte. Lediglich Christoph Tannert vom Künstlerhaus Bethanien wollte und konnte sich mit den zu Mietern gewordenen Besetzern nicht abfinden. Er fand in dem als »Karstadt-Retter« in die Schlagzeilen geratenen Milliardär Nicolas Berggruen einen neuen Sponsor und verkündete, dass er ausziehen werde. Seit zwei Wochen ist das Künstlerhaus Bethanien nun in der Lichtfabrik untergebracht, einem 10 000 Quadratmeter großen Komplex, den Berggruen vor zwei Jahren gekauft hat. Immer wieder wetterte der aus der DDR-Punk-Szene kommende Tannert gegen den »Kiezdödel« und »blödsinnige anarchistische Attacken« durch die ehemaligen Besetzer. Ohne lästige Nachbarn feierte Tannert dann am 11. Juni zusammen mit dem Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), dem Investor Berggruen und Klaus Entenmann, dem Vorsitzenden von Daimler Financial Services, die Eröffnung seiner neuen Räume. Tannert sieht sich dabei keineswegs als »Knecht des Kapitals«, wie er im Deutschlandradio sagte, er stelle sich mit dem Umzug vielmehr »offensiv und damit auch politisch in den urbanen Raum«.
Einen offensiven Umgang mit Räumen kann man auch der Gruppe der jüngst gescheiterten Besetzer attestieren. Die Gründung eines gemeinnützigen Vereins – wie durch die ehemaligen Besetzer des Südflügels – stehe im »Widerspruch zu emanzipatorischen Positionen«, erklären sie in einer im Internet verbreiteten Stellungnahme. Gefordert werden »Freiräume ohne Herrschaft« und ohne »jeglichen Profitzwang«, gesprochen wird von »unserm Kiez« und »unserer Stadt«. Selbst auf dem linken Internetforum Indymedia werden die »pubertäridealistischen Slogans« kritisiert. Auf die Unterstützung der Nachbarschaft kann die Gruppierung nicht bauen.
Nahezu gleichzeitig tauchten in Kreuzberg »Steckbriefe« auf. In den Flugblättern wird zum Beispiel gegen die Leiterin der Kunst-Biennale im leerstehenden Supermarkt am Oranienplatz gehetzt, Kathrin Rhomberg sei für die »Gentri­fizierung« mitverantwortlich. Dahinter steckt die irre Annahme, dass ausgerechnet Künstler oder Kuratoren für die kapitalistischen Prozesse der Aufwertung und Mietsteigerung verantwortlich zu machen sind. Auch wenn die wilden Kunstgalerien, die nach der Wende in Mitte entstanden sind, Vorboten der späteren Entwicklung rund um den Hackeschen Markt waren, war dies nicht die Intention der Betreiber. So befürchtet nicht nur der Kreuzberger Kulturstadtrat Jan Stöß, dass »hier hinter dem Schlagwort der Gentrifizierung eine kunst- und kulturfeind­liche Haltung deutlich wird«.
Dass die Ansiedlung von Kunstprojekten nicht unbedingt zur Aufwertung der Kieze führt, beweist gerade das Bethanien, das in seinen Mauern seit 30 Jahren zwei international renommierte Kulturinstitutionen beherbergt hat. Im Laufe dieses Jahres sollen in die von Tannert verlassenen Räume weitere Projekte aus der freien Tanz- und Theaterszene einziehen, berichtet Stéphane Bauer vom Kunstraum Kreuzberg und freut sich auf die zukünftigen Koopera­tionen.
Bauer steht für ein Konzept von Kunst, das sich »den unterschiedlichen Betriebssystemen der Kunst wie Kunstmarkt und Biennalen nicht unterwerfen möchte«. Die Kunst in den von ihm kuratierten Ausstellungen soll keine marktorientierte sein, sondern »diskursorientiert«, »widerborstig«, man wolle »sich an den sozialen und künstlerischen Prozessen im Umfeld und mit den realen Akteuren im Quartier reiben«. Der Kunstraum Kreuzberg ist eine kommunale Galerie, die den Auftrag hat, »Öffentlichkeiten anzusprechen«. Bauer betont den Plural. Aber auch die Bedingungen für den Kunstraum Kreuzberg sind prekär, außer der Miete und einem Gehalt muss alles über Drittmittel beschafft werden. »Mit Kunst kann man wunderbar die Zustände und Veränderungen der Gesellschaft analysieren und reflektieren«, meint Bauer und berichtet von einer gemeinsam mit den ehemaligen Besetzern des Südflügels geplante Ausstellung zu US-amerikanischer Plakatkunst.
Und nicht nur deswegen wird eine interna­tional bis nach Japan be- und geachtete Kulturinstitution weiterhin unter der Durchwahl des Bezirksamtes von Friedrichshain-Kreuzberg zu erreichen sein.