Schwein statt Hahn. Wie Frankreichs Rechte Muslime provozieren wollen

Der Hahn ist tot, es lebe das Schwein

Das Schwein als neues Nationalsymbol? In Frankreich versucht die extreme Rechte mit provozierenden Aktionen gegen die muslimische Bevölkerung mobil zu machen.

Das arme Schwein kann nichts dafür. Seit mehreren Monaten führt der Bloc Identitaire, ein außerparlamentarischer Zusammenschluss von französischen Neofaschisten, das Borstenvieh als Wahrzeichen mit sich herum. In blauer Stilisierung symbolisiert das Tier in Augen der Identitaires, die 2 000 Mitglieder zu haben beanspruchen, dass die »eingewurzelten Völker Europas« nach ihren »Traditionen« leben und essen sollen – wozu nun einmal der Verzehr von Schweinefleisch gehöre. Sie wollten sich dabei auf ihrem »angestammten Boden« keine Vorschriften machen lassen, beispielsweise indem ihnen Anti-Diskriminierungs-Richtlinien aufgezwungen würden. Es hatte dementsprechend wenig mit Mildtätigkeit zu tun, als der Bloc Identitaire in den vergangenen Wintern regelmäßig einen Ausschank vor dem Pariser Ostbahnhof aufbaute, um »Bedürftige« mit seiner »Schweinesuppe« zu beglücken. Zwischenzeitlich aufgrund seines diskriminierenden Charakters verboten, wurde das Spektakel im Februar von einem Pariser Verwaltungsgericht genehmigt. Eine Diskriminierung sei nicht gegeben, da ja niemand gezwungen sei, gerade bei dieser Armenspeisung zu essen.

Derzeit herrschen für Suppenküchen nicht die richtigen Temperaturen. Deshalb mussten die rechtsextremen Aktivisten sich für den Sommer etwas anderes einfallen lassen, um ihr Thema in die Öffentlichkeit zu tragen. Sie ließen sich dabei von einem neuen Trend inspirieren: Seit etwa einem Jahr erfreuen sich Partys unter freiem Himmel großer Beliebtheit, zu denen man sich über Facebook verabredet und bei denen reichlich Alkohol fließt. Diese Trinkgelage auf öffentlichen Plätzen wurden schnell unter dem Namen »Apéro Facebook« bekannt und zogen bis zu 3 000 Teilnehmer an. Nachdem im Mai ein junger Mann in Nantes sturzbetrunken von einer Brücke fiel und starb, sind diese Gelage heftig umstritten. So wurde zuletzt eine solche Party, die unter dem Eifelturm stattfinden sollte, von der Pariser Polizeipräfektur verboten.
Aus anderen Gründen umstritten war eine Apéro-Veranstaltung, zu der sich für den 18. Juni etwa 3 000 Menschen verabredet haben sollen. Unter dem abgewandelten Motto »Apéro mit Wurst und Wein« wollten sie sich im Pariser Stadtteil Goutte d’Or treffen, einem Wohnviertel mit einem hohen Anteil an Einwanderern. In den Augen der französischen Rechten handelt es sich um einen Stadtteil, in dem »islamistische Milizen wie in Teheran« patrouillieren würden. Als begäben sie sich mit ihrem Vorhaben in Lebensgefahr, riefen Einzelpersonen und dann auch Gruppen zu dem Fress- und Saufgelage auf. Als Initiator der Veranstaltung entpuppte sich letztlich der Bloc Identitaire, als bei der polizeilichen Anmeldung drei seiner Führungskader erschienen.
Zu dem Event rief überdies die Riposte Laïque auf, ein Webmagazin, das von ehemaligen Linken betrieben wird und die »Bedrohung der Republik durch den Islam« als Hauptthema hat. Pierre Cassen, einer der Macher des Magazins, war einst Anhänger jener Partei, die sich heute, nach mehrfachem Namenswechsel, Unabhängige Arbeiterpartei (POI) nennt, eine extrem autoritäre Spielart des französischen Trotzkismus. Die »Lambertisten«, wie sie genannt werden, sind bekannt für eine bizarre Bündnispolitik, die sich Cassen offenbar bewahrt hat. So betonte er jüngst in einem Interview mit dem »linkspatriotischen« Wochenmagazin Marianne, dass in seinen Augen heute nur die extreme Rechte den Laizismus verteidige. Als Politikerin, die seinen Vorstellungen nahe komme, wusste er in dem Gespräch Marine Le Pen zu nennen, die Tochter von Jean-Marie Le Pen und offizielle Kandidatin für dessen Nachfolge als Chef des rechtsextremen Front National (FN).

Auch Marine Le Pen beruft sich auf den Laizismus. Sie betreibt derzeit eine Politik der Modernisierung innerhalb der extremen Rechten, zu der unter anderem eine Abkehr vom offenen Antisemitismus gehört. Dabei findet sie auch den Beifall des Bloc Identitaire, der selbst in den vergangenen Jahren einen ideologischen Modernisierungsprozess durchlaufen hat: 2003 war er aus der verbotenen Unité Radicale hervorgegangen. Diese war eindeutig antisemitisch ausgerichtet und hatte versucht, jene Teile der extremen Rechten anzusprechen, denen der FN zu schlapp und zu legalistisch erschien. Doch neuerdings verurteilt der Bloc den Antisemitismus, gibt sich eher proisraelisch und betont immer wieder, »nicht rechtsextrem«, sondern »rechtspopulistisch« zu sein. Er greift nun ebenso auf Begriffe wie »Republik« und »Laizismus« zurück, allerdings immer mit dem Zusatz, die Grundlage jeglicher Politik müsse »ethno-kulturell« sein, und der Laizismus dürfe nicht als Kampfansage an das Christentum aufgefasst werden. Vielmehr, so führte Bloc-Chef Fabrice Robert in einer Rede zu dem Apéro-Projekt aus, hätten Christentum und Laizismus einen gemeinsamen Feind in Gestalt des Islam.
Die Positionen des Minderheitsflügels in der FN, der als »anti-westlich« gilt, und die Kontakte mancher führender FN-Kader zum iranischen Regime hatten bei den Identitaires immer wieder Ablehnung hervorgerufen. Deren Aktivisten beziehen sich gerne auf die italienische Lega Nord und den belgischen Vlaams Belang, die den Islam als Feindbild in der Vordergrund stellen und sich nicht mit »verlorenen Schlachten« – etwa um die Rehabilitierung des Antisemitismus – aufhalten würden. Mit dem sich abzeichnenden Personalwechsel an der Spitze des FN verbinden die Identitaires Hoffnungen auf einen Kurswechsel beim FN in ihrem Sinne. Tatsächlich hat Marine Le Pen, die sich bemüht, führende Kader von außerparlamentarischen Kräften wie den Identitaires für die Partei zu gewinnen, sich im Jahr 2009 bereits zwei Mal mit Bloc-Chef Robert getroffen.

Dass der »Apéro« in Goutte d’Or letztlich drei Tage vor dem geplanten Termin behördlich verboten wurde, lieferte dem FN, der sich bis dahin nicht an derlei Aktionen beteiligte, eine Steilvorlage. In einer Pressemitteilung prangerte Marine Le Pen noch am selben Tag »die Kapitulation des Staates« an, und ihr nahestehende Websites sprachen davon, dass Frankreich »unter dem Druck des Kommunitarismus« in den »Totalitarismus« abgleite. Die FN-Prominenz versuchte dabei, das Verbot des als offene Provokation angelegten Gelages als kulturelle Unterdrückung darzustellen. So verstanden es auch viele Blog-Kommentatoren im Internet. Davon beflügelt, haben die Pariser Identitaires in ganz Frankreich Nachahmer gefunden. In Lyon, wo die Identitaires über eine sehr aktive Jugendgruppe verfügen, wurde wenige Tage später eine ähnliche Veranstaltung angemeldet. Auch sie wurde von der Präfektur untersagt. Der bislang letzte Anlauf ging vom FN aus. Dessen Jugendvereinigung ruft für den 8. Juli zu einem »Apéro« mit Schweinefleisch und Wein im westfranzösischen Nantes auf.
Auch am 18. Juni schafften die Identitaires doch noch den Sprung ins Licht der Öffentlichkeit, indem sie ohne Anmeldung eine »Widerstandskundgebung« in Nähe des Pariser Triumphbogens abhielten, und zwar vorgeblich in Gedenken an den Aufruf Charles de Gaulles vom 18. Juni 1940, in dem dieser zum Widerstand gegen die Nazi-Besatzung und die Kollaborateure in Vichy aufgefordert hatte. Daran anknüpfen möchte nun auch Fabrice Robert, der seinen Anhängern erklärte, dies sei eine gute Gelegenheit, um demonstrativ mit der »antiquierten« Rechten zu brechen: »Unser Modell kann nicht in der Kollaboration liegen, sondern bei denen, die Widerstand gegen die Besatzung unseres Bodens leisteten!« Heute allerdings, wusste Robert den etwa 800 Teilnehmern der Kundgebung darzulegen, trügen die Besatzer »eine Halbmondflagge«, und die Kollaborateure seien die politische Elite und die Linken.