Der Wettbewerb zwischen grünen und gelben Liberalen

Grün ist gelber als Gelb

Im Wettkampf zwischen den gelben und den grünen Liberalen gibt es einen ein­deutigen Sieger.

Wer die Grünen mit einer Maximalschmähung bedenken will, greift gerne zu der Behauptung, die einstige »Anti-Parteien-Partei« sei zur »Öko-FDP« mutiert. Zwar ist diese Etikettierung ein arg strapaziertes Klischee – ihre Wahrheit ist jedoch nicht von der Hand zu weisen. Schließlich sind Grüne und FDP konkurrierende liberale Parteien, die wesentliche Teile des heterogenen deutschen Bürgertums repräsentieren. Doch schon ein flüchtiger Blick auf die zurückliegenden Koalitionsverhandlungen in Nordrhein-Westfalen zeigt, dass beide Parteien in einem beinahe antagonistischen Verhältnis zueinander stehen. Auch die Wählerwanderung zwischen Grünen und FDP ist gering. Und Koalitionsmodelle wie »Ampel« oder »Jamaika« blieben, von wenigen Ausnahmen abgesehen, theoretische Optionen. Die Gewinner der Bundestagswahl 2009 agieren wie erbitterte Gegner. Nun ist zumindest für die klassischen Liberalen der Siegeszug vorbei. Die FDP käme derzeit nicht einmal über die Fünf-Prozent-Hürde. Die Grünen verbuchen dagegen bei Wahlen und in Umfragen weiter Rekordergebnisse.

Konnte die FDP bei der Bundestagswahl 2009 noch mit 14,6 Prozent als Inkarnation bürgerlicher Stabilität punkten, so ist nun der neuerliche Traum vom »Projekt 18« geplatzt wie ein fauler Kredit. Der Grund ist einfach: Westerwelle&Co. erhielten vor allem die Leihstimmen wirtschaftsliberaler Unionswähler, die die als alternativlos gehandelte Bankenrettung nicht mittragen wollten. Darüber hinaus war die FDP eine Projektionsfläche für selbsternannte Leistungsträger, die sich von den modernen Tagelöhnern und Stützeempfängern absetzen wollten. Dass die Landesbanken von der Pleitewelle erfasst wurden, weckte in diesen Kreisen ebenfalls keine Sympathien für Staatsinterventionen. Naiv war deshalb die Verwunderung darüber, dass ausgerechnet die FDP in einer Wirtschafts- und Finanzkrise zulegen konnte. Verantwortlich für die jetzige Krise der FDP ist die auch parteiintern umstrittene Dominanz des Parteivorsitzenden und Bundesaußenministers Guido Westerwelle, dessen steuerpolitisches Programm mit Verweis auf die facts of life der öffentlichen Haushalte zerrupft wurde. Der schnöde Mövenpick-Lobbyismus und die gnadenlose Enttäuschung jener, die auf eine Verwirklichung des fiskalpolitischen Radikalliberalismus hofften, reduzierten die Altliberalen auf das Niveau einer Kleinpartei mit überschaubarem Stammmilieu.
Anders die Grünen. Die Öko-Partei agiert gerade in wirtschafts- und sozialpolitischen Belangen geschickter. Zwar wurde von der Agenda 2010 bis zum Finanzmarktförderungsgesetz die später lautstark gegeißelte Politik des Neoliberalismus von den einstigen Alternativen mitgetragen und durchgesetzt. Bezeichnenderweise aber bleiben die Grünen jene Partei, für deren Unterstützung man sich kaum entschuldigen muss. Mag der viel beschworene »Ausstieg« aus der Atomenergie auch nur ein Marketinggag für die Abschreibung alter Schrottanlagen sein – jenseits der harten politischen Realität haben die Grünen mit der medialen Dauerpräsenz ökologischer Rhetorik die kulturelle Hegemonie erlangt. Ob bei Schwarz oder Rot: Grün ist hip. Versammelten sich bei den Grünen der frühen achtziger Jahre jene neuen sozialen Bewegungen, die vom Bonner Parteiensystem nicht repräsentiert wurden, so bestätigt deren Integration ein altes Bonmot von Johannes Agnoli: »Wer sich in die Macht begibt – der wird darin glücklich.« Symbolische Konzessionen an die Gründerjahre gehören zu den Eigenheiten der Partei. Wer aber mit allzu forschen radikalliberalen Tönen in die Öffentlichkeit prescht, endet wie Oswald Metzger als tragische Figur im Medienzirkus.

Die Geschichtsschreibung des deutschen Liberalismus ist revisionsbedürftig. Denn die tatsächliche Partei der Besserverdienenden – das sind die Grünen. Deren Klientelpolitik bedient jene postmaterialistischen Milieus, die sich mit symbolpolitischen Gesten der alten Mittelschicht und deren Wertekonservatismus widersetzen: Leistungsfetischismus hie, Selbstverwirklichungsansprüche da. Zwischen FDP und Grünen werden nicht nur politische Auseinandersetzung um Industriepolitik und Wachstumsideologie geführt. Im liberalen Lager werden vor allem Habituskämpfe ausgefochten. Die gegenwärtige Führungsriege der Grünen besteht aus an die Macht gelangten Gesinnungsethikern und Idealisten, von denen sich kapitalnahe Pragmatiker wie Westerwelle mit Grausen abwenden. Im Sinne Pierre Bourdieus kämpfen beide Lager mit Statussymbolen und Distinktionszeichen, steht die begrünte Villa Kunterbunt neben dem akkuraten Herrenhaus.
Von den soziokulturellen Veränderungen der vergangenen Jahre konnten vor allem die Grünen längerfristig profitieren. Die FDP wiederum war im Testament der neuen sozialen Bewegungen nicht vorgesehen. Zu den modernen urbanen Milieus haben die Gelbliberalen nur temporär Zugang. Der Erfolg der Grünliberalen dagegen speist sich aus einem stabilen Milieu, das beständig seinen eigenen Wellness-Kanon akklamiert. Selbst die Prekären der Kreativbranchen fühlen sich bei der Partei der Agenda 2010 gut aufgehoben. Und mit dem Bürgerrechtsthema haben die Grünen zudem die linksliberalen Traditionen der Republik erfolgreich aufgesogen. Dass dann auch noch in der Bundesversammlung die stets als Grande Dame der FDP umworbene Hildegard Hamm-Brücher als Wahlfrau der Grünen präsentiert wird, ist weitaus mehr als Symbolpolitik. Denn als Scharnierpartei sind die Grünen längst schon die besseren Genscheristen, sprich: die elastischeren Mehrheitsbeschaffer.