Regierungskoalition in der Krise

Köpfe wie Gauck

Regierungen – und auch Oppositionen – sind so gut oder so schlecht wie die Konjunktur. Über die Regierungskrise in der Krise, über Einsichten, die eine Präsidenten-Kür vermittelt, und wilhelminische Großspurigkeit.

Was man ohne den Spiegel alles nicht wüsste. Volker Kauder (CDU) kriegt Beklemmungen, wenn er mit Birgit Homburger (FDP) im Fahrstuhl steht, die CSU soll sich aufführen wie eine »Wildsau«, die FDP eine »Gurkentruppe« sein, ein Hesse klagt über die »Bunkermentalität«, und Angela Merkels Lächeln »wirkt angeklebt wie ein falscher Bart«. Wie groß muss die Verzweiflung sein, wenn ein FDP-Minister nach dem anderen vor einem Klärwerk in Gaza abgelichtet werden will, um sich an der Seite der Hamas verlorenes Vertrauen zurückzuholen? Warum nicht auf einer Abschussrampe in Nordkorea oder in 70 anderen Ländern, in denen die Menschen weniger zu essen haben als in Gaza?
Der Zustand der Regierung ist desolat, die Minister streiten wie ein altes Ehepaar – bis an den Rand der staatspolitischen Pflichtverletzung. In Unternehmen konkurriert, neidet und hasst jeder jeden, ohne dass jemand auf den Gedanken kommt, die Firma deswegen aufzulösen. Regierungen haben jedoch ein gewisses Maß an Würde zu pflegen, zumal in Demokratien, in denen Politiker nie den Makel loswerden, sie könnten doch welche von uns sein. Viele Deutsche interessieren sich nicht für Politik, auch nicht für das, was Politiker entscheiden, sie legen aber großen Wert darauf, dass die Ämter nicht beschädigt oder missbraucht werden.

Die Regierung hatte sich nach drei gescheiterten Neuanfängen auf einen vierten Versuch verständigt. Die Kür des Bundespräsidenten sollte »das Symbol für den Neustart« sein, sagte Wolfgang Bosbach (CDU), da wollte man »Korpsgeist« demonstrieren wegen der unpopulären Entscheidungen. Davon war dann nichts zu spüren. Gleich 44 der eigenen Delegierten verweigerten Merkels Kandidaten Christian Wulff die Zustimmung. Aufstand! Nun kam die Stunde der TV-Anstalten. Jeder durfte etwas sagen. Hauptmann der Reserve Dirk Niebel (FDP): »Jede geheime Wahl birgt ein Restrisiko.« Jörg Schönbohm (CDU), Generalleutnant a.D.: »Früher wusste man noch, wo der Feind stand.« In der Wandelhalle spähten CDU-Politiker nach »Heckenschützen in den eigenen Reihen«, wie einer sagte. Dazwischen wieselte Claudia Roth herum, die – überglücklich wie eh und je – allen zurief, »die Menschen« hätten sich lange nach »einer ethischen Instanz« gesehnt. Ein Zyniker merkte an, Joachim Gauck sei eben zu Fuß über die Spree in den Reichstag gekommen.
Sozialdemokraten und Grüne, die gestern noch versichert hatten, lieber eine Minderheitsregierung bilden zu wollen, als auf Stimmen der Linken zurückzugreifen, beklagten sich über das Fehlen linker Stimmen und wiederholten wie Sprechautomaten, die Linke habe ihre »Stasi-Vergangenheit noch nicht bewältigt«. 50 Cent in den Schlitz: »… nicht bewältigt.« Noch ein 50-Cent-Stück, aber nur wenn Claudia spricht! »Gauck ist eine Brücke … nicht bewältigt«. Dann kam Wolfgang Thierse und erzählte – in einer besorgniserregenden hyperventilierenden Verfassung –, dass er in der Halle bei den Linken »diesen Hass auf Sozialdemokraten gespürt« habe, den man aus der Geschichte kenne. Vielleicht war ihm der ehemalige Sozialdemokrat Dieter Dehm über den Weg gelaufen. Trotzdem: Der Mann gehört wegen übler Nachrede vom Fleck weg verhaftet. Thierses Genossen haben zum vaterländischen Krieg aufgerufen, waren in die Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verstrickt und gaben den Befehl, auf Kommunisten zu schießen. Aber die postmoderne Philosophie macht keinen Unterschied zwischen Realität und Imagination; also darf man lügen, wenn man die Lüge nur ehrlich empfunden hat.

Am Tag darauf – bei Maybritt Illner – fragte Edmund Stoiber, den die Heuchelei sichtlich anwiderte, wieso denn nicht wahrgenommen werde, dass Joachim Gauck »konservativer ist als Wulff«, deshalb hätten einige ihn und nicht Wulff gewählt. Da war es raus. Die 44 Verweigerer sind erzreaktionäre Unionspolitiker, solche, die man, wenn sie in Frankreich, Österreich, der Schweiz, den Niederlanden, Belgien und Ungarn vorkommen, »Rechts­populisten« nennt. Sie beklagen sich schon lange über die »sozialdemokratische« Kanzlerin. Nun hatte die rot-grüne Allianz ihnen ein Angebot gemacht, und sie griffen zu. Ihre Stimmen für Gauck sollten das Ende der Ära Merkel einläuten und signalisierten zugleich den Aufbruch der Rechts­populisten, die in ihrer Euphorie sofort eine Rückholaktion ihres Frontmanns Roland Koch forderten.
Die Süddeutsche Zeitung fragte, warum SPD und Grüne ausgerechnet den »fundamentalen Anti­sozialisten« vorgeschickt haben, der mit der »Stan­dardthese« hausieren geht, dass der Kommunismus »mit ausdrücklichem Bezug auf die DDR als ebenso totalitär eingestuft werden muss wie der Nationalsozialismus«, der Kommunisten anlastet, das »Unrecht« der Vertreibung »zementiert« zu haben, »als sie die Oder-Neiße-Grenze als neue deutsch-polnische Staatsgrenze anerkannten«, und dem bei Willy Brandts Entspannungspolitik »im Rückblick« der Verlust größer vorkommt als der Gewinn. Gauck mag es nicht, »wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird«. Wer – außer Deutschland – wollte das Leben aller Juden auf der Erde bis zum letzten Kind vernichten, um das »Weltenblut« zu reinigen, und wer – außer Deutschland – hatte die Maschinerie dazu in Betrieb gesetzt?
Nazis hingegen kann er ganz gut verstehen: »Früher haben Ausländermilieus Unbehagen in mir ausgelöst«, anderen sei es wohl wie ihm ergangen, »weil sie Angst vor Fremden hatten«. Wie sie mag auch er keine Stadtviertel mit »allzu vielen Zugewanderten und allzu wenigen Altdeutschen«, und Emigranten sagt er ins Gesicht: »Wenn ihr wollt, dass eure Kinder mitspielen, dann sorgt dafür, dass sie Deutsch sprechen!« Asamoah spricht deutsch wie ein Hannoveraner, doch als er im Cottbusser Stadion mitspielte, wurde er bei einem Einwurf von allen, die in der Nähe waren, angespuckt. Gauck will keine »Fürsorgegesellschaft«, sondern eine Bürgergesellschaft, in der die Opfer »ihre Lebensbedingungen selbst verbessern« und sich »erlösen« aus der »Unkultur« der »Angst, Resignation und Tristesse«, aber ohne »Abschaffung des Kapitalismus«, die nur eine »Flucht aus der Verantwortung« wäre.

Diese Rede hätte man dem Partei-Apparatschik Wulff dreimal um die Ohren geschlagen. Ob er die Beziehungen zu Israel und Polen kaputt machen wolle, ob die DDR wohl in Polen hätte einmarschieren sollen? So darf nur jemand sprechen, der frei ist vom Verdacht, die Parteiendemokratie zu vertreten. Als Gauck die Rede beendet hatte, standen die Gäste (Monika Maron, Kurt Biedenkopf und tausend andere) im Deutschen Theater auf, weil sie – wie bei Walsers Rede über die »Moralkeule Auschwitz« – dachten, sie seien Zeugen eines erhabenen Augenblicks. Stasi hin, Stasi her – Linke konnten diesen Mann nicht wählen.
Die Präsidentenwahl offenbarte die Verkommenheit von SPD und Grünen. Mit etwas Phantasie könnte man die Nominierung von Gauck als Testlauf für eine neue rechtspopulistische Partei in Deutschland interpretieren. In jedem Fall als Weckruf. Wer es wissen wollte, weiß jetzt: Die deutsche Parteiendemokratie ist am rechten Rand fragil, und das wabernde rechte Spektrum ist groß. Gauck habe jene angesprochen, die aus Abneigung gegen den »parteipolitischen Betrieb« sich sonst »populistischen Bewegungen« (FAZ) zuwenden. Die Kanzlerin soll nun durch eine Regierungsumbildung Platz für Roland Koch schaffen. Im Hintergrund schwingt bedrohlich die Möglichkeit einer neuen rechten Partei. Koch als Kanzler oder als Führer dieser Partei – mit Gauck, Stoiber und Friedrich Merz im Präsidium? Merkel und Westerwelle stehen jedenfalls »vor einem halben Jahr, in dem es um ihr Verbleiben in den Ämtern geht«. (FAZ)
Warum setzten SPD und Grüne also auf den Mann, der überall vor dem Leibhaftigen im linken Kostüm warnt und mit Tintenfässern nur so um sich wirft – unerschrocken, und wenn die Welt voll Teufel wäre? Ein paar Gründe zur Auswahl. Der erste: Sie sind so rechts. Der zweite: Man wollte Merkel eins auswischen. In einer mit sich eins gewordenen Welt kommt dem taktischen Winkelzug mehr Bedeutung zu als dem Verstand. Drittens: pure Dummheit. Cem Özdemir sieht eine »Kontinuität der Freiheit vom Hambacher Fest über die Paulskirche zu Gauck«. Entweder weiß er nicht, dass die Teilnehmer dieser Feste durch nationale Borniertheit und Franzosenhass auffielen, oder er findet beides super. Viertens: das Charisma. Wie dem Komponisten einer gefälligen Musik gelingt es Gauck, die Entfremdung der Repräsentanten und Repräsentierten aufzuheben, indem er sie vertieft – wie der Onkel, von dem Kinder sich nicht ansprechen lassen sollen, sich in das Gemüt des Opfers schleimt. Er ist nah, obwohl die Distanz größer nicht sein könnte. Wer auf Gauck reinfällt, fällt auch auf Heiratsschwindler rein. Welche Labsal, wenn Karl Lauterbach (mit Fliege) dezidiert vorrechnet, was Ärzte verdienen, und Wulff erzählt, dass er als Kind Busfahrer werden wollte, »um Menschen von A nach B zu transportieren«. Jetzt will er »in unserer bunten Republik« ein »Brückenbauer« sein. Fernsehen aus, Licht aus, schlafen.

Die Präsidentenwahl vermittelte Einblicke in die Befindlichkeit der Deutschen. Als Heinrich Lübke der revoltierenden Jugend in seiner rührend antizyklischen Art anbot, sich Sinnstiftung in »Männergesangsvereinen« zu suchen, wurde er ausgelacht. Heute verneigen sich Schauspielerinnen, Sportler und Sänger, Alte und Junge vor dem geistigen Repertoire der Vertriebenverbände, wenn es nur salbungsvoll vorgetragen wird. Etwas mehr kritisches Bewusstsein – Gauck hätte sich vor Eiern und Farbbeuteln nicht retten können, und Sozis und Grüne hätten sich entschuldigen müssen: bei Juden, Armen, Kommunisten, Willy Brandt, Polen und Emigranten. In der Aufforderung, die Linke solle sich zu dem rechten Demagogen bekennen, spürt man den Rest von Unbehagen, der erst verfliegt, wenn alle mitmachen.
Merkels Autoritätsverfall fällt zusammen mit der rot-grünen Regeneration, die kein Zufall ist, sondern das Produkt ihrer gemeinsamen Staatsräson. Ist einer verbraucht, muss der andere ran. Die SPD muss sich schneller als geplant fit machen für die Regierungsverantwortung. Das ist der Grund, weshalb sie die Korrekturdebatte zu Hartz IV abbrach, die Partei für »Köpfe wie Gauck« (Siegmar Gabriel) öffnete und der Linken, die nicht ins Konzept der Sanierung passt, die DDR und »ein ungeklärtes Verhältnis zum Parlamentarismus« vorwarf. Man wartet stündlich auf ihre Schuld am Scheitern der Weimarer Republik. Dominic Scales (SPD) aus Oberbayern sagt, es mache wieder richtig Spaß, »sich als Sozi an den Stammtisch zu setzen«. Im Suff würden gestandene Christsoziale sagen: »Mit Euch ham wir was g’rissen.« Was es auch gewesen ist, für einen Sozi gibt es kein schöneres Kompliment. Die SPD liegt wieder bei 30 Prozent, was viel ist, weil die Grünen mit ihren 17 Prozent auf dem Weg zur dritten großen Volkspartei sind. Geholfen haben die Bündnisse mit der CDU, die ihre bürgerliche Kompromiss­fähigkeit bewiesen, und ihr überschaubares Konzept: Wirtschaftsliberalität plus Sonnenkollektoren fürs Gewissen.
Im Prinzip sind Regierungen so gut oder so schlecht wie die Konjunkturen, die ihnen finanziellen Spielraum verschaffen oder entziehen. Doch die schwarz-gelbe Koalition bleibt dahinter zurück. Aus Rücksicht auf die FDP, die sich den Reichen verschrieben hat wie Faust dem Teufel, verzichtet sie beim Sparen auf den Schein eines Ausgleichs und gefährdet so das Bild eines über den Dingen stehenden Staatswesens. Das ist umso fahrlässiger, als die Union nur noch von 33 Prozent akzeptiert wird und die FDP wohl nicht mehr ins Parlament käme. Nur der Unterwürfigkeit der Deutschen ist es zu verdanken, dass sie ihre Demütigung friedlich hinnehmen.
Aber Kapitalisten quält die Vorstellung, dass sie mit einer Regierung ohne Rückhalt durch schwere Stürme müssen. Die Initiative von Bankern, Immobilienmaklern, Gerhard Cromme (Aufsichtsratschef bei Thyssen-Krupp und Siemens) und vielen anderen klassischen Anhängern der Union und der FDP für eine höhere Besteuerung der Reichen, um das Sparpaket »ausgewogener zu gestalten«, kommt einem blauen Brief für die Regierung gleich. Eine Regierung, die vom Kapital zur Sozialverträglichkeit gezwungen wird – wo gibt es so was? Sie sorgen sich auch um die Binnennachfrage, die in Deutschland ein für die Reproduktion nützliches Maß unterschreitet, und um die wachsende Isolierung in der Weltpolitik, die einem exportabhängigen Kapitalismus nicht gut bekommen könnte.

Vorbei ist die Zeit, als Schröder und Chirac im Kreml saßen, um mit Putin Rohstoffe, Rüstung, Industriegüter und den Euro-Machtblock abzustimmen. Merkel düpiert einen Staat nach dem anderen. Die von Frankreich vorgeschlagene »EU-Wirtschaftsregierung«, im Grunde ein Mitbestimmungsmodell für EU-Staaten, wies sie schroff zurück. Ihre separaten Wege in der Russland-Politik werden eingestuft als »geopolitische Wende ersten Ranges: Adieu Paris. Bonjour Moscou« (André Glucksmann). Der Fraktionschef der regierenden UMP, Jean-Francois Copé, fordert Merkel auf, sich wieder mit Frankreich gegen die Weltmächte USA und China zu verbünden. Die Kanzlerin reagierte nicht, und der Außenminister – möchte nach Gaza. Die USA wollen ihren Schuldenberg über einen Anstieg der Exporte abbauen und fordern Deutschland auf, den europäischen Markt nicht abzuwürgen, und China, seine Währung teurer zu machen. Nur China reagiert mit einer Aufwertung.
Durch seinen Export zieht Deutschland Produktionen aus dem Ausland ab und verordnet ihm gleichzeitig das Sparen auf Kosten seiner Sozialsysteme und einen Strafkatalog. Defizitsünder in der EU sollen hohe Geldbeträge als Pfand hinterlegen, ihnen werden Struktur- und Agrarhilfen gestrichen. Allein der Umstand, dass Deutschland sich wegen seiner Stabilität billig Geld leihen kann, führt bei Nachbarn zu Risikoaufschlägen und höheren Schulden. Deutschland ist in der EU eine ökonomische Führungsmacht ohne Bereitschaft zur politischen Führung. Es nimmt die Nachbarn einfach nur aus. Die auf eine kompromisslose Sanierung der nationalen Profitrate orientierte Politik birgt für die eigene Wirtschaft die Gefahr, dass die Nachbarn kaputt gespart und darüber die eigenen Märkte trocken gelegt werden.

Auf dem Gipfel der 20 führenden Staaten betonte Merkel stur, nicht Deutschland habe sich abzustimmen, sondern »die Schwachen haben sich nach uns zu richten«. Helmut Schmidt sprach zu recht von »wilhelminischer Großspurigkeit«. Dabei gibt es genug Gründe, den Mund nicht so voll zu nehmen. China, Brasilien und Indien haben die Krise kaum gespürt und steigen auf. Durch seine Abhängigkeit vom Export ist Deutschland auf gute Verhältnisse zu seinen Nachbarn angewiesen, und Deutschlands Banken sind noch voll fauler Aktiva, sagt George Soros, der Denker unter den Großspekulanten. Statt die Banken zu sanieren, bürde Deutschland alle Anpassungslasten den Schuldnerländern auf und riskiere so eine »Abwärtsspirale mit Deflation, Unruhen, Nationalismus, Gefährdung der Demokratien«. Er schließe »einen Kollaps des Euro und des europäischen Projekts« nicht aus. Wenn soziale Befreiung nicht gedacht wird, setzen sich in Krisen fast naturwüchsig nationalistische, völkisch-separatistische und faschistische Tendenzen durch, weil jeder darauf bedacht ist, die Verluste den anderen zuzuschieben; die deutsche Politik wirkt dabei wie ein Sonder-Förderprogramm dieser Trends.
Kein EU-Land kann es mit Deutschlands Produktivität aufnehmen, die auf sinkenden Löhnen (Leiharbeit) in Kombination mit fleißigen, konfliktscheuen und genügsamen Arbeitskräften beruht. In Deutschland kommen auf 1 000 Arbeitnehmer pro Jahr fünf Streiktage, in den USA und Großbritannien je 30, in Frankreich 104 und in Spanien 164. Bei uns wird die Rente ab 67 still hingenommen, in Frankreich bringt schon die geplante Anhebung von 60 auf 62 Hunderttausende auf die Straße. »Wenn die Deutschen ihre Politik nicht ändern, wäre ihr Austritt aus der Währungsunion für den Rest Europas hilfreich«, meint Soros. Deutschlands »Hauptsünde« liege in der Stagnation der Löhne, die anderen Ländern die Chance nehme, aufzuholen und Deutschland einen schwachen Binnenmarkt beschere. Der Großspekulant und die deutsche Linke haben also dasselbe Problem: Wie bringen wir Deutschen bei, dass der »Verzicht auf den Klassenkampf die bewusste oder unbewusste Mitwirkung an der Stabilisierung des Unrechts« ist? (E. Fraenkel, 1927) Man sollte nicht ganz ausschließen, dass Soros’ Konkurrenten ihr Geld in deutsche Anleihen gesteckt haben.
Im Übrigen nimmt die Symbolik vom Aufstieg und Fall kein Ende. Als Peter Maffay (statt »Karat«) auf dem Fest des neugewählten Bundespräsidenten im Schloss Bellevue das Lied »Über sieben Brücken musst du geh’n« anstimmte, sprang Gauck auf die Bühne »und sang unter größtem Beifall den Refrain« (Berliner Kurier) mit, während man Merkel selbst das kleine Fest bei der Fußball-Nationalmannschaft verübelte. Ein »Unding« nannte der Bund der Steuerzahler, der mit feinen Sensoren für Karriereverläufe ausgestattet ist, ihren Kurztrip nach Südafrika.