Liebermans neue »Vision« für den Gaza-Streifen

Alter Streifen, neue Visionen

Israels Außenminister Lieberman hat ­einen ungewöhnlichen Vorschlag für den Gaza-Streifen unterbreitet.
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Aus Kairo wurde dieser Tage gemeldet, dass man im Streit um direkte Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern am Wochenende in Ägypten nicht weitergekommen sei. Westbankpräsident Mahmoud Abbas erklärte nach Gesprächen mit US-Vermittler George Mitchell und Ägyptens Präsident Hosni Mubarak, er lehne zum jetzigen Zeitpunkt direkte Verhandlungen ab. Die Meldung dokumentiert den Irrsinn der Nahost-Verhandlungen. Im Mai hatten sich unter dem Beifall der Weltöffentlichkeit das Exekutivkomitee der PLO und das Zentralkomitee der Fatah in Ramallah dazu durchgerungen, wieder indirekte Verhandlungen aufzunehmen. Seitdem wird also verhandelt – nämlich über direkte Gespräche.
Das Räderwerk der Verhandlungen läuft, aber es ist das Räderwerk einer Uhr, das nichts schafft, ausser Zeit verstreichen zu lassen. Während darüber verhandelt wird, ob und wie verhandelt werden soll, bleibt alles, wie es ist: schlecht. Das ist beabsichtigt. Denn eines wäre für die Beteiligten noch schrecklicher als die aktuelle Situation, nämlich ein Verhandlungserfolg: ein palästinensischer Staat an der Seite Israels. Das will keiner der Protagonisten. Nicht jene, die das Ziel haben, Israel auszulöschen, nicht die nationalreligiösen jüdischen Siedler, nicht die für die militärische Sicherheit Israels Verantwortlichen, nicht der UNRWA-Apparat, der von der Aufrechterhaltung des palästinensischen Flüchtlingsmythos lebt, und zumindest mittelfristig auch nicht die Westbank-Palästinenser, die sich sorgen müssen, unter die Herrschaft der Hamas zu geraten. Auch die Gaza-Solidaritätsszene braucht die Vorstellung, Israel halte den Gaza-Streifen nach wie vor »besetzt«, um Israel die Verantwortung für die Versorgung Gazas anlasten zu können.
Nun hat Israels Außenminister Avigdor Lieberman vor dem Besuch der EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton im Gaza-Streifen, der am Sonntag stattfand, ein bahnbrechendes Gedankenspiel in der Presse lanciert: Europa solle die Hamas als legitime Regierung des Gaza-Streifens anerkennen und eine Wasserentsalzungsanlage, ein Klärwerk und ein Kraftwerk zur Stromerzeugung in Gaza errichten. Internationale Militäreinheiten wie die französische Fremdenlegion sollten Waffenschmuggel unterbinden, dann könnten Schiffe den Hafen von Gaza-Stadt anlaufen. Israel würde im Gegenzug seine Grenze zum Gaza-Streifen hermetisch absperren, weder Strom, noch Wasser mehr nach Gaza liefern und jegliche Verantwortung für den Landstreifen ablegen.
Benjamin Netanjahu und andere Regierungspolitiker distanzierten sich umgehend von diesem Alleingang, und auch Lieberman selbst relativierte seinen Vorstoß wieder. Dennoch hat er mit diesem kleinen Coup die Haltung Europas im Nahost-Konflikt wunderbar vorgeführt. Denn selbstverständlich würde die EU die Verantwortung für Gaza verweigern, so wie es auch Ägypten tut. Dass Ashton bei ihrem Besuch die Forderung nach der Aufhebung der Gaza-Blockade wiederholen würde, war absehbar. Schade, dass Lieberman die EU-Politikerin nicht noch ein wenig mehr brüskiert und ihr ein Statement abgerungen hat, weshalb sich bitte schön Israel weiterhin um den Gaza-Streifen kümmern solle. Ihre Antwort wäre sicher amüsant gewesen.