Laura Póllan im Gespräch über die Repression gegen Dissidenten in Kuba

»Wir werden unsere Demonstrationen fortsetzen«

Laura Pollán ist eine der Gründerinnen der »Damas de Blanco«. Die Frauenorganisa­tion hat sich im Anschluss an die Verhaftung von 75 Oppositionellen, der sogenannten »Gruppe der 75«, gegründet, die im Frühjahr 2003 zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden. Darunter war auch Laura Polláns Ehemann, der ehemalige Atomingenieur und Dissident Hector Maseda Gutiérrez. Anfang Juli hat die katholische Kirche bekanntgegeben, dass die Regierung die restlichen 52 Gefangenen der »Gruppe der 75« in den kommenden Monaten aus der Haft entlassen wird.

Die katholische Kirche hat nach Verhandlungen mit der kubanischen Regierung bekanntgegeben, dass die restlichen 52 Gefangenen der »Gruppe der 75« in den kommenden Wochen und Monaten freigelassen werden. Ist damit die Arbeit der »Damas de Blanco« beendet?
Nein, wir werden weiter kämpfen. Die 52 sind ja schließlich noch nicht frei. Es sind rund 30 von den Behörden befragt worden (das war bisher immer eine Vorraussetzung zur Freilassung – Anm. d. Red.), und elf sind nach Spanien ausgereist. Andere haben angekündigt, dass sie nicht nach Spanien ausreisen wollen, und bisher wissen wir nicht, ob das möglich ist – also ob sie einfach nach Hause gehen können oder ob sie in diesem Fall im Gefängnis bleiben müssen. Da herrscht große Unsicherheit, denn es sind seit diesen Befragungen durch die Behörden viele Tage vergangen, ohne dass etwas passiert ist. Es ist kein weiterer Häftling entlassen worden. Die »Frauen in Weiß« werden weitermachen, denn es geht uns nicht nur um die 52 Häftlinge der »Gruppe der 75«, sondern um alle politischen Gefangenen. Es gibt rund 50 bis 60 weitere politische Gefangene, die gewaltlos für ihre Rechte eintreten. Die »Frauen in Weiß« haben sich zwar gegründet, um für die Freilassung der 75 politischen Gefangenen zu kämpfen, die im Frühjahr 2003, dem »schwarzen Frühling«, in Kuba verhaftet und verurteilt wurden, aber nach vier, fünf Jahren haben wir uns für die Freilassung aller gewaltlosen politischen Gefangenen in Kuba eingesetzt. Unser Kampf geht also weiter. Wir werden gemeinsam mit den Frauen, die uns unterstützen, unsere Demonstrationen fortsetzen und jeden Sonntag in Kuba auf den Straßen zu sehen sein.
Wie ist die Situation der 52 Häftlinge, die freigelassen werden sollen? Haben Sie das Recht, in Kuba zu bleiben?
Wir wissen es nicht, denn bisher hat man denen, die nicht nach Spanien ausreisen wollen, nicht gesagt, ob sie in Kuba bleiben dürfen oder ob die einzige Möglichkeit die Ausreise ist. Es gibt jedoch eine ganze Reihe, die definitiv in ihrem Heimatland bleiben und sich nicht abschieben lassen wollen. Sie wollen in Kuba bleiben und ihren Beitrag zur Demokratisierung des Landes leisten. Das ist auch ein Grund, weshalb wir unsere Arbeit nicht beenden können. Es gibt genug zu tun.
Wie kam es zu der Entscheidung der »Damas de Blanco«, für die Freilassung von allen politischen Gefangenen in Kuba zu kämpfen?
Als wir begonnen haben, für die Freilassung unserer Männer, Söhne, Onkel und Neffen zu kämpfen, sind eine ganze Reihe von Frauen zu uns gekommen, um uns zu unterstützten. »Damas de Apoyo« (Frauen der Unterstützung) nennen wir sie, und einige von ihnen haben gleichfalls Angehörige im Gefängnis, die für die freie Meinungsäußerung in Kuba, für ihre Rechte gekämpft haben. Da haben wir begriffen, dass wir nicht nur für die Freilassung unserer eigenen Angehörigen kämpfen können, sondern für alle politischen Gefangenen in Kuba eintreten müssen.
Haben Sie Nachrichten von Ihrem Ehemann Hector Maseda Gutiérrez?
Ich habe ihn am Dienstag voriger Woche besucht, und er gehört zu denen, die bisher noch nicht zu diesen Gesprächen bestellt worden sind, die den Entlassungen vorangehen. Wir haben mit­einander gesprochen, und er hat betont, dass er auf keinen Fall nach Spanien ausreisen will.
Welche Bedeutung hat die katholische Kirche für die angekündigte Freilassung der restlichen 52 Häftlinge der »Gruppe der 75«?
Die Kirche hat auf Bitte der Regierung der Brüder Castro als Vermittler zwischen der Regierung und den »Frauen in Weiß« agiert. Wir wurden zu drei Treffen eingeladen, wo über die Freilassung unserer Angehörigen gesprochen wurde, und es hätte keine bessere Vermittlungsinstanz als die Kirche geben können. Die Kirche ist eine Institution mit einer starken Verankerung in der Gesellschaft und hat große Erfahrung in derartigen Vermittlungsmissionen – nicht nur in Kuba, sondern vor allem auch international. Die Kirche agiert nicht im Auftrag von irgendeiner politischen Partei und lässt sich nicht vereinnahmen. Das ist auch der Grund, weshalb wir der Kirche sehr dankbar sind für ihren Einsatz für die politischen Gefangenen.
Anfang April wurden die Märsche der »Damas de Blanco« mehrfach angegriffen, es gab Handgreiflichkeiten und Beschimpfungen von Anhängern der Regierung. Die Kirche hat daraufhin an die Regierung appelliert, sie solle dafür sorgen, dass die Angriffe auf die »Damas de Blanco« aufhören. Hatte das Erfolg?
Das war der Beginn des Wandels. Wir treffen uns jeden Sonntag in der Kirche Santa Rita in Miramar, besuchen die Messe und marschieren anschließend mit der Forderung nach Freilassung der politischen Gefangenen durch die Straßen Havannas. Damals kam es an drei aufeinanderfolgenden Sonntagen zu Einschüchterungsversuchen gegen uns – wir wurden beschimpft, diffamiert und auch geschlagen. Die Kirche hat daraufhin energisch protestiert und die Regierung aufgefordert, diese Aktionen zu unterbinden. Dieser Appell hat Früchte getragen, dafür sind wir sehr dankbar, und er war der Auftakt zu den Verhandlungen. Die Regierung hat zum ersten Mal seit 50 Jahren auf einen Appell der Kirche reagiert – sie hat um Vermittlung gebeten und die Einschüchterungsversuche unterbunden.
Welche Bedeutung hatte der Hungerstreik von Guillermo Fariñas? Nach dem Hungertod von Orlando Zapata im Februar hat er aus Protest gegen dessen Tod und für die Freilassung von 26 erkrankten Mitgliedern der »Gruppe der 75« die Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit verweigert.
Für uns »Damas de Blanco« war der Hungerstreik von Guillermo Fariñas eine wichtige Geste. Das eigene Leben für die Freilassung dieser politischen Gefangenen zu riskieren, ist keine Kleinigkeit und hat sicherlich den Druck auf die Regierung erhöht. Fariñas hat sich nie beirren lassen, wir haben ihn mehrfach besucht, um ihn zur Beendigung seines Hungerstreiks zu bewegen. Das hat er mehrfach sehr energisch abgelehnt, erst nach der Ankündigung der Freilassung der 52 hat er eingewilligt, wieder Wasser und Nahrung zu sich zu nehmen. Ich denke, dass der Tod von Orlando Zapata, die Angriffe auf die »Damas de Blanco« und der Hungerstreik von Guillermo Fariñas die drei wesentlichen Elemente waren, die dazu geführt haben, dass es zu Verhandlungen kam. Dabei ist natürlich auch die Rolle Spaniens und des Europäischen Parlaments zu nennen, die sich engagiert haben, und letztlich hat die kubanische Regierung dann ihr Verhalten geändert. Noch einmal: Wir danken Guillermo Fariñas für seine unbeirrbare Haltung, und wir sind sehr froh, dass er den Streik dann beendete. Wir brauchen diesen Mann für Kubas Zukunft lebend und nicht tot.
Es gibt aber auch kritische Stimmen, die besagen, dass die katholische Kirche sich zur einzigen Verhandlungsinstitution mache – Oswaldo Payá von der christlichen Befreiungsbewegung hat gesagt, es bleibe dann kein Platz für andere oppositionelle Kräfte. Ist die Kritik berechtigt?
Die Kirche ist die Vermittlerin in diesem Moment, und wir haben mit Kardinal Ortega y Alamino erst kürzlich über die beunruhigende Frage gesprochen, was mit den Häftlingen passiert, die nicht nach Spanien ausreisen wollen. Das sind offene Fragen, und die kann nur die Kirche als Vermittlungsinstanz mit der Regierung klären, dazu gibt es keine derzeit Alternative. Wir brauchen den Dialog.
Vertrauen Sie der Kirche?
Ja, ich vertraue der Kirche. Ich weiß, dass die Kirche die besten Absichten hat, und ich weiß nur zu gut, wie oft uns die Regierung belogen und betrogen hat.
Wie ist Ihre persönliche Situation derzeit in Havanna?
Unverändert: Ich werde seit vielen Jahren rund um die Uhr bewacht und observiert. Es gibt eine ganze Reihe von Kameras, die alles und jedes aufzeichnen. Das macht mir aber nichts mehr aus, ich habe mich daran gewöhnt. Ich weiß, dass ich nichts Schlechtes mache. Ich kämpfe dafür, dass es Frieden und Freiheit in diesem Land gibt, dass die Menschenrechte respektiert werden. Das sind unsere Ziele, und daher interessiert es mich nicht, ob die Regierung mich nun observiert oder nicht.