Die Krise der kubanischen Landwirtschaft

Alles eine Frage des Eigentums

Die Produktivität der kubanischen Landwirtschaft sinkt. Nicht nur beim Zuckerrohr, sondern auch bei Kaffee und Tabak. Das wirkt sich für die Bevölkerung verheerend aus, in den Regalen der Supermärkte wird schon der Zucker knapp. Kubas Unterhändler suchen weltweit nach Krediten. Ihre Bemühungen haben einiges zur jüngst verkündeten Freilassung politischer Gefangener beigetragen.

Zucker gab es in Kuba immer im Überfluss. Auf 70 Kilogramm belief sich der jährliche Durchschnittsverbrauch pro Kopf in den siebziger Jahren, und bis heute mögen es die Kubaner gern süß. In den fetten Cremetorten steckt immer eine Extraportion Zucker, so dass man meistens auf dem einen oder anderen Kristall herumbeißt, das ist normal auf der Insel und findet Gefallen. Doch Zucker wird immer knapper. Die Zuckerquote auf der Libreta, dem nationalen Rationierungsheft, wurde im Februar gesenkt. Seitdem gibt es nur noch vier statt fünf Pfund pro Kopf. Der Grund dafür ist einfach: der Einbruch bei der Ernte des Zuckerrohrs. Statt wie in den achtziger Jahren um die acht Millionen Tonnen pendelt die Ernte heute um die 1,1 Millionen Tonnen Zucker, Tendenz fallend. Längst hat Kuba, einst weltweit an erster Stelle beim Rohrzuckerexport, seine führende Position auf dem Zuckerweltmarkt verloren. Um die 400 000 Tonnen Rohrzucker soll die Insel noch exportieren, vornehmlich nach Russland. Doch auch diese Exportverpflichtung droht Kubas Zuckerminister nicht mehr einhalten zu können. Bereits im Mai verkündete die Granma, das Leitorgan der kubanischen Presselandschaft, dass die damals noch laufende zafra (Zuckerrohrernte) die schlechteste seit 105 Jahren sei und kaum mehr als 1,1 Millionen Tonnen Zucker einbringen werde.

In Kuba hat dies allerdings kaum einen Spezialisten überrascht. Fährt man durch die Regionen, wo einst das Zuckerrohr bis zum Horizont wogte, steht man oft vor brachliegenden Feldern. In Matanzas, einst der wichtigste Ausfuhrhafen für Zucker und Hauptstadt der gleichnamigen Provinz konzentriert sich längst alles auf den Tourismus. Zwar kann man hier noch die Spuren des einstigen Reichtums sehen, wie zum Beispiel das neoklassizistische Teatro Sauto, wo in den dreißiger Jahren große internationale Stars auftraten, aber im Hafen der Stadt wird schon seit langer Zeit kaum mehr Zucker umgeschlagen.

»Kubas ehemals wichtigste Zuckerprovinz lebt mehr und mehr vom Tourismus«, erklärt Raimun­do García Franco. Der evangelische Pater aus Cárdenas, nur eine halbe Autostunde von Matanzas entfernt, kennt sich aus mit der kubanischen Landwirtschaft. Teil der Gemeindearbeit ist auch der Betrieb eines großen Biohofs von knapp 40 Hektar. Die Finca »El Retiro« liegt gleich um die Ecke von der Genossenschaft Roberto Fernández Pérez. Der Name ist auf dem Betonungetüm von Hinweisschild kaum mehr zu erkennen. Farbe ist knapp in Kuba, und obendrein herrscht auf dem Hof der »Kooperative zur landwirtschaftlichen Produktion« alles andere als reges Treiben.

»Hier passiert nicht mehr viel«, sagt Franco und nimmt die Abzweigung zu der Bio-Finca, die von seiner Tochter Rita Morris und rund 60 Genossen betrieben wird. Akkurat angelegte Gemüsebeete sowie lange Reihen von Bananenstauden und Obstbäumen zeugen davon, dass hier hart gearbeitet wird. Renero Suárez ist einer der Männer, die hier beschäftigt sind, und er weiß genau, weshalb die Kooperative in der Nachbarschaft nicht auf die Beine kommt. Der stämmige Mann deutet wie zum Beweis auf die verwilderten Felder rechts vom Feldweg. Auf denen sind nur noch Gräser und der Fluch der kubanischen Landwirtschaft, der Marabú, zu sehen. »Das dornige widerstandsfähige Buschwerk, das bis zu vier Meter hoch wird und kaum auszurotten ist, hat sich nahezu überall breit gemacht, wo die Felder zu Beginn dieses Jahrtausends sich selbst überlassen wurden«, erklärt Franco. Alle Kubaner, die etwas mit Landwirtschaft zu tun haben, kennen die Plage nur zu gut, und Schätzungen von Agrarspezialisten des Studienzentrums der kubanischen Wirtschaft (CEEC) gehen davon aus, dass bis zu 30 Prozent von Kubas Ackerfläche von Marabú heimgesucht sind.

»Wo das Land sich selbst überlassen wird, übernimmt der Marabú das Regiment«, sagt Renero Suárez schulterzuckend. »Landwirtschaft lohnt sich nicht aus Sicht vieler Bauern. Die meisten Genossen der Kooperative von gegenüber sind ausgestiegen, haben die Landwirtschaft aufgegeben und arbeiten im Hotel in Varadero«, erklärt der aus Cárdenas stammende Bauer. Die Stadt liegt nur 15 Kilometer entfernt von den prächtigen Stränden der kubanischen Touristenmetropole. Seit die Unternehmen aus dem Schiffbau, die Werkstätten der Eisenbahn und die Rumdestille Arechabala kaum mehr produzieren, ist der Tourismus die wichtigste Einnahmequelle rund um Cárdenas. Die Landwirtschaft findet nur noch nebenbei statt, dynamische Projekte wie die Finca »Retiro« sind die Ausnahme. Der Biobetrieb ist ausgezeichnet worden, wie eine Tafel mit dem Namen der Farm und den Worten »Exelencia nacional« neben dem aus Stahlrohr gefertigtem Eingangsschild informiert. Ein Erfolg für Rita Morris, die Direktorin des Betriebs, doch gleichzeitig stöhnt sie über die Hürden, die ihr das sozialistische Agrarmodell in den Weg stellt.

»In Kuba gibt es minutiöse Vorschriften, wer was wo verkaufen darf. Wir dürfen nicht mal einen Kohlkopf auf dem freien Markt verkaufen, geschweige denn ein Hotel in Varadero mit Bioprodukten beliefern«, sagt Morris. So gehe die gesamte Produktion an Altenheime, soziale Einrichtungen, kirchliche Organisationen oder Kindergärten – zu Preisen, die staatlich vorgeschrieben sind und nicht immer die Produktionskosten decken. Jeden Handschuh, jeden Spaten und jeden Gummistiefel muss die Direktorin der Farm hingegen teuer beim Staat einkaufen. Geschäfte für Bauern, wo Düngemittel, Werkzeuge und anderes Equipment eingekauft werden können, gibt es in Kuba bis heute nicht viele, und sie haben kein ausreichendes Angebot.

Das sei ein zentrales Defizit in Kubas extrem bürokratisiertem Agrarsektor, kritisiert Armando Nova, einer der bekannten Agrarforscher der Insel. Gleich drei Ministerien – neben dem Agrar- gibt es ein Zucker- und ein Nahrungsmittelministerium – beschäftigen sich mit Kubas ehemals wichtigstem Wirtschaftssektor. Rund 21 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten offiziellen Zahlen zufolge in der Landwirtschaft, doch die produziert von Jahr zu Jahr immer weniger Lebensmittel und Exportprodukte. Nicht nur Zucker ist dafür ein Beispiel, auch bei Tabak und Kaffee sind die Erträge rückläufig. Genau das kann sich die Insel aber immer weniger leisten. Für 50 Millionen US-Dollar musste jüngst Kaffee importiert werden – ein Armutszeugnis für den traditionellen Kaffeeexporteur Kuba, der mittlerweile jeden Euro und jeden US-Dollar zweimal umdrehen muss, bevor er ausgegeben wird. Auf 2,4 Milliarden US-Dollar beliefen sich die Nahrungsmittelimporte im Jahr 2008, dem Jahr, in dem drei Hurrikans die Insel verwüsteten und für zusätzlichen Importbedarf sorgten. Doch mit diesen zusätzlichen Einfuhren waren die finanziellen Reserven der Regierung von Raúl Castro aufgezehrt.

Seither klaffen in Havannas Supermärkten Lücken in den Regalen. »Bei Milchpulver, bei Erfrischungsgetränken und selbst bei Zucker gibt es immer wieder Lieferprobleme«, weiß Omar Everleny Pérez. Der Ökonom vom Studienzentrum der kubanischen Wirtschaft (CEEC) gehört zu den Wissenschaftlern, die die Regierung derzeit bei der Entwicklung geeigneter Wirtschaftsreformen beraten, und plädiert wie sein Kollege Armando Nova für weniger Bürokratie, mehr Eigenverantwortung und auch für andere Eigentumsformen. Ein heikles Thema im hochgradig zentralisierten Apparat der Insel, wo die Eigentumsfrage quasi als Tabu gilt. Doch angesichts der seit Jahrzehnten anhaltenden Krise in der Landwirtschaft gibt es kaum Alternativen.

Der Absturz beim Zucker ist dabei nur das einschneidendste Beispiel, denn die Produktivität pro Hektar ist in vielen Bereichen katastrophal im Vergleich zu den Nachbarn. Beim Zucker produziert Kuba gerade 27 Tonnen pro Hektar, in Mexiko oder Brasilien sind es zwischen 6o und 67 Tonnen. Das liege auch daran, dass notwendige Güter wie Dünger, Pestizide oder schlicht der Diesel für die Erntemaschinen nicht pünktlich zur Verfügung stehen, so Pérez, aber auch an den Strukturen der Landwirtschaft, die einst für ihre fruchtbaren Böden berühmt war. Wegen der desolaten Situation der Landwirtschaft gerät die Regierung in Havanna immer mehr unter Druck. »Faktisch lebt man von der Hand in den Mund«, sagt Pérez. Das geht so weit, dass im Frühjahr 2009 bereits die Konten von Handelsunternehmen, ausländischen Partnern und Gesellschaften eingefroren wurden, um das notwendige Kapital für die Importe aufzubringen. Diese Maßnahme ist zwar inzwischen nicht mehr in Kraft, aber kubanische Regierungsbeauftragte sind nunmehr unterwegs, um bei den engsten Handelspartnern um Kredite und Handelspräferenzen nachzusuchen. In China, Venezuela und Russland stehen die Chancen allerdings nicht so gut, schätzt Pérez. Einen Milliardenkredit möchten die Machthaber auf der Insel am liebsten aushandeln, um Devisen für notwendige Importe und die anstehenden Reformen im Agrarsektor zu erhalten. An denen kommt die Regierung von Raúl Castro nicht vorbei.

Ein Zeichen des Wandels sei bereits die angekündigte Freilassung von 52 politischen Gefangenen, sagt der kubanische Ökonom Oscar Espinosa Chepe. Der 69jährige saß bis 2004 selbst in Haft, weil er sich für Reformen auf der Insel ausgesprochen und seine Meinung auch schriftlich in Artikeln und Essays kundgetan hatte. »Wir sind am Wendepunkt angekommen, die Regierung der beiden Castros muss sich bewegen, weil es sonst zu einer sozialen Explosion auf der Insel kommt«, sagt der Oppositionelle. Diese Einschätzung ist nicht nur in Dissidentenkreisen verbreitet, und sie hat dazu beigetragen, dass sich die kubanische Regierung derzeit ungewöhnlich flexibel zeigt. Bisher vor allem in der Frage der politischen Gefangenen und gegenüber der Europäischen Union: »Die Freilassung der Oppositionellen, die der Gruppe der 75 angehören, war eine Kernforderung der EU seit deren Verurteilung im Frühjahr 2003«, erklärt Pérez. »Ihre Freilassung wäre die Voraussetzung für die Entspannung des Verhältnisses zu Kuba und eine pragmatische Politik von Seiten der EU.« Deutlicher gesagt: In Havanna wird darüber spekuliert, ob die EU der Insel mit Handelskrediten und Handelspräferenzen unter die Arme greifen kann.

In Spanien würde diese Entwicklung begrüßt. »Wandel durch Handel« lautet die Devise von Außenminister Miguel Angel Moratinos, der seit mehreren Jahren versucht, seine 27 EU-Kollegen auf diese neue Position einzuschwören. Mit guten Erfolgsaussichten, denn mittlerweile ist in Madrid von der Freilassung aller politischen Gefangenen auf der Insel die Rede. Einen derartigen Erfolg hätte noch vor einem halben Jahr kaum jemand zu prognostizieren gewagt.

Mitverantwortlich dafür ist neben dem internationalen Druck im Zuge des Todes des Oppositionellen von Orlando Zapata nach einem Hungerstreik die Opposition auf Kuba selbst, aber auch die verheerende wirtschaftliche Situation. So sind Stromabschaltungen trotz gegenteiliger Versprechungen der Führung in Kuba nicht mehr die Ausnahme, und immer öfter ist in den kubanischen bodegas, wo die Bevölkerung die rationierten Lebensmittel des täglichen Bedarfs einkauft, »no hay« (gibt es nicht) zu hören. Das Gespenst der Krise der neunziger Jahre geht um. Damals, als das sozialistische Lager auseinandergebrochen war, brach auch die kubanische Wirtschaft zusammen, und erst zaghafte Reformen sorgten dafür, dass es ab 1994 wieder langsam bergauf ging. Damals löste man die großen Staatsgüter in der Landwirtschaft auf, ließ ein wenig Selbständigkeit zu und legalisierte kleine Familienbetriebe wie Restaurants oder Zimmervermietungen. Später wurden die meisten dieser Maßnahmen allerdings wieder zurückgenommen. In diese Richtung könnte es nun erneut gehen. Doch in der Landwirtschaft wird das allein nicht reichen. Strukturelle Reformen sind notwendig.

Dabei komme man an der Eigentumsfrage nicht vorbei, urteilte Agrarexperte Armando Nova bereits vor zwei Jahren. Schon ein Blick auf die Produktionsstrukturen belegt das: Privatbauern, die knapp 20 Prozent der Ackerfläche Kubas bewirtschaften, produzieren in vielen Bereichen mehr als die staatliche und halbstaatliche Konkurrenz pro Hektar. »Demzufolge brauchen wir kleinere Einheiten, kleine Genossenschaften, die flexibler produzieren und einen Bezug zum Boden haben«, so Nova. Daran hat sich bis heute nichts geändert, nur die Situation im Agrarsektor hat sich weiter verschärft. Eine Tatsache, die auf der Finca »El Retiro« nur schulterzuckend regis­triert wird. Dort wartet man ab, was in Havanna ausgehandelt wird. Ob man dann auch eigenständig entscheiden kann, was man anbaut und wohin man verkauft? »Es wäre ein wichtiger Schritt«, sagt Rita Morris. So recht daran glauben kann sie aber nicht.