Europäische Banken im Stresstest

Europa spült den Stresstest weich

Der Stresstest für europäische Banken sollte vor allem eine Beruhigung der Märkte bewirken. Tatsächlich fiel in Deutschland nur die Hypo Real Estate durch den Test. Ob sich aber eine Konsolidierung herbeireden lässt, steht in den Sternen.

Es ist ein Rekordwert in der jüngeren US-Geschichte. In der vorigen Woche gab der US-Einlagensicherungsfonds FDIC bekannt, dass seit Jahresbeginn 103 Banken in den USA dicht machen mussten. Bereits im Jahr 2009 seien insgesamt 140 Banken pleite gegangen, davon im ersten Halbjahr, dem aktuellen Vergleichszeitraum, aber »lediglich« 64. Zusätzlich würden derzeit noch weitere 775 Kreditinstitute ums Überleben kämpfen, so dass das Jahr 2010 als Bankenpleitejahr in die Geschichte eingehen dürfte. Die ganze Dramatik der Situation wird deutlich, wenn man den Zustand des amerikanischen Bankenwesens ins Verhältnis zu den Vorjahren setzt: 2008 waren in den USA lediglich 25 Banken pleite gegangen und 2007 sogar nur drei. Die Bankenpleiten in Übersee sorgen auch in Deutschland und Europa für Unruhe, viele Anleger befürchten, die hiesigen Banken könnten ebenso anfällig sein oder von den amerikanischen Bankenzusammenbrüchen erfasst werden.
Umso beruhigender sollten offensichtlich die Ergebnisse des »Stresstests« für die europäischen Banken wirken, die in der vergangenen Woche verkündet wurden. Bei der vom Europäischen Ausschuss der Bankenaufsichtsbehörden (CEBS) durchgeführten Analyse hatten die europäischen Banken, darunter auch die deutschen Kreditinstitute, ausgesprochen gut abgeschnitten. Mit dem Stresstest wurde untersucht, ob eine Bank auch bei negativer Marktentwicklung oder gar Konjunktureinbrüchen überlebensfähig sei. Dabei wurde geprüft, wie sich das Kapital der Banken in drei verschiedenen Szenarien verhält: Im ersten, dem sogenannten Benchmark-Szenario, wurden Entwicklungen simuliert, die den derzeit pessimistischsten Prognosen für den Herbst entsprechen; das zweite setzt eine schlechte wirtschaftliche Entwicklung und ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung von drei Prozent voraus. Für das dritte Szenario wurden zusätzlich zur schlechten Wirtschaftsentwicklung auch noch massive Wertverluste von Staatsanleihen angenommen. Als gesund kann eine Bank dann gelten, wenn sie in keinem Falle unter eine Kernkapitalquote von sechs Prozent rutscht. Mit diesem Eigenkapital, das dauerhaft im Unternehmen verbleibt, müssten die Banken im neuerlichen Krisenfall Haftungsansprüche bedienen.

Insgesamt übertrafen die Ergebnisse – auf den ersten Blick – die Erwartungen. Nur sieben der 91 getesteten europäischen Banken fielen durch, darunter neben der griechischen Atebank und fünf spanischen Sparkassen auch die deutsche Hypo Real Estate (HRE). Ansonsten verblieben die deutschen Kreditinstitute über der Sechs-Prozent-Marke, obwohl einige Landesbanken und die größte deutsche Privatkundenbank, die Postbank, diese Hürde nur äußerst knapp nahmen. Aber auch für die HRE wurde sofort nach Veröffentlichung der Ergebnisse Entwarnung gegeben. So würden nach Angaben der HRE und ihres Eigentümers, dem staatlichen Bankenrettungsfonds Soffin, im zweiten Halbjahr weitere Vermögenswerte in Höhe von 210 Milliarden Euro auf eine Abwicklungsanstalt der Soffin übertragen werden und der marode Immobilienfinancier weitere zwei Milliarden Euro frisches Kapital von der Soffin erhalten. Wäre dies berücksichtigt worden, so die Verlautbarung der HRE, hätte man den Stresstest bestanden.
Die CEBS errechnete für die sieben durchgefallenen Banken, dass sie insgesamt 3,5 Milliarden Euro zusätzliches Kapital aus den staatlichen Rettungsfonds benötigten. Gemessen an den Prognosen ist dies ein überraschend geringes Volumen. In einer Umfrage unter Investoren, die von Goldman Sachs im Vorfeld durchgeführt worden war, hatte sich eine durchschnittliche Erwartung von zusätzlich benötigten 38 Milliarden Euro herauskristallisiert. So konnte der Generaldirektor für Finanzen der EU-Kommission, Marco Buti, das Ergebnis überschwänglich kommentieren. »Die Testergebnisse zeigen, dass der Großteil europäischer Banken solide ist und nur vereinzelte Institute unter extremen Bedingungen zur Schwäche neigen«, so Buti.

Auch in Deutschland fielen die offiziellen Stellungnahmen zunächst ausnahmslos positiv aus. Bundesbank-Vizepräsident Franz-Christoph Zeitler und der Chef der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Jochen Sanio, attestierten den großen deutschen Banken Widerstandsfähigkeit in Krisenzeiten. Im Durchschnitt würde ihre Kernkapitalquote selbst bei rückkehrender Rezession und bei einem Crash der europäischen Staatsanleihen nur auf 8,5 Prozent abschmelzen. Ende 2009 war noch von 10,5 Prozent die Rede. »Die deutschen Institute sind bei der Bilanzreparatur ein gutes Stück vorangekommen, aber der Prozess ist sicher noch nicht am Ende«, resümierte Zeitler. Außer womöglich der HRE brauche keine deutsche Bank aus Sicht der Aufsichtsbehörden frisches Eigenkapital. Die Zeit staatlicher Bankenrettungen könnte also vorbei sein. Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bewertete die Stresstest-Ergebnisse der deutschen Banken als insgesamt »sehr erfreulich«. Die rege Teilnahme und die Offenlegung der Testergebnisse seien »ein wichtiger Schritt für mehr Vertrauen auf den Märkten«.
Eben diese Märkte reagierten immerhin mit dem gewünschten Ergebnis, was offensichtlich auch der Sinn des ganzen Prozederes war. Am Markt für Kreditausfallderivate sanken die Risikoprämien der getesteten Banken für eventuelle Kreditausfälle um 20 bis teilweise 100 Prozentpunkte. Vor allem die Landesbanken konnten davon profitieren. Nach Einschätzung der Analysten von Goldman Sachs hätten die Ergebnisse der Stresstests geholfen, »Vertrauen im Sektor aufzubauen«. Insgesamt seien die Resultate mit einem »bedingten Daumen hoch« zu bewerten und ein deutlicher Schritt nach vorne, schrieben die Analysten in einer am Montag veröffentlichten Studie.

Zwar hat der Stresstest zunächst die gewünschte Ruhe an der Anlegerfront gebracht, wirklich bedeutsame Erkenntnisse hat er aber nicht zutage gefördert. Zum einen ist die Eigenkapitalquote von sechs Prozent eine völlig beliebige Größe. Hätte die Grenze bei sieben Prozent gelegen, so wäre die Kapitalunterdeckung der getesteten Banken auf 11,3 Milliarden Euro geschnellt und die Zahl der durchgefallenen Banken hätte bei 24 statt bei sieben gelegen. Wäre man dem erst kürzlich angewendeten Testmodell der Schweiz gefolgt, in dem der sichere Kernkapitalanteil bei acht Prozent veranschlagt wurde, so wäre das Ergebnis einem Desaster gleich gekommen. Zum anderen wurden die Kursabschläge auf Staatsanleihen sehr gering taxiert. Für Griechenland wurde beispielsweise ein Kursabschlag von 23,1 Prozent angenommen, was angesichts üblicher Verluste von teilweise über 50 Prozent nicht annähernd der Realität entspricht. Das Szenario eines Staatsbankrotts wurde erst gar nicht erwogen.
Angesichts der einsetzenden Kritik seitens der Wirtschaftsforschungsinstitute musste denn auch Sanio etwas kleinlaut eingestehen, dass die Prüfungen den deutschen Behörden keine neue Erkenntnisse gebracht hätten. »Das war nur eine Operation zur Beruhigung der Märkte«, so der Bafin-Chef. Drastischer und überaus treffend drückte Daniel Gros, Leiter des Centre for European Policy Studies (CEPS), die Kritik an den »weichgespülten« Kriterien und damit der Aussagekraft des Tests aus: »Der Stresstest hat Leichen für tot erklärt.«