Freie Burger für freie Bürger!

Marco Wanderwitz ist ein vielseitiger Mann. Zumindest scheint man das in der Redaktion der Bild-Zeitung so zu sehen. Dort forderte Wanderwitz als »CDU-Rechtsexperte« Kontaktverbote für Brigitte Mohnhaupt, um zu verhindern, dass ehemalige RAF-Mitglieder »einen Stammheim-Stammtisch einrichten«. Als »CDU-Medienexperte« setzte er sich energisch für ein Vuvuzela-Verbot ein, damit »das Generve auch zuhause an den Bildschirmen endlich ein Ende hat«. Nun tritt er als CDU-Gesundheitsexperte auf: »Es muss die Frage erlaubt sein, ob die immensen Kosten, die zum Beispiel durch übermäßigen Esskonsum entstehen, dauerhaft aus dem solidarischen System beglichen werden können.« Es muss die Frage erlaubt sein, warum Menschen, denen noch nie jemand das Fragen verboten hat, immer so tun müssen, als brächen sie unter größter Gefahr ein Tabu. Es muss aber auch die Frage erlaubt sein, warum Helmut Kohl schweigt. Als Kanzler hätte er einen repektlosen Lümmel, der ihm die Kalorien zuteilen will, schneller in den hintersten Winkel der Ostzone verbannt, als Hannelore »Das Essen ist fertig« sagen konnte.
Wanderwitz ist Vorsitzender der Jungen Gruppe in der CDU/CSU-Fraktion, die »vor allem für die Rechte der Jüngeren und der künftigen Generationen« eintritt. Haben wir die Erde von Marco Wanderwitz nur geborgt? Es muss die Frage erlaubt sein, auf welche Weise die künftigen Generationen Wanderwitz das Mandat zur Vertretung ihrer Interessen erteilt haben. Voreilig wäre es jedoch, seine Forderung als folgenloses Geschwätz eines anmaßenden Profilneurotikers abzutun. Denn es mehren sich die Stimmen derer, die mit dem Welt-Journalisten Ulf Poschardt »Gesundheit als Bürgerpflicht« betrachten. Wer kommt dieser Bürgerpflicht nicht nach? Der verfressene Hartz-IV-Pöbel natürlich, vornehmer ausgedrückt, das »anwachsende Prekariat«. Dieses Prekariat, so Poschardt, hat »der ›absolute Imperativ‹ (Peter Sloterdijk) der Gegenwart nicht erreicht: Ändere dein Leben.« Warum ist das so? »Die sozialen Sicherungssysteme haben die Anreize zur Selbstpflege reduziert«. Erwin Lotter (FDP) fordert, dass mit diesem Lotterleben nun Schluss sein müsse: »Es sollte verhindert werden, dass insbesondere Kinder unter 16 Jahren Fast-Food-Produkte essen.« Er entdeckte auch den Taliban unter den Elektrogeräten und geißelt den »Mikrowellenterror«.
Die konsequenteste Lösung wäre es, den Menschen einfach zu verbieten, krank zu werden. Vorerst genügt es aber, den Kranken zu predigen, dass sie nicht nur selbst schuld sind, sondern sich auch schuldig gemacht haben. Auf die Kopfprämie bei der Krankenversicherung könnte bald die Bauchprämie folgen, wenn sich nicht eine Bewegung für das Burgerrecht bildet.