Roboter und Kommunismus

Hasta la vista, Omi!

Ist Kommunismus Rätedemokratie plus Robotifizierung? Oder drohen die Roboter der Zukunft, die Menschheit zu vernichten? Gegenwärtig wollen Forschungsvorhaben jedenfalls den Robotereinsatz voranbringen – vor allem in Altenheimen.

Er ist dumm, aber wir mögen ihn. Guido bewegt sich über den Teppich und verzehrt Tabakkrümel, Teppichfusseln und Staubmäuse. Er tut das, wofür die Brüder Josef und Karel Capek, die den Begriff des Roboters geprägt haben, die Automaten vorsahen: unangenehme Arbeiten verrichten, bei denen es auf Intellekt nicht ankommt.
Ein wenig mehr künstliche Intelligenz könnte unserem ersten Redaktionsroboter »Roomba 520« indes nicht schaden. Auch wenn das selbständig saugende Gerät früher oder später auch in die hinterste Ecke vordringt und gar mit schlimmsten Kabelsalat fertig wird, sieht rationales Vorgehen anders aus. Die Geschäftsführerin fühlt sich von Guido gar an ihre inzwischen verstorbene, im Alter erblindete Katze erinnert, »die auch immer gegen jedes Stuhlbein lief«. Die biomorphen Projektionen unseres Redaktionsnerds sind emphatischer: »Man muss nur lange genug zusehen, dann sieht man, wie er sich orientiert.« Jedenfalls reicht der Intellekt von Guido, der auch ein paar Sätze englisch kann, nur sehr knapp, unsere Emanzipation vom Naturzwang der Drecksarbeit ein Stück voranzutreiben.
Kommunismus, meinte Lenin, sei Elektrifizierung plus Sowjetmacht. Vielleicht klappt es ja besser mit Rätedemokratie plus Robotifizierung. Die Roboter schuften, und wir wären frei, »morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden« (Karl Marx). Aber dahin ist es weit. Weil die Revolutionierung der Produktionsverhältnisse auf sich warten lässt und uns die von Lenin gefeierte Elektrifizierung ihr kein Stück näher gebracht hat. Aber auch, weil es mit der modernen Sklavenrasse intelligenter Multifunktionsroboter technisch noch nicht sehr weit her ist, selbst wenn Industrieroboter mittlerweile Karosserien schweißen, Serviceroboter Redaktionsflure saugen und uns Spiegel Online alle zwei Wochen einen angeblich sensationell neuen Roboter präsentiert. Das Problem ist nicht nur, dass die Robotik noch damit kämpft, Maschinen beizubringen, menschliche Sprache zu verstehen und Objekte unterscheiden zu können, sondern schlicht auch, dass menschliche Arbeitskraft wohl noch immer viel zu billig ist, als dass sie weltweit durch Roboterkraft ersetzt werden könnte.
Wohl deshalb haben Roboterentwickler die prognostizierte Überalterung der Gesellschaft für sich entdeckt, um die gesellschaftliche Relevanz ihrer Entwicklungen zu betonen. Weil es in Zukunft viele alte Menschen gebe, aber nur wenige junge, die sie pflegen könnten, sollen Roboter künftig alten und kranken Menschen helfen. Da es offenbar näher zu liegen scheint, die Alten- und Krankenhilfe zu automatisieren als beispielsweise die Müllabfuhr, fördert die EU etwa das Projekt »Iward«, das an Roboterschwärmen arbeitet, die in Krankenhäusern putzen oder gar den Patienten Blut abnehmen sollen. Roboter sollen in der Pflege mithelfen, den Senioren als Haushaltshilfe dienen oder Alten als Schmusefreund zur Verfügung stehen.

Der vom Fraunhofer-Institut entwickelte »Care-o-Bot« soll Senioren, sei es zuhause oder im Heim, etwa Gegenstände wie eine Tasse bringen können. Zu diesem Zweck kann er sich selbständig durch den Raum bewegen, ohne wie Guido an allen Ecken anzustoßen. Er hat eine Art Tablett und einen Arm zum Greifen. Aber erstmal muss der Roboter wissen, was eine Tasse ist. »Mit zwei Kameras wird ein dreidimensionales Bild der Umgebung erstellt, und damit lassen sich typische Objekte anhand von markanten Punkten erkennen«, erklärt Theo Jacobs, der am Fraunhofer-Institut an der Entwicklung des Haushaltsroboters beteiligt ist. Damit der Roboter Objekte wie eine Tasse von anderen unterscheiden kann, würden ihm Objektklassen einprogrammiert, zum Beispiel, dass eine Tasse rund ist, einen Henkel und eine Vertiefung hat. »Dementsprechend wird dann einprogrammiert, dass er sie am besten so und so anfassen muss, damit nichts rausläuft«, sagt Jacobs.
Noch ist »Care-o-Bot«, der, anders als sein Name suggeriert, nicht für Pflegetätigkeiten wie Füttern oder Waschen eingesetzt werden soll, nicht so weit, dass er Menschen im Haushalt helfen kann. »Dafür müsste er sich noch besser auf Unwägbarkeiten einstellen, auch was das Verhalten der Menschen angeht«, sagt Jacobs. Denn wenn ihm etwa ein unvorhersehbares Hindernis den Weg blockiert, darf er weder stehenbleiben noch es einfach umstoßen. Weil sich alle möglichen Unwägbarkeiten kaum so einprogrammieren lassen, dass der Roboter sich wie ein Mensch verhält, hat der »Care-o-Bot« ein eher unmenschliches Aussehen – damit sein menschliches Gegenüber nicht seine Fähigkeiten überschätzt. »Humanoide Roboter mit ausgestaltetem Gesicht und Augen wecken immer auch hohe Erwartungen. Wer so einen Roboter sieht, erwartet schnell, dass man etwa in ganz natürlicher Sprache mit ihm sprechen kann und er auch antwortet«, sagt Jacobs. »Deshalb wählen wir ganz bewusst einen Zwischenweg, um auch die Funktionalität auszudrücken. Der Care-o-Bot hat mit dieser schwarz-weißen Hülle eine Art Butler-Livree, durch die man sieht, dass er ein Bediensteter im Haushalt sein soll.«
Wenn der CvD unsere automatische Putzscheibe bereits mit dem Kosenamen »Schnuckel« gerufen hat und der Kollege aus dem Auslandsressort behauptete, Guido prokrastiniere, da er den Krümelberg unter seinem Schreibtisch stets umfahre, dürfte es auch für einsame Senioren ein Leichtes sein, menschliche Gefühle auf ihren robotifizierten Butler zu projizieren.
Ein Roboter, der genau und ausschließlich diesem Zweck dienen soll, ist Paro. Paro kommt aus Japan, hat das Aussehen einer kleinen weißen Robbe, nimmt Stimmen und andere akustische Reize wahr und erkennt über Sensoren, ob er gestreichelt oder grob angefasst wird. Darauf reagiert er mit Bewegungen des Kopfes und Piepslauten – je nachdem, wie die Behandlung ausfällt. Bei dementen Menschen soll die Beziehung zu Paro Stress abbauen und beruhigend wirken. Im Pflege- und Therapiezentrum Maternus in Wendhausen wird Paro bereits seit 2008 einsetzt. »Es ist eben einfach so eine Kuscheleinheit da. Sie haben jemand auf dem Schoß, dem sie etwas erzählen können und der ihnen ja auch in einer gewissen Art antwortet. Viele demente Bewohner bei uns brauchen einfach diese Nähe«, sagt Ilona Göttling, die im Maternus-Pflegeheim arbeitet.

Dass Roboter Menschen gar in emotionaler Hinsicht ersetzen, ist nach Göttling beim Einsatz von Paro nicht zu befürchten. »Sie müssen sich ja am Anfang Zeit nehmen, um herauszufinden, ob der Bewohner überhaupt was mit Paro anfangen kann. Die Mitarbeiter müssen sich ja erstmal mit dem Bewohner hinsetzen, ihm das zeigen, erklären, was es ist, und sehen, wie er reagiert und ob er das akzeptiert. Eine Zeitersparnis ist das nicht, im Gegenteil.« Dass »die Bewohner, wenn sie unruhig werden, Paro in die Hand gedrückt bekommen und dann ruhig sind«, sei nicht der Fall. Der Therapieroboter werde gezielt und nur bei Patienten eingesetzt, bei denen der psychosoziale Robotereinsatz therapeutisch sinnvoll sei.
Einer Kombination aus der Haushaltshilfe Care-o-Bot mit dem psychosozial tätigen Paro, die Tassen bringen und süße Kulleraugen machen kann, stände Frau Göttling dagegen eher skeptisch gegenüber. »Kennt der Roboter denn die individuellen Bedürfnisse von jedem Bewohner, welches Getränk, welche Tasse und so weiter? Ich glaube nicht.« Zwar sei die Automatisierung des Dreckwäschetransports denkbar, aber auch das sei »nur effektiv, dadurch wird Personal gespart«. Ein naheliegender Gedanke, auch wenn Jacobs vom Fraunhofer-Institut betont, auch der Care-o-Bot solle keine Menschen ersetzen.

Die Furcht vor den Robotern ist traditionell nicht nur der Angst vor dem Arbeitsplatzverlust geschuldet. »Ich gehe mir jetzt ein Fischbrötchen holen, wenn ich wiederkomme, sind die Wände blutverschmiert und der Roboter mampft noch«, warnt uns der Science-Fiction-Experte der Redaktion vor unserem Guido. Seit Karel Capeks Theaterstück »Rossum’s Universal Robots«, das den Begriff des Roboters popularisiert hat, ist die Roboter-Dystopie das wohl plakativste Sinnbild der Dialektik der Aufklärung. Schon da schlug die aufklärerisch-emanzipative Vernunft der Roboterbauer in instrumentelle um, die sich, verkörpert durch die Roboter, alsbald mordend gegen die Menschheit wandte. Vielleicht ist die Idee, dass sich wahrhaft intelligente Roboter einst gegen ihre Schöpfer und Vorgesetzten wenden, auch eine Projektion unserer hörigen Angestelltenseele – oder unseres angsterfüllten schlechten Gewissens gegenüber jenen, von deren Ausbeutung wir profitieren.

Weil vor allem Militärs die Roboterforschung vorantreiben und schon heute fliegende Halbautomaten Menschen töten, ist die Vorstellung so absurd nicht, auch wenn es derzeit noch Menschen sind, die die Drohnen irgendwo von einer Bodenstation aus steuern und den Abzug betätigen (siehe Seiten 4 und 5). Doch werden Robotern auch selbständig begangene Untaten zugetraut. Im Juli 2009 beeilte sich der US-amerikanische Roboterhersteller RTI mit einem öffentlichen Dementi. Die Firma ließ wissen, dass der Roboter namens »Eatr«, den sie zusammen mit der US-amerikanischen Defense Advanced Research Projects Agency (Darpa) entwickelt, keineswegs Leichenteile toter Soldaten verspeise. Die britische Zeitung Telegraph zitiert einen Unternehmenssprecher mit den Worten, seine Firma »verstehe die Ängste der Öffentlichkeit vor futuristischen Robotern, die sich von der Menschheit ernähren«, aber so etwas zu verwirklichen, sei nicht die Mission seiner Firma. Eatr soll seinem Verbrennungsmotor mit Hilfe eines Greifarms zwar selbständig Biomasse zuführen können, um sich damit autonom und unabhängig von konventionellem Treibstoff fortzubewegen, doch nach Unternehmensangaben sei Eatr strenger Vegetarier und habe Systeme eingebaut, mit denen er tierisches, pflanzliches und mineralisches Material unterscheiden könne.
Aber was ist, wenn ein sich autonom fortbewegender, nach Biomasse suchender Roboter irgendwann lernt, was seinem Motor am besten bekommt, und selbst darüber entscheidet, was er in seine Verbrennungskammer steckt? Lernende Systeme zu schaffen, ist immerhin das Ziel der Entwicklung künstlicher Intelligenz. Unser Staubsaugroboter schafft es allerdings gerade mal, selbst zur Ladestation zurückzufahren, wenn sein Akku fast leer ist. Die Krümel, die er aufsaugt, kann er noch nicht in Energie umwandeln, erst recht kommt er nicht auf die Idee, seinen Speiseplan selbständig zu erweitern.
Bevor die »KI« aber so weit ist, lernfähige und sich selbsttätig reproduzierende, gar sich selbst optimierende Roboter zu bauen, die sich gegen die Menschheit wenden könnten, drohen erstmal andere Horrorszenarien – und sei es nur die ganz und gar automatisierte Alten- und Krankenpflege, in der Roboter nicht nur die Wäsche in den Waschkeller bringen, sondern auch Trost spenden sollen. Vielleicht ist es gar nicht so bedauerlich, dass es zur Entwicklung multifunktionaler Sklavenroboter noch weit ist. Bis Care-o-Bot reif für den Einsatz im Seniorenheim ist, kann es nach Theo Jacobs noch rund zehn Jahre dauern. Und das, so Jacobs, habe man wahrscheinlich vor zehn Jahren auch schon gesagt.