Katzen überfahren

Miljenko Jergovic – Enfant terrible der kroatischen Literatur! Man liest es mehrfach und fragt sich: Unterhält nicht jedes Land längst einen ganzen Zoo sogenannter Enfants terribles? Was verbindet sie überhaupt? Dass sie ein paar unbequeme Wahrheiten aussprechen? Dass sie unentwegt von Sex quasseln? Dass sie einen Stil gefunden haben, der ausnahmsweise nicht superkonventionell ist? Der Begriff taugt nicht viel, umso mehr aber die Literatur des in Zagreb lebenden Jergovic: Er ist ein ungewöhnlich stil­bewusster und origineller Schriftsteller.
Mag sein, dass seine Bücher in Kroatien nicht wohlgelitten sind, da er ein kritisches Verhältnis zur Geschichte des Balkan unterhält. Auch sein jüngster Roman, »Freelander« – souverän übersetzt von Brigitte Döbert –, ist trotz seines anmutig perlenden Erzählflusses vor allem dunkle Erinnerungsarbeit und ein bisweilen grell komisches, apokalyptisches Roadmovie. Am Steuer des Wagens Richtung Sarajewo sitzt der pensionierte Geschichtslehrer Karlo Adum. Er denkt: »Den Leuten ist langweilig, es ist nichts los, schon lange kein Krieg mehr, die interna­tionale Verwaltung hat alles verboten, was die Menschen hier in der Gegend aufregend finden, und so bleibt ihnen nichts anderes übrig, als Katzen zu überfahren.«
Katzenüberfahren als Metapher für die Geschichte Jugoslawiens, das zwei schwere Kriege erlebt hat und dessen Traumata sich in gewaltförmigen Alltagshandlungen entladen. Das Überfahren von Katzen ist freilich eines der harmloseren Beispiele des Romans.

Miljenko Jergovic: Freelander. Schöffling, Frankfurt a/M 2010, 232 Seiten, 19,90 Euro