Durchsuchungen bei linken Projekten in Berlin

Spiel nicht mit der »Interim«

Die neue Ausgabe des Autonomenblatts Interim hat eine Reihe von Hausdurch­suchungen ausgelöst. Betroffene linke Projekte sehen darin einen Vorwand, ihre Strukturen zu schädigen.

Mitte Juli waren mehrere Berliner Buch- und Infoläden von Hausdurchsuchungen betroffen, darunter die beiden »Schwarze Risse«-Buchläden in Kreuzberg und Prenzlauer Berg sowie die »Oh 21« und das »M99« in Kreuzberg. Der Durchsuchungsbeschluss richtete sich gegen zwei Ausgaben der autonomen Szenezeitschrift Interim aus Berlin, den Ladenbetreibern werden »Aufforderungen zu Straftaten« und »Verstöße gegen das Waffengesetz« vorgeworfen, weil sie angeblich das Blatt vertreiben. Denn im aktuellen Heft der Interim befindet sich eine detaillierte Anleitung für einen Brandsatz mit Zeitzünder, während die vorhe­rige Ausgabe das Interesse der Staatsorgane wegen eines Bekennerbriefes zu einem Anschlag auf einen Geldautomaten im Berliner Wedding geweckt hatte, der eine Anleitung zum »Abfackeln von Geldautomaten« enthielt. Angaben der Polizei zufolge dienten die Durchsuchungen dazu, »Hinweise über die Verbreitungswege und die Herstellung beziehungsweise Hersteller des Druckwerks« sicherzustellen.

Bereits einen Tag vor den Durchsuchungen veröffentlichte der Tagesspiegel auf seiner Homepage einen Artikel zur aktuellen Interim, demzufolge die neue Ausgabe der Justiz noch gar nicht bekannt sei. Dennoch ging der zuständige Oberstaatsanwalt, Thomas Schwarz, demselben Artikel zufolge davon aus, dass es einen Beschluss zur bundesweiten Beschlagnahme geben werde. Zu diesem Zeitpunkt waren offenbar schon Beamte in den entsprechenden Läden gewesen, womöglich um sicherzugehen, dass die Polizei auch Exemplare der inkriminierten Zeitschriften finden würde. Dies legen zumindest die Durchsuchungserlasse nahe, in denen behauptet wird, der jeweilige Betreiber habe am Vortag die Interim ausgelegt, obwohl »ihm bekannt war«, dass sich darin eine Anleitung zum Bau eines Brandsatzes befand.
Während der Durchsuchungen wurden zusätzlich zu den Heften mehrere Computer beschlagnahmt. Anders als bei früheren Durchsuchungen war dies explizit im Durchsuchungsbeschluss vorgesehen. Die verbotene Radikal wurde dagegen von den Beamten vernachlässigt, anders als im zum Café Marat gehörenden Infoladen in München, wo bei einer Durchsuchung in derselben Woche neben den betreffenden Ausgaben der Interim auch die aktuelle Ausgabe der Untergrundzeitschrift beschlagnahmt wurde.

Die betroffenen Projekte sprechen übereinstimmend von »Schikane« und dem Versuch, über die Razzien »Druck auf die Strukturen auszuüben«. Dieser Druck solle ihres Erachtens zu Distanzierungen innerhalb der linken und alterna­tiven Szene führen und so den Raum für Diskussionen und Aktionen weiter einschränken. Die Beteiligten ziehen auch eine Verbindung zu den neuen Programmen des Familienministeriums und des Verfassungsschutzes gegen »Linksextremismus«. Wenn es den Strafverfolgungsbehörden gelänge, dass linke Buch- und Infoläden als Vertriebe von Gewaltpropaganda wahrgenommen würden, hätten sie ihr Ziel erreicht.
Tatsächlich hat es seit den globalisierungskritischen Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 in Berlin und bundesweit vermehrt Durchsuchungen linker Buchläden gegeben. Angesichts der »ansteigenden linksextremen Gewalt«, die der Verfassungsschutz beschwört, wollen Polizei und Staatsanwaltschaft wohl nicht untätig erscheinen. Möglicherweise richten sie, nachdem es ihnen bisher nicht gelungen ist, auch nur einen einzigen Autoanzünder verurteilen zu lassen, ihre Aktivitäten verstärkt gegen die linken Strukturen, die am einfachsten greifbar sind: die Buch- und Infoläden. Man kann ­jedenfalls nicht davon ausgehen, dass sich durch die weitere Beschlagnahme von Computern etwas Neues in Sachen Interim erfahren lässt. Und dass man in einem der Läden gar auf die Redaktionsräume der Zeitschrift stößt, wie es ein auf die Razzien folgender Artikel im Tagesspiegel fälschlicherweise vermeldet hatte, daran dürfte auch die Staatanwaltschaft selbst nicht glauben.