Sarkozy erklärt den »Krieg gegen die Kriminalität«

Supercops in den Banlieues

Nach Ausschreitungen in zwei französischen Städten hat Präsident Nicolas Sar­ko­zy den »Krieg gegen die Kriminalität« ausgerufen. Seine Lösung: Roma-Siedlungen räumen und Bezirke in den Vorstädten härterer polizeilicher Kontrolle unterwerfen.

Grenelle ist ein beliebter Ausdruck in der französischen Politik. Damit bezeichnet man eine Verhandlung zwischen der Regierung und möglichst vielen gesellschaftlichen Gruppen über ein bestimmtes Thema. Historisches Vorbild für den Begriff ist eine Verhandlungsrunde zwischen Gewerkschaften, Arbeitgebern und Regierung, die im Jahr 1968 am damaligen Sitz des Arbeitsministeriums, am Pariser Boulevard de Grenelle stattfand.
Auch am 28. Juli fand unter persönlichem Vorsitz von Staatspräsident Nicolas Sarkozy ein umstrittenes Grenelle statt. Das Thema: Sinti, Roma und jene rund 400 000 Personen, die sich selbst Zigeuner nennen.
Der Unterschied zwischen den verschiedenen Gruppen besteht darin, dass die Roma ausländische Staatsbürger sind und überwiegend aus Bulgarien, Rumänien und den Ländern des ehemaligen Jugoslawien nach Westeuropa kommen. Sie machen nur einen kleinen Teil der Bevölkerungsgruppe in Frankreich aus. Rund 95 Prozent der Zigeuner sind französische Staatsbürger, von denen noch rund ein Drittel in Wohnwagen durch das Land zieht, während die meisten anderen inzwischen sesshaft geworden sind.

Seit 1969 fällt diese Bevölkerungsgruppe unter ein französisches Gesetz, das die verwaltungsrechtliche Kategorie gens de voyage (fahrende Leute) geschaffen hat. Es erlaubt ihnen unter bestimmten Bedingungen, den Wohnort zu wechseln und umherzuziehen, dafür müssen sie jedoch alle drei Monate eine spezielle Karte bei den Behörden abstempeln lassen. Seit 2000 sind die Kommunen gesetzlich verpflichtet, ihnen Aufstellplätze für ihre Wohnwagen zur Verfügung zu stellen.
Am Freitag vorvergangener Woche kam es in dem zentralfranzösischen Dorf Saint-Aignan, in der Nähe von Blois, zu heftigen Auseinandersetzungen. Am Vorabend war der wegen kleinkrimineller Delikte gesuchte 22jährige Luigi Duquenet von einem Gendarmen erschossen worden. Die Sicherheitskräfte gaben an, in Notwehr gehandelt zu haben. Denn das Auto, in dem Duquenet als Beifahrer saß, sei auf eine Straßensperre zugefahren und habe keine Anstalten gemacht anzuhalten. Der Fahrer, Luigis Cousin Miguel Duquenet, der sich den Behörden inzwischen gestellt hat, gab eine andere Version der Ereignisse zu Protokoll: Es habe keine Sperre gegeben. Er habe die Beamten gesehen und sofort gewendet, um davonzufahren. Daraufhin sei das Feuer eröffnet worden.
Der Tod Duquenets löste heftige Reaktionen bei den ortsansässigen gens de voyage aus, die seit Jahrzehnten fest in der Gegend angesiedelt sind. 40 bis 50 Männer überfielen die örtliche Gendarmerie-Station und verwüsteten sie. Zum Teil maskierte Männer hackten Lindenbäume ab und schlugen Fensterscheiben entzwei. Auch eine Bäckerei wurde geplündert, wofür ein junger Mann inzwischen zu zehn Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt wurde.
Präsident Sarkozy nahm diese Vorfälle zum Anlass, die innere Sicherheit erneut zu thematisieren. Beim Gipfel über »fahrende Leute und Roma« wurde ein Zusammenhang zur Bekämpfung der Kriminalität in den französischen Vorstädten hergestellt. Sarkozy kündigte die »Räumung aller illegalen Camps und Zeltlager« an, die überwiegend von osteuropäischen Roma bewohnt werden. Auf diese Weise habe Sarkozy unterschied­liche Themen miteinander vermengt und einen pauschalen Zusammenhang zwischen einer Bevölkerungsgruppe und der Kriminalität hergestellt, kritisierten Antirassismus-Organisationen. Der grüne Abgeordnete und frühere Präsidentschaftskandidat Noël Mamère warf der Regierung vor, sie suche nach Sündenböcken. Der christdemokratische Oppositionspolitiker François Bayrou sprach von einem »populistischen Strudel«.
Kurz vor dem Gipfel hatte Sarkozy den »Krieg gegen die Kriminalität« in den französischen Vorstädten ausgerufen. Eine Woche vor den Ausschreitungen in Saint-Aignan war der 27jährige Straftäter Karim Boudouda in einem Stadtteil von Grenoble bei einem Schusswechsel mit der Polizei gestorben. Boudouda und ein Komplize hatten zuvor ein Casino ausgeraubt und einen Beamten durch Schüsse verletzt.

Nach dem Tod des jungen Mannes brachen Un­ruhen aus, die drei Nächte lang dauerten. Mindestens zwei Personen schossen dabei auf die Polizei, über 60 Autos brannten. Die Schüsse und diverse Waffenfunde deuten darauf hin, dass die Aktionen von einer Gruppe gut organisierter Gangs ausgingen. Daraufhin setzte Präsident Sarkozy den Präfekten von Grenoble, Albert Dupuy, ab und setzte an seine Stelle den hohen Beamten Eric Le Douaran, der sechs Jahre lang einen Polizeidienst in Paris geleitet hatte.
Bereits im April hatte Sarkozy eine ähnliche Personalentscheidung getroffen und den Präfekten des Pariser Bezirks Seine-Saint-Denis ausgetauscht. Als neuen Leiter der Präfektur, der unter anderem Polizei- und Ausländerbehörden unterstehen, setzte er Christian Lambert ein, der zuvor die Eliteeinheit Raid – vergleichbar mit der deutschen GSG9 – geleitet hatte. Sarkozy führte ihn Ende April höchstpersönlich in sein Büro ein. Seitdem hat Lambert als einziger Präfekt eine direkte Telefonleitung mit dem Elysée-Palast.
Die sozialdemokratische Parlamentsopposition kritisiert die Militarisierung des Staates in den französischen Verwaltungsbezirken, in denen die Präfekten den Zentralstaat repräsentieren. Der Sozialist Daniel Vaillant monierte, Präfekten seien »nicht allein für die Polizei zuständig«, Sarkozy aber betone nur diese Dimension vernachlässige alle anderen Aspekte. Sarkozy hat indes »Straftätern« und »Schwarzhändlern« den Krieg erklärt. Parallel dazu fordern inzwischen einige Intellektuelle wie die Neokonservative Elisabeth Lévy Ende vergangener Woche auf RTL, die Armee solle in den »Sozialghettos« aufräumen.