Nach dem Euro Pride. Homophobie in Polen

»Zivilisierte Homophobie«

Im Diskurs über Homosexualität hat sich in Polen in den vergangenen Jahren einiges geändert. Homophobe Einstellungen sind dennoch weiterhin verbreitet, und die Forderungen der LGBT-Community nach po­litischer und sozialer Anerkennung verhallen weitgehend ungehört.

Es war alles andere als ein Spaß. Rechtsextreme bewarfen die Teilnehmer des EuroPride, der ersten internationalen LGBT-Parade in Polen, mit Eiern, Flaschen und einer Rauchbombe; aufgebrachte, mit Weihwasser bewaffnete Katholiken protestierten gegen »Sittenverfall« und »Euro-Sodomie«, unter den Rechtsextremen gab es acht Festnahmen.
Der US-amerikanische Drehbuchautor Dustin Lance Black, der im Jahr 2009 einen Oscar für das beste Originaldrehbuch für den Film »Milk« gewonnen hatte, wurde von einem Knallkörper leicht verletzt und sprach von »unglaublich gewalttätigen Gegendemonstranten«. Überdies kamen weniger Menschen als erwartet, rund 8 000, weniger als halb so viele wie im vergangenen Jahr in Zürich. Dennoch war die Bilanz des Euro­Pride in Warschau am 17. Juli nicht nur negativ.

Schon dass die größte europaweite LGBT-Parade zum ersten Mal in einem Land des ehemaligen Ostblocks stattfinden konnte, ist ein Erfolg. 2004 und 2005 hatte der im April tödlich verunglückte Lech Kaczynski, damals Bürgermeister von Warschau, die polnische Pride-Parade in der Hauptstadt noch verboten.
Obwohl homophobe Einstellungen in der polnischen Gesellschaft weiterhin verbreitet sind, hat sich im politischen und gesellschaftlichen Diskurs über Homosexualität in den vergangenen Jahren einiges geändert. Offene Hetze gegen Homosexuelle gehört im EU-Land Polen nicht mehr zum normalen Ton in der politischen und medialen Debatte. Die Feministin und Journalistin der Gazeta Wyborcza Kinga Dunin schreibt von einer unterdrückten, versteckten Aggression gegen Homosexuelle, von einer »zivilisierten Homophobie«, die in Polen üblich geworden sei. Die Antidiskriminierungsgesetze der EU lassen politisch offen artikulierte Feindschaft nicht zu. Deshalb sehen sich viele Politiker unterschiedlicher Parteien häufig gezwungen, Slogans über Toleranz und Freiheit und gegenseitige Liebe zu verbreiten, um dann ihren Unmut gegen Homosexuelle indirekt zu äußern. Es kann manchmal nur ein Lächeln, ein Räuspern oder eine symbolische Geste eines Politikers sein. Die Bürgermeisterin von Warschau, Hanna Gron­kiewicz-Waltz von der rechtsliberalen Regierungspartei Bürgerplattform (PO), etwa blieb der Parade demonstrativ fern. Sie war die erste Bürgermeisterin einer europäischen Hauptstadt, die bei der Eröffnung des EuroPride kein Grußwort sprach.

Der EuroPride zeigte die latente Ambivalenz der polnischen Gesellschaft zwischen einem Streben nach Offenheit und westlichem Lebensstil und einem konservativen Rückzug in die katho­lische und nationalistische Tradition. Zugespitzt wurde dieser Widerspruch am Tag des Euro­Pride durch die Konkurrenz mit einer anderen Veranstaltung, die gleichzeitig auf einer Wiese am Rande der Masurischen Seenplatte stattfand. Es handelte sich um eine Reenactment-Inszenierung der Schlacht in Grunwald vor 600 Jahren, in der die Polen gegen Kreuzritter kämpften. Diese Schlacht stellt einen der größten polnischen Nationalmythen dar. Sie erinnert an einen Sieg, der in der polnischen Geschichtsschreibung einen großen symbolischen Wert hat.
Dass die Inszenierung der Grunwaldschlacht und der EuroPride am selben Tag stattfanden, ist ein Hinweis darauf, dass sich in Polen die Toleranz gegenüber Minderheiten und der Nationalstolz nicht unbedingt ausschließen. Das wird auch durch eine Ausstellung deutlich, die seit Juni im Nationalmuseum in Warschau gezeigt wird und für Aufsehen sorgte. »Ars Homo Erotica« zeigt homoerotische Motive in der Kunst der Antike und der Moderne, und das im selben Museum, wo auch die Bilder von Jan Matejko über die Schlacht von Grunwald zu sehen sind. Matejko gilt in Polen als bedeutenster Nationalmaler.
Doch die öffentliche Debatte über Homosexu­alität in Polen ist von elementaren Mißverständnissen und Denkfehlern gekennzeichnet. Die rechtsorientierte Tageszeitung Gazeta Polska vertritt eine streng katholische Position, wonach Homosexualität nur mit Hilfe der Kirche überwunden werden könne. Die Abgeordnete der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) Zofia Romaszewska bedient sich eines weiteren bekannten homophoben Vorurteils und reduziert die Forderungen der LGBT-Community auf die bloße Zurschaustellung sexueller Bedürfnisse. Es sei doch unmöglich, sagte die Abgeordnete, »dass diese Leute ihre Sexualität zum Mittelpunkt ihres Lebens machen«. Ein weiterer Abgeordneter der PiS, Pawel Poncyliusz, meinte, Sexualität gehöre zur Privatsphäre und nicht in die Politik. Die konservative Tageszeitung Rzeczpospolita warf Homosexuellen vor, sich als Opfer zu stilisieren und sich selbst intolerant zu verhalten: »Heute reicht es nicht mehr aus, ihre auf die Privatsphäre beschränkte Lebensweise zu tolerieren. Man muss unbedingt auch Verständnis für ihre Zügellosigkeit sowie sittliche und religiöse Provokationen haben.«
Solche plumpen Äußerungen zeigen, dass die Forderungen von Homosexuellen nach Toleranz, Gleichstellung und gesellschaftlicher und politischer Anerkennung kaum wahrgenommen werden. Dass es nicht nur um Sex geht, scheinen die Politiker aus anderen Parteien zu verstehen, dennoch wird Homosexualität weiterhin als eine große Bedrohung für die heilige traditionelle Kleinfamilie betrachtet. Eine zusätzliche Schwierigkeit besteht darin, dass Möglichkeiten, »zivilisierte« oder auch unzivilisierte Homophobie zu bekämpfen, wie zum Beispiel durch Aufklärungsarbeit in der Schule, immer wieder scheitern.
Das verdeutlichte jüngst ein Fall an einer polnischen Schule. In einem Interview mit der Gazeta Wyborcza erzählte Marta Konarzewska, eine Polnischlehrerin aus Lodz, von der Diskriminierung, mit der sie konfrontiert wurde, nachdem sie sich öffentlich zu ihrer Homosexualität bekannt hatte. Ihr sei sofort mit Kündigung gedroht worden, ihre Kollegen seien ihr mit Schweigen und ironischen Kommentaren begegnet.
Besteht noch die Chance, dass Polen das katholische Korsett ablegt und sich weiter mindestens so vornehm offen zeigt, wie dies auf dem Euro­Pride der Fall war?
Schließlich hat sich seit 21 Jahren viel im Verhältnis zur Homosexualität verändert. Viele Organisationen setzen sich für die Rechte von sexu­ellen Minderheiten ein. Vor allem die jüngere, urbane Generation, die bereits in demokratischen Verhältnissen aufgewachsen ist, definiert sich immer mehr als »europäisch«, lehnt das konservative Umfeld ab und zeigt sich links, frei und LGBT-freundlich.