Den Euro kann man weder verteidigen noch abschaffen

Mehr Europa heißt ein anderes Europa

Die Kritik der PDS am Euro in den neunziger Jahren war weitgehend berechtigt; das zeigt sich auch gerade jetzt in der Krise.

Natürlich war die von der Jungle World 1997 gestellte Frage: »Der Euro: Ein neoliberales Projekt – oder ein antinationales?« in beide Richtungen verkürzt, zugespitzt. Wie in der Währungsunion, deren Konsequenz er war, sah die damalige Bundesregierung, vor allem Helmut Kohl, einerseits und die französische Regierung andererseits im Euro ein wesentliches Instrument, um das vereinigte und wirtschaftlich dominierende Deutschland in eine qualitativ vertiefte europäische Integration einzubinden. Für viele in der PDS, die sich bereits 1990 die Losung eines »europäischen Deutschland« (statt eines deutschen Europa) zu eigen gemacht hatten, war und bleibt das durchaus ein unterstützenswertes Ziel. Wir waren jedoch überzeugt, dass der Euro, so, wie er rechtlich und politisch konkret konzipiert war und realisiert wurde, dafür ein untaugliches, sogar kontraproduktives, zumindest nicht hinlängliches Mittel war.
Die »europafreundliche Haltung«, die Jürgen Trittin für die Grünen und ihre damalige Befürwortung des Euro in Anspruch nimmt (Jungle World 29/2010), hat sich die PDS seit Anfang 1990 (als sie noch als SED-PDS den Beitritt der DDR zur Europäischen Gemeinschaft unterstützte) ebenso erstritten, wenngleich sie in der gegenwärtigen »Linken« von lautstarken Kräften wieder energisch in Frage gestellt wird und damals auch von nicht wenigen Wählerinnen und Wählern der PDS nicht geteilt wurde. Sie war jedoch für uns – oder sollte ich nur für mich sprechen? – Ausgangspunkt nicht für eine voraussetzungslose Befürwortung des Euro, sondern gerade für die Kritik an seinen politischen und rechtlichen Grundlagen.

Die damalige PDS wandte sich in ihren offiziellen Beschlüssen daher nicht gegen den Euro an sich (anders als Lothar Bisky in der Podiumsdiskussion mit Jürgen Trittin 1997), sondern führte ihre Kampagne unter der differenzierenden Losung »Euro – so nicht!« Auch Oskar Lafontaine begründete seine Absage an eine bundespolitische Zusammenarbeit mit der PDS noch nach seinem Rücktritt als SPD-Vorsitzender vor allem mit den europapolitischen Differenzen: »Die PDS lehnte den Euro ab. Die Befürwortung der Wirtschafts- und Währungsunion war aber wesentlicher ­Bestandteil unserer Europa-Politik«, schrieb Lafontaine in seinem Buch »Das Herz schlägt links«.
Nicht eine antieuropäische oder europaskeptische Haltung, sondern konkrete und, wie sich längst gezeigt hat, völlig berechtigte Kritik bestimmte unsere Position. Erstens wurden eben nicht europäische, sondern deutsche Standards, insbesondere die völlige Unabhängigkeit der Zentralbank, übernommen. Die Europäische Zen­tralbank wurde damit nicht nur in der EU, sondern auch gegenüber den Euroländern und über die EU hinaus zu einer äußerst mächtigen, aber politisch oder gar demokratisch völlig unkontrollierten Institution. Der damalige Finanzminister Theo Waigel verstieg sich sogar zu der skandalösen Aussage, dass sich künftig die europäische Währungspolitik am »Wesen« (!) der deutschen orientieren werde.
Zweitens wurde diese Währungspolitik mit den Maastricht-Kriterien, wie Bisky 1997 hervorhob, strikt monetaristisch ausgerichtet (wenngleich die zahlreichen Vertragsverstöße praktisch hingenommen wurden und auch hingenommen werden mussten, da angesichts des Widerstands der Staaten eine europäische Wirtschaftsregierung nicht zustande kam), während das bundesdeutsche Stabilitätsgesetz von 1967, ebenso wie ähnliche Gesetze in anderen Ländern, neben der Geldwertstabilität und dem äußeren Zahlungsbilanzgleichgewicht auch die Ziele von Wachstum und Vollbeschäftigung vorgab.
Drittens wurden eine Währung und eine Währungspolitik ohne ihre notwendigen Grundlagen vereinbart (wirksame europäische Koordinierung von Wirtschafts-, Steuer- und Haushaltspolitik), so dass die Konflikte programmiert waren. Und viertens wurde die Schaffung einer europäischen Sozialunion, die der frühere Kommissionspräsident Jacques Delors bereits in den achtziger Jahren als eine notwendige Bedingung weiterer europäischer Einigung bezeichnet hatte, erneut abgelehnt.
Auch wenn der Euro nicht auf seine monetaristische und neoliberale Seite reduziert werden durfte und darf, war und ist sie doch sein wesentlichstes Element. Mit der Übernahme dieser Bestimmungen in den Lissabon-Vertrag hat sie ihre hohe Rechtswirksamkeit für die gesamte Politik der EU und ihren Mitgliedstaaten bewahrt und, wenn man so will, Verfassungsrang erhalten, der unabhängig von politischen Mehrheiten und demokratischem Wählerinnen- und Wählerwillen spätestens vom Europäischen Gerichtshof durchgesetzt wird. Die Entwicklung seit 1997 und die aktuelle Situation haben die kritische Einschätzung Biskys und der PDS nach meiner Überzeugung eindeutig bestätigt.

Euro und Europäische Währungsunion, nicht an sich, sondern in der von den Regierungen durchgesetzten konkreten Gestalt, wurden zu einer maßgeblichen Ursache des europäischen und nationalstaatlichen Sozialabbaus, sowie der bedrohlichen Wirtschafts- und Finanzmarktliberalisierung in der EU und ihren Mitgliedsländern. Ja, es zeigt sich sogar, dass der Euro und die ihm zugrundeliegenden rechtlichen Bestimmungen und Politiken durch ihre sehr prinzipiellen Defizite entgegen den sicherlich vorhandenen Absichten ihrer Unterstützer auch die Gefahr einer Renationalisierung in Europa verstärkt haben. Der im Jahr 2000 von der rot-grünen Bundesregierung, aber auch von CDU/CSU und FDP energisch unterstützte »Lissabon-Prozess« mag angesichts des grandiosen Scheiterns seiner vollmundigen Ziele, die EU innerhalb von zehn Jahren zur dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsregion der Welt zu machen, für manche eher Gegenstand satirischer Anmerkungen zur Analyse- und Politikfähigkeit der EU-Kommission und der europäischen Regierungen sein. Drei seiner öffentlich kaum wahrgenommenen und diskutierten, aber zentralen und in der Konsequenz des Maastrichter Abkommens und des Euro liegenden Ziele wurden jedoch mit offensiver Teilhabe der rot-grünen Bundesregierung weitgehend verwirklicht: soziale Deregulierung, Schaffung eines liberalisierten europäischen Finanzmarktes, Standortkonkurrenz der Staaten.
Die Lohnquote wurde in der EU im globalen Rekordtempo von 76,3 (1975) auf 66,3 Prozent (2006) gedrückt, während dem sich in wenigen Händen, bei Großbanken, Versicherungskonzernen und Finanzfonds konzentrierenden Reichtum der sozial- und wirtschaftsfeindliche Weg in die Spekulation geöffnet wurde. 1999 beschloss die EU-Kommission den Plan für Finanzdienstleistungen mit 40 Liberalisierungsmaßnahmen, die von Kommission und Regierungen zügig umgesetzt wurden. Charakteristisch ist die Europäische Betriebsrentenrichtlinie von 2001, mit der nicht nur die gesetzliche und soziale Altersversorgung ausgehöhlt wurde, sondern die Beiträge von Betriebsrentensystemen dem Finanzmarkt unterworfen wurden und bis zu 70 Prozent in Aktien, auch ausdrücklich auf Risikokapitalmärkten, und mindestens 30 Prozent in Fremdwährungen angelegt werden sollten. Für die Sicherheit und Höhe der Betriebsrenten wurde keine Garantie beschlossen, sondern lediglich eine »Option« eingeräumt.
Das in den Verträgen von Maastricht und Amsterdam faktisch begründete und in der Lissabon-Strategie konzipierte Wettbewerbs-Europa bedeutet aber nicht nur die Zerschlagung sozialer Bindungen in den Gesellschaften, sondern auch ein Europa der »Standort«-Konkurrenz zwischen den Staaten um die profitabelsten Kapitalverwertungsbedingungen durch niedrige Unternehmenssteuern (Zypern: 9,7 Prozent; Litauen: 12,8 Prozent, Lettland: 14,4 Prozent; zum Vergleich: der EU-Durchschnitt beträgt 23,7 Prozent), Löhne (gesetzlicher Mindestlohn in Lettland: 116 Euro; Bulgarien: 77 Euro; Rumänien: 72 Euro), Sozial- und Umweltstandards und den Abbau demokratischer Partizipation. In seinem Kern führt es die europäischen Gesellschaften nicht ­zusammen, sondern unweigerlich in einen Kapitalkostenwettbewerb gegeneinander.
Umgekehrt haben sich der Euro und die EU-Ost-Erweiterung angesichts der massiven deutschen Exportorientierung als zusätzlicher Motor für eine innerhalb der EU fast imperiale Durchsetzung deutscher Wirtschaftsinteressen erwiesen. Die bundesdeutsche Wirtschaft ist ihr Profiteur, und die Bundesrepublik erzielt nicht nur einen extremen Außenhandelsüberschuss innerhalb der Union, sondern exportiert damit Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit, staatliche und demokra­tische Handlungsschwäche.

Unter diesen Umständen kann der Euro daher auch nicht mehr als antinationales und proeuropäisches Projekt verteidigt werden. Es wäre natürlich illusionär und politisch gründlich falsch, seine Abschaffung zu fordern. Der Stoß kann und darf nicht gegen den Euro gehen, sondern muss wieder und neu dafür geführt werden, seine folgenschweren Defizite zu beseitigen: politische und wenn möglich demokratische Kontrolle der EZB, Überwindung der monetaristischen rechtlichen Reduzierung der europäischen Währungspolitik, Beendigung der Standortkonkurrenz (die in den Kommissions- und Regierungsbeschlüssen »Europa 2020« fortgesetzt wird), Einführung einer europäischen Wirtschaftsregierung, Schaffung einer europäischen Sozialunion. Eine weitere europäische Einigung, »mehr Europa«, ist erforderlich und nach meiner Überzeugung gerade aus linker und sozialer Sicht wünschenswert. Sie ist aber auch nur sozial möglich.

André Brie war von 1999 bis 2009 für die PDS, später »Die Linke«, Mitglied des Europäischen Parlaments.