Sicherungsverwahrung und Menschenrechte

Durchgeknallte Sicherungen

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die deutsche Praxis der Sicherungsverwahrung als menschenrechtswidrig bezeichnet. Während sich die Koalition über einen Gesetzesentwurf des Justizministeriums streitet, formiert sich auf den Straßen der Mob.

Die »Sicherung der Allgemeinheit« ist im deutschen Strafrecht ein Schlüsselbegriff: Wenn die Strafe nicht mehr ausreicht, um einen Menschen hinter Gittern zu behalten, dann können die Behörden die »Sicherung der Allgemeinheit« als Ersatzbegründung heranziehen; man nennt das dann Sicherungsverwahrung.
Mit den Sicherungen im Oberstübchen hat es unterdessen eine andere Bewandtnis. Knallt und funkt es dort, angeheizt von aktuellen Berichten über Sicherungsverwahrte – die nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in diesen Tagen aus den Gefängnissen entlassen werden müssten – oder verschafft sich der aufgebrachte Mob gar, wie in der vergangenen Woche in Hamburg, Erleichterung durch die gewaltsame »Vertreibung« eines aus der Haft entlassenen Sexualstraftäters aus dessen neuer Wohnung, dann fühlen sich Sicherheitspolitiker bestätigt.
Die Bild-Zeitung fragt: »Wer schützt unsere Kinder?« Die CDU antwortet mit einer Gegenfrage: »Wer ist eigentlich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte?« Und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sieht in ihrem Vorschlag, den Freigelassenen künftig Fußfesseln anzulegen, einen Kompromiss.
Bislang allerdings stand die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht prinzipiell in Frage. In dem Gerichtshof-Urteil von 2009 geht es ausschließlich um Altfälle. Mit einer neuen Klage, die jetzt anhängig ist, könnte die nachträgliche Sicherungsverwahrung hingegen gänzlich gekippt werden. Ein Recht darauf, nach Verbüßung langer Haftjahre »einfach so« frei zu kommen, besteht nicht mehr, seit es in Deutschland die nachträgliche Sicherungsverwahrung gibt. Stattdessen muss ein langjähriger Gefangener vor seiner Entlassung beweisen, wie problemlos er alles überstanden hat – und wie gut es ihm getan hat. Erst wenn ein Gutachter ihm bescheinigt, nun völlig »ungefährlich« zu sein, kann er nach draußen.
Auf die Parallelwelt hinter Gittern – ohne jegliche Aussicht auf einen konkreten Entlassungstermin – hat vor kurzem der Kölner Prozess gegen die beiden »Ausbrecherkönige« Paul Michalski und Michael Heckhoff aufmerksam gemacht. Wenn man miterlebt habe, gab ein langjähriger Vollzugsbeamter nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zu Protokoll, wie die Langzeitgefangenen und die Verwahrten im Vollzug »nicht ernst genommen, dauerhaft hingehalten, mit falschen Versprechungen bewusst getäuscht wurden, wie man ihnen versprach, man werde eine positive Prognose schreiben, und dann wurde ohne Grund doch eine negative Stellungnahme abgegeben«, dann könne man »deren Entrüstung durchaus nachvollziehen«.
Die dauerhafte Abschottung von der Außenwelt hinterlässt ihre Spuren, allerdings: Pech für die Gefangenen. Die Last, ihre »Heilung« beweisen zu müssen, tragen sie selbst. Und dafür, dass Gutachter heute lieber nicht die Diagnose der »Ungefährlichkeit« riskieren, sorgt schon die aufgebrachte Menschenmasse draußen.