Atombombe und Popkultur in den USA

Target You, das Ziel bist du

Am 6. August 1945 wurde Hiroshima durch die Atombombe zerstört. Die Popkultur reagierte auf das Inferno mit frivolen Songs, die die Potenz der neuen Waffe feiern. Gleichzeitig wuchs in den USA aber auch die Angst, selbst zum Angriffsziel eines Atomschlages zu werden. Es entstanden Atomic-Hygiene-Filme, mit denen die Regierung für den Zivilschutz warb. Filme, Musik und Radiospots aus den Zeiten, als das Thema Atomkrieg die Massen euphorisierte und zugleich in Panik versetzte, sind in einer Sammlung aus DVDs und CDs nun bei Bear Familiy Records erschienen.

»Duck and Cover«, der drollige Claim aus den Zeiten des Kalten Krieges und der Atomkriegs-Paranoia, ist unvergessen. Die sogenannte Duck-and-Cover-Position war eine der wichtigsten Schutzmaßnahmen des in den fünfziger Jahren in den USA aufgelegten Zivilverteidigungsprogramms im Falle eines atomaren Angriffs und wurde in Schulen, Fabriken, Büros und Krankenhäusern regelmäßig geübt. Wie sie funktionierte, erklärte die Zeichentrickfigur Bert the Turtle in dem legendären US-amerikanischen Homeland-Security-Lehrfilm »Duck and Cover«, der sich vor allem an Schulkinder wandte. Immer schön wachsam sein, damit ging es los, und beim ersten Anzeichen von Gefahr solle man sich bäuchlings auf den Boden legen und den Kopf mit den Armen schützen. Dann liegenbleiben, Ruhe bewahren, den Angriff abwarten und hübsch artig auf die Durchsagen des Zivilschutzes achten. Wenn man dem Vorbild der Tropenhelm tragenden Schildkröte folgte, hatte man gute Chancen, den Atomkrieg zu überleben. So wurde es im Film versprochen.
Bereits im Zweiten Weltkrieg bildete sich das Genre der sogenannten mental hygiene films heraus, die von der Regierung zur Unterrichtung von Soldaten und der Zivilbevölkerung eingesetzt wurde. Gelehrt wurden Tischmanieren und alle möglichen Formen sozial erwünschten Verhaltens. Einen regelrechten Boom erlebte der Aufklärungsfilm in den Fünfzigern und Sechzigern, als Regierung und private Firmen in zahlreichen Ziviliverteidigungsstreifen vor den Gefahren des Kommunismus und der Atombombe warnten, aber auch die Vorzüge von Atombunkern priesen. Der atomic hygiene film schien zu einem Selbstläufer geworden zu sein, aber irgendwann Ende der Siebziger mussten sich dann auch die Behörden eingestehen, dass die naiven Filme nicht mehr zeitgemäß waren.
Dass die optimistische Schildkröte Bert ein Jahrzehnt später zum trashigen Symbol für die Auswüchse der Homeland Security wurde und Eingang in die Ikonografie der Populärkultur fand, ist der witzigen Dokumentation »The Atomic Café« aus dem Jahr 1982 zu verdanken, die in den Zeiten der Proteste gegen Pershings und Nato-Doppelbeschluss Kultstatus hatte. Der Film war in den USA ein Must-See, aber auch in Europa und insbesondere in Deutschland sehr erfolgreich, nicht zuletzt weil er alle Klischees über dumme Amerikaner und unfähige CIA-Fritzen zu bestätigen schien.
Die semidokumentarische Collage bedient sich bei Nachrichtensendungen, Regierungserklärungen, Werbefilmen, Aufklärungs- und Propagandastreifen, um den staatlichen Umgang mit der Atombombe und die Wahrnehmung der Atomproblematik in der Bevölkerung zu spiegeln. Die größten Lacher ernten regelmäßig die Ausschnitte aus »Duck and Cover«, etwa wenn empfohlen wird, sich zum Schutz vor dem Atomblitz eine Zeitung vor die Augen zu halten.
Aber auch weniger bekannte Propaganda­filme wie »Bombproof« (1956), »Target You« (1953) oder »Occupying a Public Shelter« (1965), in denen die Fiktion vermittelt werden sollte, der Atomkrieg sei mit der richtigen Ausrüstung wie Bunker, festes Schuhwerk, ausreichenden Lebensmittelvorräten und viel Disziplin (etwa regelmäßigen Gymnastikübungen im Strahlenschutzraum) problemlos zu überleben, sind Perlen des Genres. Filmästhetisch bedienen sich die Streifen zum einen beim Horrorkino, um mit Übertreibungen, überzogenem Expressionismus und oft plumpen Effekten die Bedrohungssituation auszumalen, zum anderen aber auch bei biederen Heimatfilmen wie »Lassie«, wenn es darum geht, das Rettungsszenario zu entwerfen, das typischerweise eine Familie zeigt, die nach der Atom­katastrophe im Schutzraum sitzt, als sei nichts gewesen. Vater trägt ein sauberes Hemd, Mutter sieht aus wie frisch vom Friseur, und die lieben Kleinen stecken ihre Nasen in die Schulbücher. Die Zivilverteidigungskultur wirkte offensichtlich stabilisierend auf die traditionellen Geschlechterrollen.
Auch im Radio wurde die Öffentlichkeit mit Public Service Announcements über die Gefahren eines Atomschlags informiert. Der populäre Entertainer und Jazzvokalist Tony Bennett meldete sich zum Beispiel in einem Spot mit dieser kurzen Ansage zu Wort: »Zivilverteidigung ist schlichte Vernunft. Hi! Hier ist Tony Bennett! Sorgen Sie dafür, dass Sie vorbereitet sind, sollte es jemals zu einem nuklearen Angriff kommen.« Bennett klingt so lässig wie der Wettermann, der ein paar Schauer voraussagt und rät, den Regenschirm mitzunehmen.
Banalisiert wurde die Atomproblematik aber nicht nur in den Aufklärungsfilmen der Regierung, auch die Populärkultur ging ziemlich entspannt mit der Bombe um. In der Musik, im Kino, in der Literatur, in der Mode und im Fernsehen wimmelte es von Anspielungen auf die Atombombe. Das bekannteste und plakativste Beispiel ist der Bikini. In einem gleichermaßen unverfrorenen wie genialen Akt des Marketings benannte der französische Modeschöpfer Louis Réard den revolutionären Zweiteiler nach einem Südsee-Atoll, das die US-Armee für Atomwaffentests nutzte. Die Verbindung zwischen gefährlicher weiblicher Sexualität und der explosiven und riskanten Waffe wurde im Pop und im Marketing häufig hergestellt. So vermarktete die Agentur des Hollywood-Starlets Linda Christians ihren Schützling 1945 als »Anatomic Bomb«, und nur wenige Tage nach dem Horror von Hiroshima kündigten die Strip-Clubs in Los Angeles ihre Tänzerinnen als »Atom Bomb Dancers« an.
In der Fünfziger-Jahre-Blues-Nummer »Atomic Baby« von Amos Milburn wird die Angebetete mit der Atomenergie verglichen, mit der man »vorsichtig umgehen muss«, weil sie den »Laden in die Luft jagen« oder aber »einen auf dem Mond landen lassen« könne.
Frivoler noch ist der Umgang mit dem Thema in der wenige Monate nach der Zerstörung Hiroshimas auf dem Label Atomic Inc. erschienenen Jazz-Nummer »Atomic Cocktail«, in der mit launiger Ignoranz die Wirkung der Bombe mit der eines Cocktails (»the drink you don’t pour«) verglichen wird. Der von Slim Gaillard gesungene Song, in dem es heißt: »You push a button, turn a dial/Your work is done for miles and miles/When it hits it’s bound«, feiert zwar »lediglich« den Triumpf der Technik, nicht den Akt des Tötens, der schlicht ignoriert wird, beweist aber dennoch eine atemberaubende Arroganz gegenüber dem Inferno. Mit der Zeit hat die mitreißende Swingnummer einige Coverversionen erfahren, die immerhin ironisch mit dem im Song zur Schau gestellten Stolz auf die Potenz der Bombe umgehen.

Atomic Platters. Cold War Music From the Golden Age of Homeland Security. CD und DVD Box. Bear Family Records