Abgefangen vor der Grenze
Einen »Krieg gegen die Migranten« nennt es die mexikanische Tagesszeitung La Jornada. Einwanderer in den USA fürchten sich vor einer Verschärfung der Gesetzgebung und vor Übergriffen (siehe Seite 10). In Mexiko nimmt man großen Anteil an der Debatte im nördlichen Nachbarland, leben doch 13 Millionen Mexikaner in den USA, etwa die Hälfte von ihnen ohne einen legalen Aufenthaltsstatus.
Doch während von mexikanischer Seite stets die Diskriminierung der eigenen Staatsbürger in den USA anprangert wird, werden in Mexiko selbst die Menschenrechte zentralamerikanischer Migrantensystematisch missachtet. Migranten aus Honduras, Guatemala und El Salvador durchqueren mit Güterzügen das mexikanische Territorium, um die Kontrollen entlang der Migrationsroute Richtung USA zu umgehen. Dabei sind sie permanent Überfällen und Entführungen durch kriminelle Vereinigungen ausgesetzt. Diese arbeiten zumeist eng mit korrupten Beamten zusammen, die ebenfalls von der Illegalisierung der Migranten profitieren.
Mexiko wurde zu einer »vertikalen Grenze« gegen die zunehmende Migration aus den zentralamerikanischen Ländern in die USA ausgebaut. Im Kontext des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (Nafta) wurde eine »Gemeinsame Sicherheitszone« heraufbeschworen. »Mexiko beugte sich diesem Druck in der Hoffnung auf US-amerikanische Gastarbeiterprogramme für mexikanische Migranten«, erklärt Juan Manuel Sandoval vom Studienseminar für Chicanos und Grenzen in Mexiko-Stadt. Als »Chicanos« werden die in den USA lebenden Mexikaner und ihre Nachfahren bezeichnet
»Im vorigen Jahr wurden über 60 000 Migranten aus Zentralamerika in Mexiko festgenommen und im Rahmen des euphemistisch benannten ›Programms zur sicheren und geordneten Wiederbeheimatung‹ abgeschoben«, berichtet Fermina Rodríguez vom Menschenrechtszentrum Fray Matías de Córdova in Tapachula. »Hier an der Grenze zu Guatemala befindet sich seit einigen Jahren der größte Abschiebeknast Lateinamerikas. Die mexikanische Migrationspolizei, die in den achtziger Jahren kaum über Personal verfügte, ist zu einem großen Arbeitgeber geworden, dessen Beamte ein engmaschiges Kontrollsystem betreiben.«
»Mexiko, das Arizona des Südens« war auf einem Transparent zu lesen, das vor der Behörde der Migrationspolizei im mexikanischen Puebla hing. Dort hatte sich 17 Tage lang der Journalist Irineo Mujica Azarte angekettet. Er war am 16. Juli festgenommen worden, als er die brutalen Übergriffe der Migrationspolizei während eines Einsatzes zur Festnahme zentralamerikanischer Migranten mit einer Videokamera dokumentierte. Als die Beamten feststellten, dass sie gefilmt wurden, schlugen sie den Journalisten zusammen und nahmen ihm neben seiner technischen Ausrüstung auch Geld und Papiere ab.
Irineo Mujíca, der seit Jahren die Situation von Migranten in Mexiko dokumentiert, trat trotz seiner Verletzungen in den Hungerstreik, um auf die Vorfälle aufmerksam zu machen: »Anspruch und Wirklichkeit der Menschenrechtslage klaffen in Mexiko eklatant auseinander. Der mexikanische Staat gibt Lippenbekenntnisse vor der nationalen und internationalen Öffentlichkeit ab, aber es sind immer wieder staatliche Funktionäre, die sich an Migranten bereichern.«
»Heutzutage wird eine Kamera berechtigterweise von denen als eine Waffe wahrgenommen, die systematische Menschenrechtsverletzungen verbergen möchten«, sagt Pater Heyman Vázquez von der Migrantenherberge in Arriaga. »Einheiten der Bundespolizei führen extralegale Überfälle mit der Dienstwaffe durch. Die staatliche Menschenrechtskommission dient als Puffer, an dem Anzeigen abprallen, so dass sie den Tätern nie zum Verhängnis werden. Gleichzeitig werden Menschenrechtsverteidiger und kritische Journalisten ständig bedroht und eingeschüchtert. Mujíca durchbricht dieses System.« Zwei Beamte der Migrationspolizei wurden schließlich suspendiert. Mujíca bekam seine Kamera zurück. Das brisante Material war jedoch gelöscht worden.