Repression gegen russische Umweltaktivisten

Wer protestiert, ist Hooligan

Mit willkürlichen Verhaftungen gehen die russischen Behörden gegen Antifaschisten und Umweltschützer vor.

»Wir säubern den Wald von der faschistischen Okkupation! 1941–2010.« Diese unmissverständliche Botschaft war Ende Juli auf einem Transparent zu lesen, das Demonstranten im Moskauer Vorort Chimki vor sich her trugen. Dem spon­tanen Protestzug von über 200 jungen Menschen anlässlich der Rodung eines unlängst noch als Naherhohlungsgebiet genutzten Waldstücks ging ein Intermezzo vor dem örtlichen Verwaltungszentrum voraus. Rauchbomben und Steine flogen gegen das nach Feierabend menschenleere Gebäude, ein paar Scheiben gingen zu Bruch und einige mit Sprühfarbe aufgetragene Aufrufe zum Schutz des naheliegenden Waldes ließen keine Zweifel am Anlass der Aktion aufkommen.
Auf Youtube kann man sich davon überzeugen, dass der entstandene Sachschaden kaum der Rede wert ist. Doch die Verwaltung in Chimki sieht das anders. Sie beziffert die Kosten für Malerarbeiten und neue Fenster auf über 10 000 Euro. Die Strafermittlungsbehörden nutzen die Schadenersatzforderungen nun als Mittel gegen diejenigen, die sich nicht mundtot prügeln oder durch Demonstrationsverbote einschüchtern lassen wollen. Denn der Kampf um 150 Hektar Wald, die für eine Teilstrecke der ersten kostenpflichtigen Autobahn Russlands zwischen den Metropolen Moskau und St. Petersburg gerodet werden sollen, war bereits in den vergangenen Jahren von Gewalt geprägt.
Dem langjährigen Bürgermeister von Chimki, Wladimir Streltschenko, eilt der Ruf voraus, er sei ein mafiöser und skrupelloser Verwaltungschef, mit dem man sich besser nicht anlegt. Nach seiner Wiederwahl im März starb der Layouter einer unabhängigen Lokalzeitung, die mit einem Sonderteil zum Thema Wahlbetrug erscheinen sollte, an Verletzungen, die ihm Unbekannte zugefügt hatten. Im November 2008 kam der bekannte Rodungsgegner und Journalist Michail Beketow bei einem Überfall zwar mit dem Leben davon, doch ist er seitdem schwerbehindert.
Als im Juli schließlich der erste Waldrodungs­trupp anmarschierte, griffen etwa 100 mit weißen Masken Vermummte, die vermutlich im Umfeld rechtsextremer Fußballhooligans rekrutiert worden waren, ein Protestcamp mit ein paar Dutzend Umweltschützern an. Diese wehrten sich nicht einmal gegen das geplante Autobahnprojekt an sich, sondern plädierten lediglich für eine ­Alternativroute. Die an solchen Angriffen Beteiligten haben von der russichen Justiz wenig zu befürchten.
Stellvertretend für die Beteiligten an den jüngsten Umweltprotesten wollen die örtlichen Vertreter des russischen Staats nun zwei jungen linken Aktivisten den Prozess machen. Aleksej Gas­karow und Maxim Solopow wurden am Tag nach der Demonstration als vermeintliche Organisatoren der Aktion verhaftet. Beweise gegen sie liegen nicht vor. Ihr Vergehen besteht vielmehr darin, dass sie zu den wenigen seit Jahren in den sozialen Bewegungen engagierten Antifaschisten in Russland zählen, die die Öffentlichkeit nicht scheuen. Dies brachte ihnen nicht nur zahlreiche Drohungen von Neonazis ein, sondern machte auch die Miliz auf sie aufmerksam.
Die Staatsanwaltschaft geht mit dem Fall um, als handele es sich um eine besonders heikle, ja staatsgefährdende Angelegenheit, die äußerste Geheimhaltung erforderlich mache. Michail Trepaschkin, der in politischen Verfahren profilierte Anwalt eines der Beschuldigten, der selbst als Opfer der russischen Justiz mehrere Jahre hinter Gittern verbringen musste, lehnte die Verteidigung seines Mandanten ab. Als Anlass dafür gab er die Forderung der Behörden an, ein Schweige­gelübde über den Verlauf der Ermittlungen zu unterzeichnen. Die Presse, so die dahinterstehende Logik, soll so wenig wie möglich über die Einzelheiten des Verfahrens wissen.
Dafür gibt es aus der Sicht der Ermittler gute Gründe. Denn selbst die zuständige Richterin war anfangs nicht überzeugt von der Notwendigkeit, die beiden Beschuldigten in Gewahrsam zu behalten, und forderte zusätzliche Beweise. Zwar wurden diese nicht erbracht, dennoch verlängerte sie die Untersuchungshaft bis Anfang Oktober.
Um überhaupt einen formalen Verhaftungsgrund vorlegen zu können, wurden kurzerhand die Festnahmeprotokolle gefälscht. Darin heißt es, die Beschuldigten seien auf frischer Tat ertappt worden, doch war während der keine zehn Minuten dauernden Aktion weit und breit keine Miliz zu sehen gewesen. Die Festnahmen erfolgten erst einen Tag später am Wohnort der Angeklagten. Selbst in den offiziellen Stellungnahmen der Polizei zu dem Vorfall hieß es zunächst, die Angreifer seien unmittelbar nach der Tat verschwunden.
Die Ermittler verweisen auch auf Zeugenaussagen dreier Bürger aus Chimki, die Gaskarow und Solopow angeblich bei der Ausführung von Straftaten beobachtet haben. In den Ermittlungsakten sind diese Aussagen allerdings nicht enthalten. Die Liste der Rechtsverstöße und Einschüchterungsversuche ließe sich fortsetzen. Den beiden Antifaschisten drohen nach dem vielfältig deutbaren Hooliganismus-Paragrafen sieben Jahre Gefängnishaft.
Obwohl es um die Bürgerrechte in Russland ohnehin nicht gut bestellt ist, hat die Duma im Juli eine Erweiterung der Vollmachten des Inlandsgeheimdienstes FSB genehmigt. Wer sich in Zukunft den Forderungen der Staatsschützer widersetzt, dem droht eine Geldstrafe oder eine zweiwöchige Präventivhaft. Es braucht nur wenig Phantasie, um sich vorzustellen, was diese neuen Kompetenzen für bereits in der Vergangenheit vom FSB bedrängte Kritiker der russischen Verhältnisse bedeuten. So erhielt die offizielle Anmelderin einer Solidaritätsaktion für Gaskarow und Solopow prompt einen Anruf vom FSB. Der Offizier interessierte sich unter anderem dafür, ob es einen Plan gebe, wie mit Provokationen während der Veranstaltung umgegangen werden soll.