Die Mauer muss sein!

Die Beschwerde kam nicht von zugezogenen Schwaben, sondern von einem Urberliner. »Es war nur dieser Anwohner, der sich plötzlich an uns gestört hat«, sagt Lilo Unger vom SO36-Kollektiv. »Die meisten Nachbarn stehen ja auf unserer Seite.« Die Feststellung der Behörden, dass der Kreuzberger Club zu laut sei, hatte ihn in den vergangenen eineinhalb Jahren fast um die Existenz gebracht. Nun ist das SO36 gerettet – dank eines »antiakustischen Schutzwalls«, der unliebsame Klänge absorbieren soll. Der 13. August, genau 49 Jahre nach Baubeginn der Berliner Mauer, sei als Datum für die Einweihungsfeier der Lärmschutzwand rein zufällig gewählt worden, so Unger. Und tatsächlich ist die Grundsteinlegung an diesem Abend bestenfalls als symbolisch zu bezeichnen. Denn von der knapp sechs Meter hohen Mauer – das sind immerhin 2,40 Meter mehr als beim Original – ist hier noch nichts zu sehen. Der Aufbau beginnt erst am 20. August. Stattdessen feiert man unter dem Motto »Ich bin ein Berliner« zu Disco-Punk. Moderator Andreas Schwarz stammelt zu Beginn in bester Varieté-Manier den Kinderlieder-Smashhit »Auf der Mauer auf der Lauer«, um auch dem Unkundigsten klar zu machen, dass hier auf etwas Historisches angespielt wird. Optisch unterstützen soll dies ein roter Betonmischer, – es ist die umfunktionierte Lostrommel vom Kiezbingo, zu dem das SO36 regelmäßig einlädt. Ganz ohne Einweihungsrituale für die Mauer bleibt der Abend jedoch nicht. Moderator Schwarz kündigt »Femme Facade« aus Paris an. Zu einem monotonen Bass beginnt sie mit einem Ausdruckstanz, der ziemlich ausdrucksarm wirkt. Dann nimmt sie ein Küchenmesser und sticht rhythmisch auf eine Stoffpuppe ein, die mit weißem Sand gefüllt ist. Den Gästen bleibt die Metaebene dieses Schauspiels und der Zusammenhang zum Mauerbau verborgen. Ein Besucher kann sich in diesem Moment den offensichtlichsten aller Publikumszurufe nicht verkneifen und brüllt: »Die Mauer muss weg!« Keiner lacht. Zu Recht.