Die Debatte um Einsätze der Bundeswehr im Inneren

Kampfjets in der Grauzone

Der Einsatz der Bundeswehr im Inland sorgt für Streit zwischen den beiden Senaten des Bundesverfassungsgerichts. Dabei ist die Präsenz des Militärs im Inneren längst keine Seltenheit mehr.

Unter welchen Umständen ist ein Einsatz der Bundeswehr im Inneren rechtmäßig? In dieser Frage sind sich der erste und zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts uneinig. Das Gericht befasst sich derzeit erneut mit dem im Januar 2005 in Kraft getretenen Luftsicherheitsgesetz. Die Bundesländer Hessen und Bayern haben eine Normenkontrollklage eingereicht und wollen vom zweiten Senat geklärt wissen, ob das Verbot des Einsatzes militärischer Mittel in Einklang mit dem zurzeit geltenden Gesetz steht.
Die Innenminister der Länder sehen Widersprüche: Die Bundeswehr ist verpflichtet, sich im Rahmen der Terrorabwehr bei der Amtshilfe für die Polizei auf den Einsatz polizeilicher Hilfsmittel zu beschränken. In Paragraf 14 des Luftsicherheitsgesetzes sind jedoch im Fall einer Flugzeugentführung Maßnahmen wie das Abdrängen, die erzwungene Landung, die Androhung von Waffengewalt und die Abgabe von Warnschüssen vorgesehen. Nach Ansicht der Innenminister handelt es sich dabei aber nicht um polizeiliche Maßnahmen, sondern um derzeit vom Gesetz nicht gedeckte militärische Handlungen.

Alle politischen Beobachter sind sich einig, dass der hessische Innenminister Volker Bouffier (CDU) und sein bayerischer Amtskollege Joachim Herrmann (CSU) nicht beabsichtigen, den Einsatz militärischer Gewalt im Inneren in Friedenszeiten zu verhindern, sondern rechtlich abzusichern. »Hier geht es um Fragen von Leben und Tod. Es kann nicht sein, dass ein Pilot in einem deutschen Kampfflugzeug in einer juristischen Grauzone agieren muss«, sagte der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), der Süddeutschen Zeitung.
Seit der mündlichen Verhandlung vor dem zweiten Senat im Februar mehren sich die Hinweise, dass die Kammer den Einsatz militärischer Waffen im Inneren für rechtlich vertretbar halten könnte. Der Senatsvorsitzende, Andreas Vosskuhle, wurde öffentlich mit den Worten zitiert, sein Gremium werde »möglicherweise von der Auffassung des ersten Senats abweichen«. Dieser hatte im Februar 2006 die im dritten Absatz des Paragrafen 14 des Luftsicherheitsgesetzes vorgesehene »unmittelbare Einwirkung von Waffengewalt« gegen ein entführtes Flugzeug, wenn dieses »gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll«, für verfassungswidrig erklärt. »Zur Erfüllung staatlicher Schutzpflichten dürfen nur solche Mittel verwendet werden, die mit der Verfassung in Einklang stehen. Daran fehlt es im vorliegenden Fall«, führten die Richter damals aus. Presseberichten zufolge hat der erste Senat diese Rechtsauffassung derzeit gegenüber den Richtern des zweiten Senats bekräftigt. Für ein endgültiges Urteil wird nun ein Plenumsvotum der gemeinsam tagenden Senate notwendig.

Die Debatte am Bundesverfassungsgericht dauert also noch an – dabei ist die Bundeswehr im Inneren längst äußerst präsent, der Sonderfall ist bereits zur Regel geworden. Der Bundeswehreinsatz während des Oderhochwassers im Jahr 1997 oder zur Bekämpfung der Vogelgrippe 2006 war noch gedeckt durch den Artikel 35 des Grundgesetzes, der den Einsatz bei Naturkatastrophen oder schweren Unglücksfällen erlaubt. Doch schon die Einbindung der Bundeswehr in das Sicherheitskonzept des G8-Gipfels in Heiligendamm 2007 dürfte nicht auf der Grundlage des Artikels 35 des Grundgesetzes erfolgt sein. Neben 2 400 Soldaten kamen damals zur Aufklärung Tornado-Kampfjets, geschlossene Spähsysteme des Typs »Fennek« und drei AWACS-Flugzeuge zum Einsatz. Zudem schickte die Armee ein mobiles Sanitätsrettungszentrum an die Ostsee.
Neben den grundgesetzlich erlaubten Amtshilfeleistungen sorgt das Konzept der »zivil-militärischen Zusammenarbeit« (ZMZ) für eine zunehmende Normalisierung von Inlandseinsätzen. Seit 2001 wird es angewendet. Offiziell soll eine effizientere Hilfe der Armee beim Katastrophenschutz sichergestellt werden. Diese neue sogenannte Einsatzorientierung zielt dabei aber gar nicht mehr auf den Ausnahmefall, sondern auf den Normalfall des Einsatzes im Inneren: »Die Bundeswehr trägt in einem vernetzten, gesamtstaatlichen Ansatz mit ihren Fähigkeiten im Rahmen der gesetzlichen Rahmenbedingungen zum Schutz der Bürger und Bürgerinnen bei.« Ein Netz von militärischen Stützpunkten mit einem System von Landes-, Bezirks- und Kreisverbindungskommandos, das von ortskundigen Reservisten geführt wird, soll die Bundeswehr ständig und überall einsetzbar machen.
Bereits 2007 ging aus einer vom Verteidigungsministerium veröffentlichten Liste hervor, dass die Bundeswehr während des Berlin-Marathons, der Kieler Woche und des Laternenfests von Halle im Einsatz war. Sogar bei der Weltmeisterschaft der Zweispänner leistete sie Amtshilfe. Nachdem im Zuge des Nato-Gipfels im Frühjahr 2009 die Bundeswehr ein weiteres Mal eingesetzt worden war, stellte die Linksfraktion im Bundestag eine kleine Anfrage, um zu erfahren, ob Maßnahmen getroffen würden, die verhinderten, »dass die ZMZ-Strukturen zur Unterstützung polizeilicher Repressivmaßnahmen gegen Streikende und/oder Demonstranten herangezogen werden«. Die Bundesregierung antwortete schlicht mit einem »Nein«, um dann weiter auszuführen: »Die Beurteilung, ob Großereignisse sowie damit im Zusammenhang stehende Demonstrationen Anlässe für die Zusammenkunft von Katastrophenschutzstäben sein können, obliegt den für die örtliche polizeiliche und nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr zuständigen Landesbehörden.«

Bei der Zusammenkunft der Katastrophenschutzstäbe sitzt meist ein Vertreter eines ZMZ-Kommandos am Tisch, womit aus Sicht von Kritikern das Konzept der ZMZ Inlandseinsätze der Bundeswehr erheblich erleichtert. Unabhängig vom Ausgang des derzeitigen Streits am Bundesverfassungsgericht gilt: Die Präsenz des Militärs im Inneren ist längst üblich geworden. Und vielleicht marschieren Soldaten dank des ZMZ-Konzepts in Zukunft nicht mehr nur auf Exerzierplätzen, sondern auch auf Demonstrationen auf.