Fiktion und Realität des Bienensterbens

Der Mensch als Pusteblume

Schon um die Dinosaurier herum schwirrten Bienen. Die kleinen Insekten haben sich in mehr als 80 Millionen Jahren als unglaublich anpassungs- und widerstandfähig erwiesen. Irgendwann sind sie dennoch ausgestorben – fast. Jedenfalls in Douglas Couplands neuem Roman »Generation A«, der die Individualität und die sozialen Beziehungen im digitalen Zeitalter zum Thema hat. Das Bienensterben gibt es aber nicht nur in der fiktiven Romanwelt.

Der Stich
Zack Lammle saß im Cockpit von »Mazie« in einem Maisfeld in Mahaska County, Iowa, als er von einer Biene gestochen wurde. Zu seinem Glück hatte er im Führerhaus von »Mazie«, »einem derart luxuriösen Mähdrescher, dass ein Kreuzfahrtschiff für Schwule daneben alt aussehen würde«, beim Mähen gleichzeitig seine vier Plasmafern­seher laufen. Über Satellit war er dabei mit einem Freak aus Singapur verbunden, der Zack 100 Dollar die Stunde zahlte, um ihn nackt beim Arbeiten in der Fahrerkabine sehen zu können.
Irgendwann aber hatte bei der lustigen Fahrt im Maisfeld eines der Fenster der Kabine zu klappern begonnen. Zack öffnete es kurz, und dabei kam sie herein, die Biene, die ihn dann stach. Erst hielt der Freak aus Singapur den Bienenstich für einen Scherz, bis er über die Kamera das tote Tier leibhaftig sah. Zack war währenddessen ernsthaft angeschwollen und begann zu hyperventilieren. Das Leben rettete ihm schließlich nur der Freak, der sofort von Singapur aus das nächste Krankenhaus, das Landwirtschaftsministerium und die Seuchen­kontrollbehörde informierte.
Als Zack schließlich wieder zu sich kam, fand er sich in einer ortlosen Quarantänestation wieder. Der Stachel vom Stich war verschwunden, sein Bein wieder auf Normalgröße abgeschwollen, nur ein kleiner roter Fleck war zurückgeblieben. Mit dem Fleck aber kam die Erinnerung wieder. Zack konnte sich noch gut an die Bienen erinnern, wie sie im Frühjahr Blutwurz und Sumpfdotterblumen hinter dem Haus seiner Großmutter anflogen. Glücklich, emsig und pelzig. Bis sie irgendwann anfingen, ihre Bienenstöcke zu verlassen, und bevor überhaupt Zeit gewesen war, den Grund dafür herauszufinden, waren sie alle verschwunden. Zack war damals, fünf Jahre war es her, bestürzt wie alle anderen auch. »Es gab wohl keinen Menschen auf der Welt, dem das nicht irgendwie im Magen lag, weil wir alle wussten, dass wir am Bienensterben schuld waren, nicht Mutter Natur«, notiert Zack dazu.
Zack ist eine der Hauptfiguren aus »Generation A«, dem gerade auf Deutsch erschienenen neuen Roman von Douglas Coupland. Der Roman, um das vorwegzunehmen, hält, was der Titel verspricht. Man kann »Generation A« in einer Reihe mit Couplands berühmten Vorgänger von 1991, »Generation X«, lesen, und das Buch hat auch in der deutschen Übersetzung nichts von der Geschwindigkeit verloren, mit der Coupland heute versucht, die Welt im Buch zusammenzuhalten.
Clara Drechsler und Harald Hellman, ein erprobtes Übersetzer-Duo für angelsächsische Literatur von Bret Easton Ellis über Irvene Welsh bis zu Miranda July, ist es gelungen, den Coupland-Sound ins Deutsche zu retten. »Ich nahm das Klopapier unter die Lupe: keine Logos, keine Blümchen, weder auf dem Papier noch innen auf der Pappröhre, aber ich als Connaisseur muss sagen, scheißen wie Gott in Dubai: dreilagig, geprägt und gebleicht, so was haben heutzutage nur noch die Ölscheichs«, heißt es etwa, als Zack das Klopapier in seiner Isolationsstation untersucht.
Bei aller Kontinuität der Sprache und der Verdichtung sozialer Konstellationen an bestimmten Orten in der Welt, wie etwa eben in Mahaska County, Iowa, gibt es auch entscheidende Unterschiede zwischen Generation X und A. So ist zum Beispiel die Liebe verschwunden. Es gehe doch nichts über Glaube und Hoffnung, um aus einer Geschichte einen zeitlosen Klassiker zu machen, meint etwa Samantha, eine Protagonistin des Romans.
Vom biblisch-paulinischen Dreiklang Liebe, Glaube, Hoffnung sind nur noch der Glaube und die Hoffnung geblieben. Und die Zahlen. Wenn sie Zahlen ansehe, sagt Samantha an derselben Stelle, dann machten sie anders als Wörter und Buchstaben keine Geräusche in ihrem Kopf. Der Anblick von Gleichungen habe sie »immer in ihren Wohlfühlort versetzt«.
Man kann anhand dieser Passage die doppelte Struktur von Couplands Roman erkennen. Einmal sind es die Gleichungen, also die Gleichheit, die über die Mathematik in die Welt kommt. Keine Wissenschaft ohne Gleichheitszeichen, so könnte man über die Idee der Zukunft schreiben, auf die die Menschen im Roman hoffen.
Auf der anderen, der dunkleren Gegenwartsseite stehen die Zahlen aber für die digitale Wirklichkeit der Kommunikation. Alles spielt sich zwischen Null und Eins ab, die Zwei ist irgendwie sinnlos geworden. Darum ist auch die Liebe verschwunden.

Die Liebe
Couplands großartiger Kniff besteht aber darin, mit der Liebe auch die Bienen aus dem Leben zu verabschieden. Als Zack zum Beispiel einmal versucht, einen Blumenstrauß zu pflücken, findet er nur noch Löwenzahn. Wildblumen, Habichtskraut, Gemeine Scharfgabe und Eisenkraut sind verschwunden. Es gibt sie nicht mehr, aber wie sollten sie auch existieren, wenn mit den Bienen ihre Bestäuber, auf die sie in ihrer schwerfälligen Zweigeschlechtlichkeit angewiesen sind, aussterben? Eben, das geht nicht, und was dann übrig bleibt, ist Löwenzahn, »ein effizienter Selbstbestäuber, der sich im Grunde durch florale Masturbation fortpflanzt«, wie Zack ganz richtig erkennt.
Dass Löwenzahn sich wirklich auf eine schon an Klonierung grenzende Art und Weise immer wieder selbst ohne Hilfe und Zweideutigkeit hervorbringt und in den überdüngten Kulturlandschaften der Industrienationen zu einer Ausbreitung vorher nicht gekannten Ausmaßes gelangt ist, gehört zu den realen Bedingungen, auf denen Coupland seinen Stoff angesiedelt hat. Das Gleiche gilt für die Gründe des Verschwindens der Bienen. Waren es Handys, genmanipuliertes Getreide, ein Virus oder Chemikalien, fragt Zack einmal. Alles Gründe, die tatsächlich für das gegenwärtig zu beobachtende weltweite Bienensterben diskutiert werden.

Der Tod
Die Sterberate der pelzigen Insekten hat dramatische Ausmaße angenommen. Die Zahl der Honigbienen, die in den vergangenen Jahren in den USA verschwunden sind, wird auf einen zweistelligen Milliardenbetrag beziffert. Etwa jedes vierte Bienenvolk der USA ist zusammengebrochen. Auch hierzulande sind die Bienenvölker etwa um ein Viertel des Bestandes zurückgegangen. Für Finnland, Polen, Griechenland, Dänemark und die Schweiz gelten ähnliche Werte, während in Italien und England sogar ein Drittel der Stöcke abstarb.
Wenn man dabei in Betracht zieht, dass Bienen nicht nur Honig produzieren, sondern auch wichtige Obst- und Gemüsesorten bestäuben, lassen sich die alarmierenden Hinweise von Ernährungswissenschaftlern verstehen. Sojabohnen, Avocados, Sellerie, Äpfel, Nüsse, Gurken oder Spargel können ohne Bienen nur schwer auf ihrem jetzigen Produktionsniveau gehalten werden. Kirschen, Zitrusfrüchte, Blau- und Erdbeeren dürften ganz verschwinden. In den Hochrechnungen des US-Landwirtschaftsministeriums ist das Bienensterben zur größten allgemeinen Bedrohung der amerikanischen Lebensmittelversorgung geworden. Es ist deshalb kein Wunder, dass als Begleitung zum Bienentod die verschiedensten Theorien kursieren, die insbesondere im Internet verbreitet werden und denen zufolge wahlweise Handystrahlen Schuld seien, die die Bienen von ihrer Flugbahn ablenkten und im Nichts verenden ließen, oder das US-Landwirtschaftsministerium, das mit der fortgesetzten Genehmigungen für den Anbau genmanipulierter Pflanzen auch die Widerstandskraft der Bienen schwäche.
Wobei das letztgenannte Argument auch unter Wissenschaftlern zumindest diskutiert wird. Honigbienen haben im Verhältnis zu anderen Insekten wie Mücken oder Fruchtfliegen tatsächlich eine geringe »natürliche« Widerstandkraft. In ihrem Genom fanden sich weit weniger Gensequenzen, die zur Bekämpfung von Giften hilfreich sind, als bei wilden Formen. Das ist ein bei domestizierten Tieren allgemein zu beobachtender Prozess, und Honigbienen zählen mit ihrer Jahrtausende alten Zuchttradition in Menschenobhut zu den Haustieren. Dass derart in ihrer Widerstandskraft geschwächte Tiere dann auch anfälliger für Pestizide und andere in der Landwirtschaft eingesetzte Chemikalien sind, bestreitet niemand.
Ein anderes Indiz für die These, dass die heutige Landwirtschaft für Bienen nachteilig ist, lässt sich aus der Tatsache ablesen, dass in Städten gehaltene Bienenvölker weniger vom Bienentod bedroht. In Städten wird in Grünanlagen wesentlich weniger gedüngt und mit Giften hantiert als in der industrialisierten Landwirtschaft.
Offensichtlich können Stadthonigbienen wohl auch deshalb mit der wissenschaftlich unumstrittenen Hauptbedrohung besser umgehen, mit der Varroamilbe. Varroa destructor, wie die Milbe wissenschaftlich treffend heißt, stammt ursprünglich aus Asien und befiel dort die Stöcke der Honigbienen. Wahrscheinlich durch unvorsichtige Wissenschaftler verbreitet, findet man sie heute überall mit Ausnahme Australiens.

Der Gegner
Die Varroamilbe legt ihre Eier in den Larvenstock der Bienen. Die Milben ernähren sich dann von der Lymphflüssigkeit der Bienenlarven und schädigen sie so, dass die Bienen oft bereits verstümmelt zu Welt kommen. Sie saugen aber auch an erwachsenen Bienen und infizieren sie zusätzlich mit Viren, die bisher unter Bienen nicht bekannt waren. Die Varroamoilbe verursacht also zahlreiche für Bienen ungünstige Schäden. Außerdem ist sie in großen Teilen der USA und in Europa auch noch gegen die effektivsten zu ihrer Bekämpfung eingesetzten Chemikalien resistent geworden. Ein Zyklus, den man überall beobachten kann, wo Chemikalien zur Bekämpfung von Insekten zum Einsatz kommen: Die Chemikalien stärken ihre Gegner, weil sie in vielen Fällen die Mutationsraten der überlebenden »Schädlinge« erhöhen. Ein Kreislauf, aus dem nur schwer herauszukommen ist.
Trotz allem besteht aber immer noch die Hoffnung, das derzeitige Bienensterben bewege sich in einem »normalen« Zyklus. Bienenstöcke sind in bestimmten Zeiten auch früher schon überdurchschnittlich häufig eingegangen. So sind in kalten Wintern Sterblichkeitsraten von zehn Prozent für Bienenvölker nicht selten. Wenn man alle hier genannten Faktoren zusammen betrachtet – den Einsatz genetisch veränderter Pflanzen im Freiland, die Verbreitung von Pestiziden und Insektiziden, den Befall durch eine von Wissenschaftlern verschleppte Milbe, die Resistenz der Milbe gegen Chemikalien und eine Überzüchtung der Bienenstämme selbst in Menschenobhut –, scheint die zwar nicht streng wissenschaftliche, sondern eher literarische Betrachtungsweise angemessen zu sein, die den Bienenvölkern zugesteht, dass sie sich in einem Stadium allgemeiner Erschöpfung befinden.
Genetisch erschöpft im Zuchtbetrieb der menschlichen Landwirtschaft und aktuell erschöpft vom Kampf gegen lauter neue Widrigkeiten, auf die sich einzustellen auch Bienen Zeit brauchen. Und die nehmen sie sich gerade durch das Sterben ihrer Völker. So ist das auch in Couplands Roman. Nach fünfjähriger Abwesenheit sind dort die Bienen nämlich an fünf Orten auf der Welt, in Sri Lanka, Kanada, Frankreich, Neuseeland und den USA, plötzlich wieder aufgetaucht und haben fünf Menschen gestochen: Samantha Tolliver, Diana Beaton, Julien Picard, Harj Vetharanayan und Zack Lammle. Die fünf werden dann über abenteuerlichste Wege in Isolation gesperrt, um schließlich auf einer Insel zusammengeführt zu werden, wo sie Geschichten erfinden und aufschreiben. Das tun sie auf ganz unterschiedliche Weise.

Die Gemeinschaft
Dennoch bleiben sie alle, trotz ihrer Vernetzung mit modernsten Kommunikationsmitteln über die ganze Welt, einem alten Paradigma verhaftet. Coupland deutet das gleich am Anfang seines Romans an, als er kurz die Namen Gutenberg und Darwin erwähnt. Nicht als Menschen allerdings, sondern als Orte: Die Calle Gutenberg ist eine Straße in Madrid und Darwin eine Stadt in Australien. Ortsgebunden bleiben auch die weiteren Bezüge zum Theoretiker der Evolution. Die kanadische Insel, auf der man die fünf Gestochenen versammelt, wird ausdrücklich als »nördliches Galapagos« beschrieben, und Galapagos ist nach dem bis heute bekanntesten amerikanischen Buch über das Archipel »das Ende der Welt«. Aus der Geschichte herausgefallen ist das nördliche Galapagos in jeder Beziehung: Die Ökonomie der Insel hat im gesamten 20. Jahrhundert weder Booms noch Krisen erlebt; ein Diagramm der wirtschaftlichen Entwicklung würde einer Nulllinie entsprechen. Der ideale Ort also, um ein Experiment zu beginnen, das den Hyperindividualismus, in den sich die Welt hineingesteigert hat, überwindet. Denn irgendetwas müssen die fünf Menschen ja gemeinsam haben, sonst wären nicht ausgerechnet sie unter all den anderen von den Bienen ausgewählt worden.
Über dieses Gemeinsame, das sich trotz der ausgefeiltesten Tests nicht wissenschaftlich finden und benennen ließ, soll die Möglichkeit einer neuen Gemeinschaft erkundet werden. Die Fünf werden zur Keimzelle einer »kommenden Gemeinschaft« (Giorgio Agamben), in der auf der Basis des entwickelten Individualismus unserer Tage das Soziale neu entdeckt wird. Der entscheidende Schritt ins Neue ist dabei aber ziemlich alt. Dem sozialen Experiment auf der Insel steht nämlich ein Leiter vor, ein Machtpragmatiker der ganz alten Schule. »Du verstehst einfach nicht, was Macht bedeutet«, weist er einmal Zack zurecht und erklärt sein Handeln so: »Warum ich es tue? Weil ich es kann.«
Die Gestochenen tun darauf das einzig richtige: Sie sperren den Mann, dem die Wahrheit nichts, der Profit und die Macht aber alles ist, in den Keller. Ohne Darwin Gewalt anzutun, kann man in dieser schlichten Maßnahme eine Anwendung eines seiner unverstandensten Kalküle sehen: Komplexitätssteigerung hat in der Evolution überhaupt nichts mit Fortschritt zu tun, im Gegenteil, sie kann leicht zur Sackgasse werden, weil sie den Handlungsspielraum mit jeder neuen Komplexitätsstufe zunächst einschränkt. Komplexitätssteigerung führt immer dazu, die Individuen einer Gesellschaft auf den Binnenblick zu konzen­trieren. Man muss sich ja erstmal auf den Autobahnen der »eigenen« Welt zurechtfinden, bevor man die Außenbereiche der Umwelt fassen kann. Um aus der Sackgasse herauszufinden, helfen manchmal ganz einfache, alte erprobte Mittel wie den Chef wegzusperren, Darwin zu lesen oder Geschichten zu erzählen und zu schreiben.
Und man spekuliert nicht zu viel, wenn man Johannes Gutenberg und Charles Darwin den Bienen zurechnet. »Generation A« endet nämlich mit der Überlegung, wie die Bienen es wohl geschafft haben, fünf Jahre lang in den finstersten Verstecken auszuharren, um dann auf einmal wieder aufzutauchen, Menschen zu suchen und auf diesem Weg wieder nach Hause zu finden. Irgendwie werden das Buch, Darwin und die Bienen das schon hinkriegen mit einer Welt, in der – diese Forderung Couplands muss allerdings noch erwähnt werden – dann auch der genmanipulierte Mais verschwunden ist. Und falls es die Bienen nicht allein schaffen sollten, gibt es ja immer noch Hummeln.

Douglas Coupland: Generation A. Aus dem Englischen von von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Tropen bei Klett-Cotta, Stuttgart 2010, 330 Seiten, 19,90 Euro