Die Ergebnisse der Kommission gegen Altersarmut

Der Traum von der Heizdecke

Vielen zukünftigen Rentnern droht die Altersarmut, deshalb handelt die Bundes­regierung: Ab 2011 soll eine Kommission gegen Altersarmut ihre Arbeit aufnehmen. Die Rentenexperten der Jungle World stellen schon jetzt einige Ideen vor.

Die Guido-Rente
Je weniger Geld Sie haben, desto mehr müssen Sie sparen! Dieses bestechende Konzept geht in seinen Grundzügen auf eine politische Gruppierung zurück, die in jüngster Zeit zu Unrecht der politischen Bedeutungslosigkeit anheim gefallen ist: die FDP. Die Partei »vertritt statt einem nachsorgend kompensatorischen einen präventiven Ansatz in der Altersvorsorge«. Erwerbstätige sollten schon »in jungen Jahren mit dem Aufbau einer kapitalgedeckten Altersvorsorge beginnen«. Dies gelte insbesondere »für Geringverdiener und Solo-Selbständige«. Sie fühlen sich angesprochen? Das sollten Sie auch. Schluss mit den Träumereien! Warten Sie nicht auf eine Anstellung mit Managergehalt, Weihnachtsgeld und Betriebsausflügen. Wir leben hier nicht im Sozialismus! Beginnen Sie mit der Vorsorge, und zwar sofort. Sparen, sparen, sparen, lautet die Devise. Da geht immer was, und schon mit 125 Jahren haben Sie ein hübsches Sümmchen zusammen, mit dem Sie eine schöne Zeit als Rentner verbringen können.
Sollten Sie der Meinung sein, Ihnen fehle das Kapital für die kapitalgedeckte Altersvorsorge, dann gehen Sie doch einfach arbeiten! Falls Sie schon arbeiten gehen und das Kapital fehlt trotzdem, gehen Sie noch mehr arbeiten! Zeitungen wollen ausgetragen, Kinder betreut, Büros geputzt und kleine Schreibtischtätigkeiten erledigt werden. Seien Sie kreativ! Verkaufen Sie kleine Bastelarbeiten oder Selbstgebackenes. Der Trend geht zum Dritt-, Viert- oder Fünftjob, der Tag hat schließlich 24 Stunden. Der Standort Deutschland braucht Leistungsträger, die das Land nach vorne bringen und später nichts zurück haben wollen. Reicht es im Alter nicht für das Likörchen im Ohrensessel, haben Sie zu wenig gearbeitet.
Und übrigens: Je mehr Sie arbeiten, desto kürzer fällt die Zeit zwischen dem Eintritt ins Rentenalter und der Pflegebedürftigkeit aus. Arbeiten Sie sich krumm, sparen Sie, dass es kracht, und der Traum von der Heizdecke geht in Erfüllung!
Regina Stötzel
Import/Export
Nicht nur, dass die Rentnerschwemme mit unerbittlicher Wucht durch Deutschland schwappt und deshalb in der Alterspyramide kein Stein mehr auf dem anderen bleibt – das Heer der Omas und Opas ist noch dazu eine Bettlerarmee. Andere Staaten haben das gegenteilige Problem, was das Alter angeht. Nehmen wir als Beispiel doch einfach Uganda: Dort liegt das Durchschnittsalter der Bevölkerung bei 15 Jahren. Rentnerschwemme hier, Teenie-Schwemme dort – es hat sich ein gefährliches globales Ungleichgewicht entwickelt, dem Deutschland wirkungsvoll entgegentreten könnte, noch dazu zu seinem eigenen Vorteil.
Das Prinzip der längst überfälligen, bilateralen Handelsverträge mit Uganda ist schnell umrissen: Alte raus, Junge rein (in Uganda: andersrum). Während deutsche Rentner, die sich bisher von der bedarfsorientierten Grundsicherung (d.h. dem deutschen Steuerzahler) haben aushalten lassen, für das letzte Abenteuer ihres Lebens nach Afrika verschifft und dann in geräumigen und klimatisierten Viehlastern auf dem Landweg nach Kampala verbracht werden (»Oldie-Safari«), betreten im Gegenzug junge Ugander ihre neue Heimat (Auffanglager Beelitz, Brandenburg).
Selbstverständlich gilt: Die Einwanderung wird bevorzugt den Menschen aus dem afrikanischen Land genehmigt, die dem Standort Deutschland nutzen, also Ingenieuren, Informatikern und Naturwissenschaftlern. Hat man die betreffenden sieben Ugander aufgenommen, sind keine besonderen Auswahlkriterien mehr nötig. Der Ugander braucht gewohnheitsmäßig nicht mehr zum Leben als ein altersarmer deutscher Rentner, kann sich jedoch derart nützlich machen (Spargelstechen in Beelitz etc.), dass für die deutsche Wirtschaft positive Impulse (Gewinne) entstehen.
Doch nicht nur der gesellschaftliche Nutzen des Bevölkerungstauschs ist beachtlich, auch die betroffenen deutschen Rentner profitieren. Die durchschnittliche ugandische Tagestemperatur von 25 bis 30 Grad Celsius tut den rheumatoid-arthritischen Knochen gut. Politisches Durcheinander, das Ruhe und Ordnung bedürftigen alten Menschen zusetzen könnte, entsteht dank des übersichtlichen Einparteiensystems nicht. Und die bescheidenen Verhältnisse sind für die Senioren nichts Neues, eine lange Zeit der Eingewöhnung steht nicht zu befürchten. Es gibt ein wirksames Rezept gegen Altersarmut: den deutsch-ugandischen Import/Export der Generationen.
Markus Ströhlein
Man muss nur wollen
Es ist doch, wenn wir mal ehrlich sind, so: Wer meint, immerzu empört mit dem Finger auf gebrechliche alte Menschen zeigen und ihnen vorwerfen zu müssen, sie seien arbeitsscheu und unproduktiv, (fast) totes Kapital gewissermaßen, hat ja Recht. Der alte Mensch ist ein Schmarotzer: Tagein, tagaus ist er mit dem Einfahren der Ernte (Rente) beschäftigt, aber mit dem Säen (Leistung) hat er schon längst aufgehört. Jeder Landwirt weiß, dass das so nicht geht.
Dabei wären die Möglichkeiten, auch alte Menschen, die sich oft völlig überstürzt und gedankenlos ins Rentnerdasein verabschieden, wieder in die Realität einzugliedern und ihnen Befriedigung durch Arbeit zu verschaffen, unerschöpflich: als Medikamentenprüfer beispielsweise. Alte Menschen schätzen Ruhe und Geborgenheit, haben gern das Gefühl, in einer Welt zu leben, die wie aus Watte gefertigt ist, und die Pharma-Konzerne freuen sich, wenn sie dem einen oder anderen süßen kleinen Kätzchen das Schicksal eines Versuchstiers ersparen können. Die moderne Sozialdemokratie nennt das eine »Win-Win-Situation«.
Doch auch eine Vielzahl anderer erfüllender Tätigkeiten ist denkbar, etwa in verwahrlosenden Grünanlagen: Müll auflesen, Herbstlaub beseitigen, Hunde erschießen. Wünschen sich denn nicht viele vereinsamte, dement vor sich hinbrütende Senioren sowohl einen Schrebergarten als auch soziale Kontakte? So kommen sie mal wieder unter Leute und raus an die frische Luft und die Straßen und Grünanlagen sind sauber (»Win-Win-Situation«!). Selbst schwer erkrankte Pensionäre oder solche im hohen Greisenalter, deren Bewegungsapparat stark beeinträchtigt ist, müssen nicht tatenlos zusehen und abseits stehen (wenn sie denn überhaupt noch stehen können). Auch im Sitzen oder Liegen auf Parkbänken können sie ihrem Dasein noch einen Sinn geben, etwa als Informanten der Polizei. Gelegentliches Lächeln und Winken verschafft ihnen Befriedigung und sorgt dafür, dass ihre Lebensgeister nicht erlahmen, während Graffiti-Sprayer, Crack-Dealer, Spaziergänger und andere Gammler und Tagediebe mit dem ständigen Gefühl leben müssen, dass ihr ruchloses Treiben von verrenteten Kripo-Beamten beobachtet oder gefilmt wird.
Friedrich der Große sagte: »Nichtstun ist halber Tod; das Leben äußert sich nur in der Tätigkeit.« Nehmen wir seine weisen Worte als Ansporn: Auch moribunde Alte müssen nicht nutzlos auf dem Totenbett herumliegen und Däumchen drehen, sondern können – entsprechend geschickt zurechtgemacht und platziert – als Fußgängerzonen-Attraktion (»Weihnachtsmann zum Anfassen«) oder pittoreske Schaufenster-Dekoration (Bestattungshäuser, Särge) Verwendung finden. Man muss nur wollen, dann hat die Altersarmut keine Chance.
Thomas Blum
Gerontodefizitäre Existenzbedingungen
Wer wird denn gleich von Armut sprechen, nur weil am Monatsende das Geld nicht mehr für die Vorratspackung Kukident Zahnweiß, die Komfort-Kompressionstrümpfe oder nur noch für dünne Haferschleimsuppe reicht? Mag’s in der Sanduhr des Lebens auch noch so umbarmherzig rieseln, mag die Sparbuch-Einlage auf einen Cent-Betrag zusammengeschrumpft sein – das Gläschen Doppelherz ist dennoch halbvoll! Optimismus ist gefragt!
Eine positive Lebenseinstellung beginnt schon mit der richtigen Wortwahl. Schließlich spräche doch auch niemand von einer Wirtschaftskrise oder Rezession, wenn wegen eines läppischen Null- oder Minuswachstums die Geschäfte etwas langsamer laufen als sonst und einige Wirtschaftskapitäne sich dazu entschließen, auf sozialverträgliche Weise Personal freizusetzen. Als beispielhaft dürfen auch die unzähligen schlecht bezahlten Putzfrauen und Putzmänner gelten: Seit man sie Raumpflegerinnen und -pfleger nennt, machen sich diese Menschen stets freudig lächelnd an die Arbeit.
Deutsche Seniorinnen und Senioren leiden also nicht unter Altersarmut, sondern vielmehr an Wortfindungsstörungen. Aufgabe der Politik ist es deshalb, ihnen das nötige Vokabular an die Hand zu geben: Wer im Alter nur suboptimal finanziell ausgestattet ist, könnte seine Lage in Zukunft mit einem passenden, aber dennoch nicht unnötig negativ klingenden, sozio-ökonomischen Begriff als »spätlebenszeitlichen Minuswohlstand« bezeichnen. Ein ebenfalls treffender Terminus technicus, mit dem man im Bekanntenkreis (Seniorentreff Hünxe o.ä.) noch dazu als besonders bewandert glänzen könnte: gerontodefizitäre Existenzumstände.
Und auch wer zu einer weniger wissenschaftlichen Wortwahl neigt und in der Schlange an der Suppenküche nicht auf Wärme und Herzlichkeit im Ausdruck verzichten möchte, muss in Zukunft nicht länger fälschlicherweise von Altersarmut sprechen. Deutsche Rentner sind nicht arm, sie üben sich in großmütterlicher und großväterlicher Bescheidenheit. Und Bescheidenheit ist eine Zier – auch im Alter.
Francis Klein