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Rein kulinarisch gesehen haben Redakteure keinen guten Ruf. Das Klischee lautet: Kaffee und Kippen. In unserer Redaktion schaffen es zumindest diejenigen, die sich mit großer Selbstdisziplin das Rauchen abgewöhnt haben, in der Mittagspause eine Tiefkühlpizza in den Ofen zu schieben. Meistens vergessen sie allerdings, sie herauszunehmen. Immerhin erinnern Rauchschwaden und der penetrante Geruch von verbranntem Käse ihre Kollegen daran, dass Essen zu den elementaren Grundbedürfnissen des Menschen gehört. Die meisten von uns haben sogar eine vage Vorstellung, welche Nahrungsmittel ernährungsphysiologisch sinnvoll sind, aber dieses Wissen wurde bisher vor allem für komplexe theoriegesättigte Diskussionen genutzt. Im Redaktionsalltag fiel bisher nur ein Redakteur aus dem Feuilleton als jemand auf, der auf seine Ernährung achtet. Er ernährt sich nach einem streng saisonalen Plan: von Mai bis Juli Bio-Erdbeeren, im August Bio-Kirschen, im Herbst Weintrauben, ab November Christstollen und von Weihnachten bis April Sacher- oder Rüblitorte. Mittlerweile ist das anders. Seit etwa drei Wochen versuchen wir uns gegenseitig mit unserem neuen Gesundheitsbewusstsein zu übertreffen. Der Auslöser für diesen Trend waren vermutlich weder unsere neu aufgehübschte Küche noch Artikel in Zeitungen, die mit Jonathan Safran Foer den Vegetarismus neu entdecken. Inspiriert hat uns ein Kollege, der aus der Elternzeit zurückgekehrt ist. Schon an seinem ersten Arbeitstag platzierte er einen dekorativen Obstteller auf seinem Schreibtisch und perfektionierte das Arrangement mit dekorativen Nüssen, Trockenfrüchten und duftendem Apfeltee. Seitdem versammeln sich ständig sämtliche Redaktionsmitglieder in seinem Büro, um offen über bisherige Defizite ihres Obst- und Gemüsekonsums zu sprechen und sich über Krankheiten zu informieren, die auf einen Vitaminmangel zurückgeführt werden können. Diese Sprechstunden haben durchaus eine therapeutische Wirkung. Immer häufiger bringen immer mehr Mitglieder der Redaktion Obst mit zur Arbeit, in den Räumen der Geschäftsführung wird einem zur Begrüßung mit Rhabarberschorle zugeprostet und im Feuilleton bastelt man hübsche Avocadoschiffchen. Für all das gibt es als Belohnung wohlwollende Blicke unseres zurückgekehrten Kollegen. Der hat uns allerdings neulich mit dem Bekenntnis schockiert, dass er mit seinem Sohn auch schon mal ein Gummibärchen gegessen hat.

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Am richtigen Schrein gedenken. Der Schrein, an dem unter anderem japanischer Kriegsverbrecher gedacht wird, heißt Yasukuni-Schrein. Jungle World 33, Seite 15