Der Streit um das muslimische Zentrum nahe Ground Zero

Religionskrieg in Lower Manhattan

Die Entstehung eines muslimischen Gemeindezentrums unweit von Ground Zero spaltet die USA. Kurz vor den Kongresswahlen Anfang November versuchen Demokraten und Republikaner, mit diesem Thema ihre Anhänger zu mobilisieren. Die populistische Debatte treibt bizarre Blüten.

Shaik Ali und Mo Abid leben seit über 20 Jahren in New York, sie gehen ihrer Arbeit nach und fühlten sich bis vor einigen Wochen auch in ihrem Glauben relativ unbehelligt. »Trotz des 11. September«, sagt Shaik Ali, »habe ich eigentlich keinerlei Anfeindungen erlebt.« Ali und Abid sind Muslime, die zum Freitagsgebet in das Haus am Park Place 51 kommen. Dieser Tage müssen sie sich den Fragen der zahlreichen Journalisten und Kamerateams stellen, die auf dem Gehweg vor dem Gebetshaus lauern, um einen Blick und vielleicht auch einen Kommentar zu erhaschen, der, je nach politischer Ausrichtung des jeweiligen Presseorgans, entweder zur Polarisierung oder zur Aufklärung im emotional aufgeladenen Konflikt um das muslimische Gemeindehaus in Lower Manhattan beiträgt.
Das Gebäude ist 150 Jahre alt und befindet sich rund 180 Meter von Ground Zero entfernt. Es soll nun abgerissen und durch ein 13stöckiges Haus aus Glas und Stahl für 100 Millionen US-Dollar ersetzt werden. Darin sollen unter anderem ein Hörsaal, ein Theater, ein Zentrum für darstellende Kunst, ein Denkmal für die Opfer von 9/11, ein Fitness-Center, ein öffentliches Schwimmbad, eine Kindertagesstätte und eine Kochschule untergebracht werden. Kernstück des Komplexes soll ein Gebetsraum für 1 000 bis 2 000 Gläubige werden.
Das Gebäude gehört seit 2009 der Immobilienfirma Soho Properties, die entschied, ein islamisches Kulturzentrum zu errichten, um den »Dialog zwischen den Muslimen und den zahlreichen anderen Religionen in der Stadt zu fördern«, aber auch, »um der Opfer von 9/11 zu gedenken«. So erklärte es zumindest der Imam der Moschee am Park Place, Feisal Abdul Rauf, in zahlreichen Stellungnahmen. Aber seine Bemühungen um Dialog zwischen den Religionen sind offenbar ins Gegenteil umgeschlagen. Der Bau des Gemeinde­zen­trums ist in den vergangenen Wochen zum Politikum geworden und spaltet inzwischen die Nation. Dem Time Magazine zufolge sind 61 Prozent der US-Amerikaner gegen die Errichtung des muslimischen Gemeindehauses. Am Sonntag gingen Gegner und Befürworter des Bauprojekts auf die Straße und demonstrierten gegen die Entstehung einer »Zitadelle des Islamismus« bzw. für »Toleranz und Religionsfreiheit«.

»Glauben Sie, dass dieser Streit entbrannt wäre, wenn es sich um ein christliches Gebetshaus handeln würde?« fragt eine junge Journalistin, die eigens aus Chicago eingeflogen ist, ihren Kollegen von Radio CBS, der sich an diesem Morgen um markige Zitate von Passanten bemüht. Die Antwort erhält sie prompt: »Es waren keine Christen, die die Flugzeuge in die Türme des World Trade Center geflogen haben. Und jetzt lass mich ein paar Stimmen einholen, denn ich muss zwei Radiobeiträge zum Thema produzieren.«
Steve Goldstein steht einem lateinamerikanischen Fernsehteam Rede und Antwort. Was er von der Stellungnahme Barack Obamas halte, der sich jüngst zuerst so vehement für das Recht auf freie Ausübung der diversen Religionen in den USA aussprach und bereits am nächsten Tag seine Aussage relativierte und zweifelte, ob es »klug« sei, ein muslimisches Gebetshaus an dieser Stelle zu errichten? Goldstein antwortet, seine Familie sei aus Nazi-Deutschland geflohen, und für ihn sei klar: »Die Menschen haben das Recht, ihren Glauben zu praktizieren, und ich bin vom Präsidenten enttäuscht. Er hätte viel deutlicher für die muslimische Gemeinde in diesem Land einstehen müssen.«
Der US-Präsident befindet sich derzeit in einer schwierigen Lage. 24 Prozent der US-amerikanischen Bürger glauben, dass Obama selbst Muslim sei, wie eine Umfrage des Time Magazine vergangene Woche ergab. Dieses Gerücht hält sich seit seinem Eintritt in den Wahlkampf um das Amt zum US-Präsidenten hartnäckig. Das hat zur Folge, dass sich der Präsident in jeder noch so unverdächtigen Situation vehement zum Christentum bekennt.
Hinzu kommt, dass »Islam zum Schimpfwort verkommen« sei, wie Dr. Munir Jiwa, Direktor des Zentrums für islamische Studien von der University of California in Berkeley, bemerkt. In den vergangenen Jahren hat er sich mehrfach zur »ansteckenden Islamophobie« in den USA geäußert.
Dass der Präsident seine Äußerungen über den Bau des Gemeindezentrums relativierte, hat jedoch wohl weniger mit Islamophobie zu tun. Seine Vorsicht hat eher pragmatische Gründe: Anfang November finden die Kongresswahlen statt, und Obamas Zauber ist sowohl bei den Wählern als auch in den Reihen der eigenen Partei verflogen. Ende August unterstützen ihn nur noch 25 Prozent der amerikanischen Wähler, 42 Prozent sind mit den Amtshandlungen des Präsidenten unzufrieden. Die Entstehungsgeschichte des Konfliktes um das Gemeindezen­trum lässt sich unter anderem mit den Ängsten der US-amerikanischen Christen erklären, die Vertreter diverser US-Medien für sich zu nutzen wissen.

Die bekannte Bloggerin Pamela Geller, die sich bereits vor einigen Jahren den Titel der »Anti-Muslima« erworben hat, startete im Internet eine Kampagne gegen das geplante islamische Zen­trum. Geller ist Mitbegründerin der Gruppen »Stoppt die Islamisierung Amerikas« und der »Initiative zur Verteidigung der Freiheit«. Die beiden politischen Initiativen plakatieren mittlerweile Busse mit Anzeigen wie »Bist Du Opfer einer Fatwa?« oder »Wollen Sie den Islam verlassen?«. Nachdem die Anzeigen in Detroit von einigen Stellen der Stadtverwaltung untersagt worden waren, klagte Geller und bekam Recht. Die Bloggerin erklärte unterdessen, dass ihre Anzeigen mitnichten antimuslimisch seien, sondern eine »Alternative für Suchende« darstellten. Auch in New York gewann Geller unlängst einen Prozess: Jetzt werden die Busse in New York City Plakate tragen, auf denen die brennenden Türme des World Trade Center und das geplante Gemeinschaftszentrum zu sehen sind. »Ein großartiger Sieg für die Meinungsfreiheit«, kommentierte Geller, die nichts gegen Muslime habe, wie sie in einem ihrer zahlreichen Interviews mit CNN oder auch der New York Times, erklärte: »Im Gegenteil, ich liebe Menschen. Aber ich unterstütze keine Ideologie, die Gewalt verherrlicht.«

Dem Islam »den Krieg erklären«, das will auch Dr. Terry Jones aus Florida. Für den 11. September plant er eine öffentliche Koran-Verbrennung. Dies sei eine »deutliche Botschaft an den Islam«, die US-amerikanische Verfassung zu respektieren. Dr. Jones hat eine Kirche gegründet, die er das »Friedenstauben-Welt-Center« nennt. Jones prophezeit das nahe Ende der Welt und ruft seine Schäflein zum aktiven Widerstand gegen die »Islamisierung Amerikas« auf.
»Sehen Sie, genauso wenig, wie ich daran glaube, dass Dr. Jones ein wahrer Vertreter des Christentums ist, so sehr sind uns die Attentäter des 11. September verhasst, denn sie repräsentieren nicht den Islam, den wir fördern möchten«, erklärt Dr. Munir Jiwa. In den USA habe sich eine Opposition gebildet, die mit Unterstützung der Medien »fragwürdige Ansichten« verbreite und die man sich »sehr genau ansehen« müsse.
Die Opposition hat auch prominente Vertreter.Jocelyne Cesari, Professorin am Zentrum für Studien des Nahen Ostens an der Universität Harvard, meint: »Es ist wichtig, dass die Bedenken der amerikanischen Öffentlichkeit ernst genommen werden, und das bedeutet, dass die Zeit für ein muslimisches Kulturzentrum in der Nähe von Ground Zero vielleicht einfach noch nicht gekommen ist.«
»Bei uns wäre diese Debatte undenkbar«, sagt eine kleine, magere Frau am Park Place 51. Sie ist eine Besucherin aus Belgien. Ihren Namen möchte sie nicht nennen, aber glücklich ist sie über das geplante muslimische Gemeindehaus nicht. »Es ist an der Zeit, dass sich der Westen zur Wehr setzt«, sagt sie.