Bayern München gegen den Maoismus in Westbengalen

Mir san mir, net Mao

Wie der FC Bayern München im indischen Westbengalen gemeinsam mit der Polizei bewaffnete Rebellen bekämpft.

Westbengalen ist ein Bundesstaat in Indien, hat etwa so viele Einwohner wie Deutschland, und Bhupinder Singh, der dortige Polizeichef, sagt solche Sätze: »Der beste Spieler darf zu Bayern München.«
Es geht um den besten Kicker bei einem Fußballturnier Mitte Juli im indischen Pashchim Medinipur. Ermittelt wurde er von einer Jury, die aus früheren indischen Nationalspielern bestand.
Was Bhupinder Singh kraft seines Amtes verspricht, ist ein zehntägiges Training beim deutschen Rekordmeister in Deutschland, genauer: im Europapark Rust, wo der FC Bayern ein Talentzentrum unterhält.
Was treibt den Polizeichef eines Bundesstaates dazu, Fußballturniere zu veranstalten, deren beste Kicker als Talente ins Ausland dürfen? Singh sagt’s so: »Wir haben beschlossen, Fußballspiele in Gegenden von West Midnapur, Bankura und Purulia zu veranstalten, weil diese von Maoisten dominiert werden. So wollen wir die einfachen Menschen von diesem extremen Einfluss befreien.«
Sein Kollege Manoj Verma, Chef der Polizei im westbengalischen Distrikt Pashchim Medinipur, steuert einen weiteren Grund bei: »Wir konnten die Menschen auch darüber informieren, wie man eine Stelle bei der Polizei bekommt.« Dies sei Teil der Anstrengungen, »unsere Beziehungen zur Öffentlichkeit zu verbessern«.
Verma und Singh sind beide mit ihrem Turnier, zu dem acht Teams antraten, sehr zufrieden. »Die Teilnahme und der Zuspruch waren gut. Viele männliche Jugendliche waren dabei«, sagt Manoj Verma. Und Mohan Das, der bei dem Turnier mitgemacht hat, sagte einer indischen Tageszeitung: »Wenn diese Art von Programm jedes Jahr stattfindet, wäre das gut.« Im Vorjahr hatte es so ein Turnier auch schon gegeben, und wegen des Erfolgs wurde das Preisgeld erhöht sowie das Angebot eines zehntägigen Trainings bei Bayern München ausgelobt.
Die Zufriedenheit der indischen Polizei liegt auch daran, dass sie ihr gesellschaftspolitisches Anliegen nicht nur mit Fußball, sondern auch mit Futter unterfüttern konnte. »Nach den Spielen erhalten alle Teilnehmer eine Mahlzeit«, erklärt Singh, denn: »Letztlich ist das Essen einer der Gründe, warum sich die jungen Leute den Maoisten zuwenden.« Bei der indischen Polizei ist zu erfahren, dass ein arbeitsloser Jugendlicher, wenn er sich der maoistischen People’s Liberation Guerilla Army (PLGA) anschließt, 3 000 Rupien erhält. Mit dieser Offerte dürfte das einmal jährlich nach dem Fußballturnier der Polizei ausgehändigte warme Essen kaum mithalten können. Zumal die Austragung der Spiele, wie schon in den Vorjahren, stets gefährdet ist. »Das Turnier sollte schon früher abgehalten werden«, räumt Singh ein, »aber wir konnten es nicht organisieren wegen der wachsenden maoistischen Gefahr in der letzten Zeit.« Obendrein hätten gerade in jüngster Zeit die Maoisten verstärkte Anstrengungen unternommen, junge Männer zu rekrutieren.
Mit Fußball gegen Maoismus! Auf diese Idee ist die westbengalische Polizei richtig stolz. »Leave Maoism, learn Football«, fasst die Tageszeitung Hindustan Times das Projekt treffend zusammen. Was aber hat Bayern München mit der Rebellenbekämpfung in Indien zu tun? Nicht viel, wenn man davon absieht, dass es dem Club in den siebziger Jahren gelang, einen jungen Mann namens Paul Breitner mit Hilfe des Fußballs vom Maoismus loszueisen. Doch seit zwei Jahren ist der Verein in Indien, speziell in Westbengalen, engagiert und arbeitet auch eng mit der dortigen Polizei zusammen. Damals ging der Club in das, was er »Asien-Offensive« nannte. Das Abschiedsspiel von Oliver Kahn 2008 fand im ausverkauften, 120 000 Menschen fassenden Salt-Lake-Stadion von Kalkutta, der Hauptstadt von Westbengalen, statt. 2009 stellte die westbengalische Regierung 17 Morgen Land für Fußballfelder in der Stadt Burdwan zur Verfügung, und Bayern München versprach, technische Unterstützung zu leisten. Außerdem wurde vereinbart, dass sechs indische Talente zu einem Trainingslager nach Rust kommen dürfen.
Vor einigen Monaten wandten sich die indischen Polizeiveranstalter erneut mit der Frage an den FC Bayern, ob nicht noch drei weitere Spieler – die besten ihres Anti-Mao-Turniers – kommen könnten. Bayern sagte nur zum Teil zu: Zwar wolle man den gigantischen indischen Markt erobern, aber für sechs plus drei Spieler, dazu noch Begleiter, reiche der Platz im vereinseigenen VW-Bus einfach nicht, mit dem die Inder durch Süddeutschland geschaukelt werden. Martin Hägele, früherer Sportjournalist und beim FC Bayern für die Asien-Kontakte zuständig, entschied, dass nur ein Talent zusätzlich kommen darf – und das ist der Gewinner des jüngsten Turniers.
J.S. Mukul, Indiens Generalkonsul in München, schwärmt von einer »neuen Dimension in den bayerisch-indischen Beziehungen«, die über die Bayern-Bengal-Connection erreicht wird. Aber warum setzen die indischen Sicherheitskräfte ausgerechnet auf Fußball? Und ausgerechnet auf den FC Bayern?
Fußball ist in Westbengalen beliebt, zumindest deutlich beliebter als in anderen Teilen Indiens. Die üblicherweise mit Indien assoziierten Sportarten wie Cricket oder Hockey werden ohnehin eher von der Mittel- und Oberschicht betrieben. »Der Stellenwert des Fußballs in Indien wird in Europa sehr stark unterschätzt«, sagt der in Deutschland lebende Sportjournalist Chris Punnakkattu Daniel in einem Interview mit dem Magazin Footage. »Fußball ist der Sport der Unter- und Mittelschicht Indiens, also der großen Masse.«
Der FC Bayern und der indischen Polizei treffen sich also Vertreter unterschiedlicher Interessen, die eine Gemeinsamkeit entdeckt haben: Auch der indische Staat will die Herzen der Jugend erobern, gerade die der sogenannten Unterschichten, um deren politische Radikalisierung zu verhindern.
Und der FC Bayern München, der einen Jahresumsatz von knapp unter 300 Millionen Euro erwirtschaftet, hat bei seinen Eroberungsplänen eher die Geldbeutel dieser Jugend im Visier: Merchandising-Artikel sollen verkauft und mit Fernsehrechten soll gehandelt werden. Sollte es darüber hinaus tatsächlich gelingen, bei dem Kicker-Casting ein indisches Fußballtalent zu entdecken, wäre Bayern doppelt froh: Zum einen hätte man einen besonders wirkungsvollen Werbeträger für den indischen Markt gefunden, zum anderen ließen sich die entstandenen Kosten auf dem Transfermarkt, wenn der Spieler an einen anderen Club verkauft würde, wieder hereinholen.
Auf den asiatischen Markt schielen derzeit beinahe alle Big Player im internationalen Fußball. Während sich Clubs wie Manchester United oder Real Madrid bereits in Japan und China Wettbewerbsvorteile gesichert haben, hat sich Bayern München Indien als Zukunftsmarkt ausgeguckt. »Wir wollen im Ausland Flagge zeigen«, hatte Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge vor zwei Jahren erklärt, als die Indien-Offensive anrollte. »Der asiatische Markt ist sehr wichtig, wenn nicht sogar der wichtigste der Welt.« Die Kontakte nach Indien hat Martin Hägele vermittelt, ein im Jahr 2005 eigens für das Asiengeschäft zum FC Bayern geholter Sportjournalist mit exzellenten Kontakten nach Indien und Japan. »Wir müssen die Marke FC Bayern international bekannt machen«, umschreibt Hägele seinen Job. »Wenn wir ›international‹ sagen, dann meinen wir zu 90 Prozent Asien.« Der Berliner Tagesspiegel titelte gar vom »FC Asien München«.
Was aber machen die anderen Akteure im Kampf um die Herzen der jungen Inder, die Maoisten? Indiens Premierminister Manmohan Singh hat erklärt, diese seien die größte Bedrohung der Sicherheit des Staats. Nach Angaben von Distriktpolizeichef Verma erlitten sie in den vergangenen Jahren schwere Rückschläge. »Wir haben 21 Rebellen im Gefecht getötet«, sagt er. »180 Mitglieder des Volkskomitees wurden verhaftet, 50 der Verhafteten hatten eine militärische Ausbildung bei den Maoisten erhalten.« Wegen dieser Rückschläge, so Verma, würden die Maoisten jetzt nach neuen Wegen suchen, an junge Menschen zu kommen.
Die indische Zeitung The Telegraph berichtet, dass die Rebellen selbst Fußballturniere veranstalten, um sportliche Jugendliche zu rekrutieren. Dort zitierte indische Geheimdienste sagen: »Die testen dort die Ausdauerfähigkeiten: Wie ein Jugendlicher laufen kann, während er Fußball spielt, zeigt seine Stärke und Energie. Das sind die Prioritäten, denn das wird benötigt, wenn die Maoisten meilenweit durch Wälder marschieren.« Auch für junge Frauen würden Fußballturniere veranstaltet, wenngleich noch keine Frauen von der PLGA rekrutiert würden. Die Förderung auch des Frauenfußballs unterscheidet die Maoisten von der indischen Polizei, die sich nur an junge Männer wendet.
Dafür jedoch sprechen die Polizeioffiziere offen über ihr strategisches Kalkül, während das sogenannte Volkskomitee sich eher in Verschleierung übt. Sein Sprecher Asit Mahato sagt: »Die Menschen in den Dörfern lieben den Fußball. Früher wurden regelmäßig Turniere aus­getragen.« Wegen der dauernden Armeeangriffe lebten die Menschen jedoch in Angst. »Wir organisieren diese Spiele, um die Menschen aufzuheitern«, sagt Mahato, und man darf bezweifeln, dass die wahren Ziele der Guerilla damit angemessen umschrieben sind.
Allerdings klingt das beim FC Bayern alles sehr ähnlich. »Wir wollen Partnerschaften zum Wohle der jeweiligen Länder aufbauen«, sagt Karl-Heinz Rummenigge.