Nazi-Angriffsserie in Sachsen

Dresden auf großer Flamme

Nazis außer Rand und Band: Innerhalb weniger Tage gab es in Dresden Brandanschläge auf linke Wohnprojekte und den Neuen Jüdischen Friedhof. Die Taten reihen sich in eine Serie von Angriffen ein.

Vier Tage nach dem Feuer in der Columbusstraße in Dresden-Löbtau sind die Aufräumarbeiten in vollem Gange. In dem ausgebrannten Zimmer im Erdgeschoss des Wohnprojektes »Die Praxis« wird der verkohlte Putz abgeschlagen. »Es ist erfreulich, dass so viele Menschen vorbeigekommen sind, um zu helfen«, sagt Ricky, ein Bewohner des Hauses. »Der Brandanschlag war ein schwerer Schock. Er zeigt aber auch, dass man noch offensiver gegen Nazis vorgehen muss.«
Wenige Stunden nach Rickys Gespräch mit der Jungle World fliegt wieder ein Brandsatz in ein Haus in Dresden. Diesmal ist die »RM 16« Ziel des Anschlags. Ein Molotow-Cocktail landet in einem Zimmer, in dem zu diesem Zeitpunkt eine Person schläft. Da die Flasche nicht zerbricht, breitet sich das Feuer nur langsam aus und kann gelöscht werden. Wie bereits einige Tage zuvor in der »Praxis« ist es nur dem Zufall zu verdanken, dass keine Menschen zu Schaden kommen.

Friedemann Bringt vom Kulturbüro Sachsen spricht ganz offen von Mordanschlägen. Er ist besorgt über »die neue Qualität der kriminellen Energie von Neonazi-Gewalt in Sachsen«. Dem schließt sich Andrea Hübler von der Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt der RAA Sachsen an. Sie beobachtet in jüngster Zeit eine deutliche Zunahme der Brutalität. »Die Hemmschwelle ist gesunken. Es wird schneller und härter zugeschlagen und getreten. Der Tod der Opfer wird dabei einfach in Kauf genommen«, sagt sie der Jungle World.
In den ersten sechs Monaten dieses Jahres hat nicht nur die Brutalität, sondern vor allem die Anzahl der Überfälle drastisch zugenommen. So ist die Attacke auf die »RM 16« der zehnte Brandanschlag von Nazis in diesem Jahr in Sachsen. Von Angriffen sind hauptsächlich linke oder nicht rechtsextreme Jugendliche betroffen. Dies sei darin begründet, dass Nazis vor allem im ländlichen Raum keine Menschen mit Migrationshintergrund vorfänden, sagt Hübler. Ihrer Auskunft nach ereignen sich in Sachsen jede Woche Attacken auf nicht rechtsextreme Jugendliche.
Linke Projekte sind seit Jahren bevorzugte Angriffsziele. 2008 gab es schwere Brandanschläge auf Häuser in Leipzig und Chemnitz. Im vergan­genen Jahr kam es immer wieder zu Angriffen auf alternative Projekte in Mügeln und Limbach-Oberfrohna (Jungle World 4/2010). Eine Bewohnerin der »RM 16« ist der Ansicht, dass sich Polizei und Staatsanwaltschaft nur in geringem Maß für die Ängste der Menschen in den Wohnprojekten interessierten. Seit März waren immer wieder Aufkleber mit einer Abbildung der Fassade des Hauses und der Aufschrift »Robert-Matzke-Straße 16 angreifen!« entdeckt worden. Das Verfahren gegen die Person, die im Sinne des Presserechts für die Aufkleber verantwortlich war, wurde von der Staatsanwaltschaft nach vier Monaten eingestellt. In sechs weiteren Fällen von Angriffen auf die »RM 16« in den zurückliegenden zwei Jahren wurde bisher gegen keinen Tatverdächtigen ein Prozess eröffnet. Ricky aus dem Wohnprojekt »Die Praxis« berichtet, dass die Polizei die Bewohner nach dem Brandanschlag in der vorletzten Woche wie Kriminelle behandelt habe. Eine ihrer ersten Amtshandlungen nach der Evakuierung des Hauses habe darin bestanden, den Bewohnern damit zu drohen, die Bauaufsicht vorbeizuschicken.
Ähnliches berichtet auch Olaf vom Projekt Reitbahnstraße in Chemnitz. Nachdem etwa 35 vermummte Nazis und Hooligans Mitte August eine Party überfallen hatten, zeigte sich die Polizei nach seiner Aussage nicht interessiert an den Hinweisen der Angegriffenen zum Fluchtweg der Täter. Der Chemnitzer Polizeisprecher Frank Fischer sieht bisher »keine Hinweise auf einen rechtsgerichteten Hintergrund für diese Straftat«. Auf Nachfrage der Jungle World, aus welchen Motiven Angriffe auf das Haus in der Reitbahnstraße in der Vergangenheit verübt worden seien, antwortete die Polizeidirektion Chemnitz-Erzgebirge: »Motive für die Handlungen lagen z.B. im privaten Bereich der Beteiligten (Streit um Frauen), aber auch im Konfliktfeld Rechts/Links.«
Nach Beobachtungen von Andrea Hübler von der Opferberatung der RAA Sachsen reagiert die Polizei nach Angriffen auf linke Projekte nicht immer mit der notwendigen Bestimmtheit. In Zusammenhang mit den Angriffen auf die »RM 16« erzählt sie von »schleppenden Ermittlungen, eingestellten Verfahren, jahrelangen Verfahrensdauern«. Im Prozess gegen drei Nazis, die verdächtigt wurden, im Februar 2007 an einem organisierten Überfall auf Besucher des Café Courage in Döbeln beteiligt gewesen zu sein, gab es vor we­nigen Tagen einen Freispruch, eine Einstellung des Verfahrens und eine achtmonatige Bewährungsstrafe. Die Angeklagten verließen lachend den Gerichtssaal.

Anteilnahme von Seiten offizieller städtischer Vertreter gab es bei keinem der Anschläge auf die Hausprojekte – und das, obwohl die Polizei von einem politisch motivierten Angriff ausgeht und die Sonderkommission Rechtsextremismus die Ermittlungen aufgenommen hat. Lediglich einzelne Politiker von SPD, Grünen und Linkspartei zeigten sich solidarisch.
Neben der Art der Gewalt sowie den Reaktionen von Polizei und politischen Funktionsträgern erinnerte auch die Berichterstattung der Lokalmedien an die neunziger Jahre. Der Brandanschlag auf »Die Praxis« in Dresden wurde in der Sächsischen Zeitung als Racheakt der rechtsextremen Szene an Linken gedeutet, die mehrere Nazis zusammengeschlagen haben sollen. Als zwei Tage später eine Gruppe von 30 teils vermummten Nazis eine Feier von 15 linken Jugendlichen in Meerane überfiel, titelte die Zeitung verharmlosend: »Verletzte bei Schlägerei zwischen Linken und Rechten«.
Seit dem vergangenen Wochenende ist die Ignoranz jedoch einer gewissen Aufregung gewichen. Nach einem Brandanschlag auf den Neuen Jüdischen Friedhof am Sonntag berichteten auch überregionale Medien über die Anschlagsserie in Dresden. Mittlerweile hat sich auch Helma Orosz (CDU), die Dresdener Oberbürgermeisterin, zu Wort gemeldet. Angesichts der Taten sprach sie von einer »beunruhigenden Entwicklung«. Alle »demokratischen Kräfte« seien aufgerufen, dieser entgegenzutreten - »sollte sich der Verdacht bestätigen, dass hier rechtsradikale Gruppen oder Einzeltäter am Werk waren«.