Ausflug ins Umland

Berlin Beatet Bestes. Folge 62. Dan Marshall: Born Loser (1969).

In der vorigen Woche habe ich mit einem Freund einen kleinen Schallplattensuchtrip gemacht, und zwar ins Berliner Umland. Ein befreundeter Vinyl-Sammler hatte uns den Tipp gegeben, ins gutbürgerliche Lichterfelde zu fahren, wo er seine Oma immer besucht. Da gäbe es ein Jugendzentrum, das Platten und ­Bücher verkauft. Geöffnet habe es nur einmal in der Woche. Eigentlich kaufe ich fast alle meine Platten direkt in den Trödel- und Plattenläden meiner Nachbarschaft in Kreuzberg. Eher fahre ich in eine andere Stadt, als dass ich einen anderen Berliner Bezirk besuche.
Nach der Arbeit fuhren wir dann also tatsächlich gemeinsam los. Raus aus Kreuzberg. In den Süden der Stadt. Vorbei an Steglitz. Schnell wurde es immer ruhiger und grüner. Hübsche kleine Häuschen reihten sich aneinander, und weit und breit waren keine Freaks und Migranten mehr zu sehen. In diesem Teil Berlins wohnen nur Leute, die auch da geboren sind: Berliner. Die Echten.
In den 13 Jahren, in denen ich jetzt schon in dieser Stadt wohne, war ich noch nie in Lichterfelde. Irgendwann fanden wir das Jugendzentrum, ­versteckt inmitten einer reinen Wohngegend. Sogar ein paar Jugendliche standen draußen rum, allerdings sahen die nicht so aus wie die, die ich in Kreuzberg immer sehe. Diese hier waren echt entspannt. Hier, wo Hund und Katze sich gute Nacht sagen, sollte es also interessante Platten geben? Während wir noch darüber beratschlagten, was wir unserem Freund zu seinem »tollen Tipp« sagen würden, betraten wir den kleinen Flachbau. Zu unserer großen Überraschung war er tatsächlich vollgestopft mit Tausenden von Büchern und Schallplatten. Und kein anderer Sammler weit und breit. Die folgenden Stunden verbrachten wir damit, jede einzelne Kiste zu durchsuchen.
Wir häuften beide jeweils einen Stapel Rock’n’Roll, Beat und »Kenn ich nicht, könnte aber interessant sein«-Singles an. Bis mir dann die Hülle mit dem mit Bleistift hingekritzelten Schriftzug »Born Loser« ins Auge fiel. Die Schrift weint, und eine Gitarre hängt schlaff über einem Stuhl. Großartig! In seiner primi­tiven Schlichtheit ist das Cover perfekt. Ein kleiner Text auf der Rückseite informiert darüber, dass der Sänger Dan Marshall im Hauptberuf Feuerwehrmann ist. Wie zum Teufel kam diese krude Privatpressung aus den siebziger Jahren von Amlin/Ohio nach Berlin-Lichterfelde?
Egal, was für Musik darauf zu hören sein würde, diese seltsame Platte musste sofort auf meinen Stapel. Als der Laden schloss, verließen wir Lichterfelde glücklich und mit schmutzigen Fingern. Zuhause googelte ich die Platte, auf der zwei sanfte Country-Folksongs zu hören sind, die an den Gesang von Roy Orbison erinnern, fand aber nichts. Den Fire Chief Dan Marshall allerdings schon. Er ist seit 30 Jahren Feuerwehrhauptmann in Oregon. Mittlerweile weißhaarig, aber offensichtlich gut gelaunt, ist es derselbe Mann, der auf der Rückseite des Covers abgebildet ist. Nur lächelt er diesmal. Er ist mit Sicherheit kein »Born Loser«.