Urbane Landwirtschaft, Dachgärten und »Guerrilla Gardening«

Grüne Guerilla in der Metropole

Der Ackerboden wird knapp und begehrt, die Nahrungsmittelpreise steigen. In Projekten und Forschungsgruppen wird erkundet, wie Nahrungsmittel auch in den Städten und ihrer Umgebung produziert werden können.

»Die Preiserhöhungen sind irreversibel«, sagte Alberto Nkutumula, Sprecher der mozambikanischen Regierung. Mindestens sieben Menschen wurden in der vergangenen Woche bei Protesten gegen die Erhöhung des Brotpreises um 30 Prozent getötet. Auch in Ägypten gab es bereits Brotrevolten. Weitere Aufstände sind zu erwarten, wie in den Jahren 2007 und 2008, als sich nacheinander die Weltmarktpreise von Reis, Mais und Weizen innerhalb jeweils rund eines halben Jahres verdoppelten bzw. verdreifachten.
Der Preis für Weizen stieg in den vergangenen Wochen zwei Monaten an den internationalen Börsen von 130 auf 230 Euro - der stärkste Preisanstieg seit vierzig Jahren. Wetter- und katastrophenbedingte Ernteausfälle scheinen die Hungerkrise verursacht zu haben. So wird Russland vorerst keinen Weizen mehr exportieren, weil viele Nutzflächen von Bränden zerstört wurden. Im vergangenen Jahr fiel die Ernte gut aus, es gab keine spektakulären Proteste.
Einfluss auf die Weltmarktpreise haben aber auch andere Faktoren. Auf den Agrarmärkten wird, wie an anderen Börsen auch, mit Erfolg auf steigende Preise gewettet. Nach der Finanzkrise wurde viel Investitionskapital in diesem Bereich angelegt. Das ZDF-Magazin Frontal 21 wies Ende August darauf hin, dass im Jahr 2008 das Anlagevolumen bei Weizen 25 Mal so hoch wie 2003 gewesen sei. Das WFP zählte 2009 trotz der guten Ernten weltweit 100 Millionen Hungernde mehr, ein höherer Zuwachs als jemals zuvor, und spricht von einer »Ernährungsdauerkrise«.
Negativ wirkt sich auch die weltweite Jagd nach Agrarland aus, das vor allem wegen des Klimawandels und des Bevölkerungswachstums knapper wird und deshalb gute Renditen verspricht. »Weltweit« heißt in diesem Fall endlich einmal auch in Deutschland. Vor allem im Nordosten der Republik werden die Investitionsfonds nämlich fündig und steigern durch ihre Nachfrage die Bodenpreise um ein Vielfaches, was schon Landesministerien intervenieren ließ.
Es ist daher nicht zu weit hergeholt, wenn die Berliner Soziologin Elisabeth Meyer-Renschhausen sagt: »Wir müssen vom Problem des landgrabbing in Afrika aus auf unsere Konflikte um städtische Grünflächen schauen.« Vor allem in Afrika kaufen derzeit private und staatliche Konzerne Anbauflächen. Interessiert sind vor allem arabische und asiatische Länder, die zwar relativ reich, aber – wie auch Europa – von Nahrungsmittelimporten abhängig sind. Ihnen erscheint die »Offshore Food Production« als attraktive Alternative. Bevor diese aber anlaufen kann, muss das landgrabbing erfolgen.
Gegen diesen Trend wenden sich kleinbäuer­liche Netzwerke und international arbeitende Hilfsorganisationen. Auch in den Metropolen wird man sich langsam des Problems bewusst. Meyer-Renschhausen forscht seit den neunziger Jahren zu gemeinnützigen urbanen Gartenprojekten und gab diesen Sommer Seminare an den Universitäten Oldenburg und Hannover. Sie spricht, zumindest für Deutschland, von einer »neuen Subsistenz-Bewegung« und freut sich: »Die Bodenfrage ist zurück.«

Solche Bewegungen gibt es in vielen Städten der Welt, ihre Entstehung hat verschiedene Ursachen. In einigen Fällen reagieren sie auf Krisen, anderswo führen sie Traditionen fort. Einen ersten Überblick verschafften sich in den letzten beiden Semestern Studierende vom Institut für Stadt- und Regionalplanung an der Technischen Universität Berlin in dem Forschungsprojekt »Urbane Landwirtschaft als Beitrag zur nachhaltigen Stadtentwicklung« (die Forschungsergebnisse finden sich demnächst unter www.urbane-landwirtschaft.net). Die Abschlusspublikation des Projekts mit Fokus auf Berlin und den USA liegt in drei Bänden vor: ein Konzept namens »Regionalisierung im Obst- und Gemüsebau für Berlin-Brandenburg«, eine Studie zum Potenzial von Dachgärten in Berlin und ein Handbuch mit einem Überblick über die verschiedenen Formen von städtischen Gärten.
Vorgestellt werden im Handbuch die Konzepte »Guerilla Gardening«, die meist heimlich vorgenommene gärtnerische Verschönerung öffentlichen Raumes, mobiler Garten, Dach-, Schul- und Gemeinschaftsgarten, Stadtfarm und Community Supported Agriculture. Potentielle Stadtgärtner finden hier nicht nur die Angaben zu Arbeitsaufwand, Finanzbedarf, Ertrag, Bildungswert und sozialem Nutzen bei den einzelnen Typen. Es gibt auch einen Test: »Welche Form der urbanen Landwirtschaft passt zu Ihnen?« Das Werk ermuntert dazu, selbst aktiv zu werden und informiert über »Recht und Fördermöglichkeiten«.
Im Handbuch wird festgehalten, dass in den Industrieländern der Subsistenzaspekt von städtischen Gartenprojekten meist nicht im Vordergrund stehe. Wichtiger seien Integration, Bildung, Ökologie und Steigerung der Lebensqualität. Auf diese Feststellung reagiert Meyer-Renschhausen etwas gereizt: »Hier muss immer ›Sozialpolitik‹ und ›Integration‹ gesagt werden, damit so etwas durchgeht.« In den USA sei das anders: Da es dort weder sozialen Wohnungsbau noch Miethöhenbegrenzungen oder Flächennutzungspläne gebe und die Sozialhilfe nicht länger als fünf Jahre gezahlt werde, sei Subsistenzwirtschaft für viele unerlässlich, berichtet die Soziologin, die 2004 ein Buch zu den New Yorker Stadtgärten veröffentlichte.
Das kann Susanne Thomaier bestätigen. Sie leitete das TU-Forschungsprojekt und musste auf der dazugehörigen Exkursion sogar feststellen, dass es in armen Gegenden New Yorks nicht genug Supermärkte gibt. Dementsprechend verbreitet seien Gärten: »Es ist Wahnsinn, was da läuft. Da tut sich einiges.« Da diese Entwicklung bereits vor Jahrzehnten begann, gibt es mittlerweile sogar Hilfen von öffentlichen Institutionen. Das Programm »Green Thumb« etwa betreut über 600 Gärten auf kommunalen Flächen. Derartige Gartenprojekte werden im Handbuch vorgestellt.
Auch »Visionen« haben Eingang in das Werk gefunden. Im gleichnamigen Kapitel wird gezeigt, welche neueren Konzepte es vor allem in den USA für die urbane Lebensmittelproduktion gibt. In der Stadt Philadelphia existiert das Konzept »Farmadelphia«, das einen Wettbewerb zur Gestaltung der zahlreichen Brachflächen der Stadt gewann und eine dezentrale Nutzung für Anbau oder Erholung vorsieht. Neuartige Projekte erbrachte auch der diesjährige, von der New Yorker transdisziplinären Gruppe für ökologische Stadtentwicklung Terreform ONE organisierte Wettbewerb um den One Prize, dessen Sieger Ende Juli gekürt wurden. 200 Teams aus fünf Kontinenten nahmen teil, die Entwürfe der 30 Halbfinalisten können auf der Wettbewerbs-Homepage begutachtet werden. Neben stadtplanerischen Konzepten finden sich auch Pläne für Gebäude, die Nutzpflanzen in Architektur und Wasserkreislauf einbeziehen.

Eine bereits weltweit bekannte Idee stammt vom Ökologen Dickson Despommier von der ebenfalls in New York gelegenen Columbia-Universität. Er erwartete schon vor zehn Jahren, dass das Verhältnis von weltweiter Bevölkerungsentwicklung und Agrarflächen sich verschlechtern werde, und entwickelte deshalb die Idee des Vertical Farming: Demnach sollen Hochhäuser eigens zum Anbau von Obst und Gemüse errichtet werden. Zwar ist dem TU-Projektbericht zufolge bisher noch kein solches Gewächshochhaus gebaut worden, doch die von Despommiers Forschungsgruppe für New York konzipierte 48stöckige Farm soll 50 000 Menschen ernähren können. Die Millioneninvestition würde sich dem Konzept zufolge nach 15 Jahren amortisieren und danach sogar hohe Gewinne bringen.
Vor allem zwei Besonderheiten zeichnen die Idee aus. Das Modell soll zu jeder Jahreszeit und überall auf der Welt funktionieren. Überdies sollen die Pflanzen in einem anorganischen Sub­strat statt in Erde wurzeln. »Hydroponics« (Wasserkultur) ist ein Kreislaufmodell, bei dem die Wurzeln entweder gar nicht fixiert werden und frei in einer nährstoffhaltigen Lösung schwimmen oder in einem anorganischen Substrat wie Kies oder Mineralwolle wachsen, das den Fluss der Lösung ermöglicht.
Über dieses Konzept sollte auch in Berlin diskutiert werden, wie die erwähnten beiden Teilstudien des TU-Projektes zeigen. Die Studie zu den Möglichkeiten von Dachgärten kommt zu einem skeptischen Fazit, was die Ernährung der ganzen Stadt betrifft. Wegen der hohen Pachtkosten für Dachflächen rentierten sich dort Gartenbaubetriebe mit Gewächshäusern nicht.
Auch die Studie zur »Regionalisierung im Obst- und Gemüsebau für Berlin-Brandenburg« zeigt ein grundsätzliches Problem auf. Sie ergab, dass wegen der dortigen »Verzehrsgewohnheiten« der Bedarf an Obst und Gemüse noch nicht regional gedeckt werden kann. »Auch eine Ergänzung der erzeugten Mengen im Obst- und Gemüsebau durch urbane Landwirtschaft auf Dächern ist nicht als gesamtstädtische Lösung für die Versorgung einer Großstadt zu sehen. Eine regionale Lebensmittelwirtschaft sollte nicht als Subsistenz­wirtschaft begriffen werden, und um ihre Qualität zu bewerten, darf man nicht nur auf ihre essbaren Früchte, die landwirtschaftlichen Erzeugnisse schauen.« Auch »Kooperationsbereitschaft« und »Umweltbewusstsein« seien Früchte regionaler Lebensmittelproduktion.

Vertikaler Anbau kann auch im Kleinen praktiziert werden. Nicht nur das experimentierfreudige, längst auch überregional bekannt gewordene Projekt »Prinzessinnengärten« am Moritzplatz in Berlin-Kreuzberg führt das mit der Aufzucht von Kartoffeln in Säcken vor. Das Internet-Netzwerk Windowfarms zeigt sogar, dass der Anbau auch in den eigenen vier Wänden möglich ist. Nach dem Motto »Research and develop it yourself« (selbst forschen und entwickeln) werden dort verschiedene hängende, fensterschmuckartige Konstruktionen präsentiert, in denen Gemüse gezüchtet werden kann. Auch hierbei wird das Kreislaufsystem des Wasserkultur-Modells angewandt, Dreck fällt angeblich nicht an.
Solche Tüfteleien können den globalen Landkauf der Kapitalanleger zwar nicht verhindern. Doch bedarf es für die Lösung der Ernährungskrise neben Landreformen auch neuer Ideen.