Westerwelle wirbt für die Anerkennung der Republik Kosovo

Landkarte fertig, Buch zu

Auch der Internationale Gerichtshof hat die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo ganz nach deutschen Vorstellungen für rechtens erklärt. Doch renitente Anerkennungsverweigerer versagen dem Kosovo weiterhin die Unterstützung. Das ärgert den deutschen Außenminister.

»Das eigentliche Problem stellt sich als die Auswirkung des Geburtsfehlers des jugoslawischen Staates dar«, schrieb Franz Ronneberger, der ehemalige leitende Funktionär der nationalsozialistischen »Südostforschung« und spätere Professor für Kommunikationswissenschaften an der Universität Erlangen-Nürnberg, im Oktober 1990 in sein Tagebuch. Trotz aller »internationaler Propaganda« scheine sich das »staatliche Zusammenleben von so unterschiedlichen Völkern und Regionen nicht organisieren zu lassen«.
Anlässlich seiner kürzlich absolvierten Dienstreise durch das ehemalige Jugoslawien äußerte Bundesaußenminister Guido Westerwelle ähnliche Ansichten – zumindest lässt sich Westerwelles staatsmännischer und antikommunistischer Jargon durchaus so interpretieren. »Das 20. Jahrhundert hat viele Experimente gesehen, in denen Regierungen versucht haben, aus ihren Staatsbürgern den neuen Menschen zu formen. Alle diese Experimente … scheiterten«, sagte Westerwelle vor dem kosovarischen Parlament in Pristina.

Ronneberger hatte Ende 1941 in einem Gutachten für das Auswärtige Amt eine »Neuordnung Südosteuropas« gefordert und bei dieser Gelegenheit sowohl »einordnungsbereite« wie »der deutschen Führung widerstrebende Völker« identifiziert. Zu ersteren zählte Ronneberger unter anderem Kroaten, Slowaken, Bulgaren und Rumänen, zu letzteren insbesondere die Serben – handele es sich bei ihnen doch um »unbefriedbare Umsturzelemente«.
Außenminister Westerwelle erklärte in der eingangs erwähnten Rede die 1990 begonnene Neuordnung Jugoslawiens für beendet: »Mit der Unabhängigkeit Kosovos ist das Kapitel von Grenzziehungen und Abspaltungen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien abgeschlossen. Die Landkarte des westlichen Balkan ist fertig gezeichnet. Die Unabhängigkeit Kosovos und seine territoriale Integrität sind Tatsachen.«
Westerwelles Aussage trägt zum einen der normativen Kraft des Faktischen Rechnung – sprich den Ergebnissen des 1999 gegen Jugoslawien geführten Krieges. Zum anderen weiß der Minister neuerdings den Internationalen Gerichtshof (IGH) im niederländischen Den Haag an seiner Seite. Dieser hatte Ende Juli in einer »nicht-bindenden Entscheidung« verkündet, dass die »Unabhängigkeitserklärung« der serbischen Provinz Kosovo aus dem Jahr 2008 nicht gegen geltendes Völkerrecht verstoßen habe. Wie Westerwelle jubilierte auch Spiegel online und sprach von einer schweren »Niederlage für Serbien«.
Standhaft ignoriert wird dabei, dass die Entscheidung des IGH schon vor ihrer Verkündung heftig kritisiert wurde. So protestierten Richter aus Russland, der Slowakei, Marokko und Sierra Leone in Sondervoten gegen das Gutachten. Erstaunt stellten sie zunächst fest, dass das Gericht lediglich die Sezessionserklärung des Kosovo selbst als völkerrechtskonform eingestuft, über den tatsächlichen Vollzug der Abspaltung von Serbien jedoch keine Aussage getroffen hatte. Des Weiteren wurde insbesondere der durch die Entscheidung legitimierte Bruch der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats bemängelt. Diese garantiert ausdrücklich die »Souveränität und territoriale Integrität« der Bundesrepublik Jugoslawien, deren Rechtsnachfolger Serbien ist; ihr zufolge soll die Provinz Kosovo lediglich eine »substantielle Autonomie« genießen, die die weitgehende »Selbstverwaltung« möglich macht.

Eine ganz ähnliche Auffassung äußerte unlängst auch der Schweizer Jurist Urs Saxer, Professor für Völkerrecht und Internationale Beziehungen an der Universität Zürich. Wie Saxer in einem Kommentar für die Neue Zürcher Zeitung schrieb, ist der mit der Unabhängigkeitserklärung von kosovarischer Seite unternommene »Versuch einer einseitigen völkerrechtlichen Statusänderung … kaum mit den einschlägigen Sicherheitsratsbeschlüssen zu vereinbaren«. Anstatt sich jedoch mit dieser Frage auseinanderzusetzen, habe der IGH »völlig weltfremd« konstatiert, dass die Urheber der kosovarischen Unabhängigkeitserklärung – das Parlament in Pristina und der Präsident des Kosovo – nicht an die Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats gebunden seien. »Diese Argumentation« überzeuge Saxer zufolge »bei einer internationalen Statusfrage überhaupt nicht«. Schließlich ergebe sich ein »Mitspracheanspruch« des Sicherheitsrats schon allein »aus dessen wesentlicher Rolle als Teil des internationalen Konfliktmanagements«.
Der Jurist zeigt sich von der »überformalistischen Analyse« und der »inhaltlichen Enge« des Haager Richterspruchs »irritiert«, hält jedoch zugleich dessen »präjudiziellen Auswirkungen auf Selbstbestimmungskonflikte« in anderen Regionen der Welt für »gering«. In Ländern, die mit separatistischen Bewegungen zu kämpfen haben, sieht man das selbstverständlich nicht so. Weltweit weigern sich aus diesem Grund etwa 120 Staaten, die Unabhängigkeit des Kosovo völkerrechtlich anzuerkennen – unter ihnen auch fünf Mitglieder der Europäischen Union: Spanien verweist auf die sezessionistischen Ambitionen der Basken; die Slowakei und Rumänien befürchten Probleme mit ihren ungarischen Minderheiten. Griechenland sieht sich mit Unabhängigkeitsbestrebungen der türkischen Bevölkerungsgruppe in Westthrakien konfrontiert und muss zudem auf Zypern Rücksicht nehmen. Die zypriotische Regierung gab bereits unter Verweis auf die Teilung des Landes in einen griechischen Norden und einen türkischen Süden an, man werde das Kosovo selbst dann nicht anerkennen, wenn Serbien dies täte. In der Folge kann die EU nun keinerlei völkerrechtlich bindende Verträge mit dem Kosovo abschließen, da hierfür eine einstimmige Entscheidung ihrer Mitglieder notwendig wäre.
Entsprechend genervt gab sich Außenminister Westerwelle bei seinem Besuch in Pristina. Nach Gesprächen mit dem kosovarischen Präsidenten Fatmir Sedjiu und dem Ministerpräsidenten Hashim Thaçi appellierte er an die europäischen Anerkennungsverweigerer: »Ich bitte Sie: Schließen Sie sich der Mehrheit an, es ist eine klare Mehrheit!« Vor dem kosovarischen Parlament ließ er zudem wissen, dass er den Haager Richterspruch für eine Entscheidung »sui generis« halte: »Die Unabhängigkeit der Republik Kosovo bedeutet keine Änderung völkerrechtlicher Normen. Die Grundsätze der souveränen Gleichheit der Staaten und der Unverletzlichkeit von Grenzen werden durch diese Entscheidung nicht in Frage gestellt.«

Harte Worte fand Westerwelle für die serbische Regierung. Diese hatte gleich nach der Entscheidung des IGH erklärt, das Kosovo »niemals« anzuerkennen und den »diplomatischen Kampf« für dessen Verbleib bei Serbien weiterzuführen. Jüngster Ausdruck dieser Bemühungen ist der Versuch, eine entsprechende Resolution des UN-Sicherheitsrates herbeizuführen. Dass die Chancen hierfür gar nicht schlecht stehen, verärgert den deutschen Außenminister besonders. »Wer auf Konfrontation setzt, wer Statusfragen aufmachen will, obwohl gerade die internationalen Gerichte erklärt haben, dass dieses nicht notwendig, nicht angemessen und auch in keiner Weise juristisch zu rechtfertigen ist, der hat natürlich dann noch auch einiges an eigener Arbeit zu erledigen«, sagte er dem Deutschlandfunk. Zudem zeigte er sich »nicht erfreut darüber, dass jetzt in New York noch einmal versucht wird, dieses Buch zu öffnen«.
Westerwelles stärkstes Druckmittel dürfte darin bestehen, die von Serbien angestrebte Aufnahme in die EU nach Kräften zu behindern – was jedoch Nachteile für die deutsche Wirtschaft mit sich bringen könnte. So sagte Bernd Pfaffenbach, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und Vorsitzender des deutsch-serbischen Kooperationsrats, erst unlängst, dass die »EU-Perspektive für Serbien alternativlos« sei, »damit deutsche Investoren nach Serbien kommen oder ihr Engagement dort fortsetzen«. Für Ernst Bode, Manager des Industriegaseherstellers Messer und Vorsitzender der Deutschen Wirtschaftsvereinigung in Belgrad (DWB), ist Serbien gar »der beste Markt in der ganzen Region inklusive der Türkei«. Einer Studie der DWB zufolge erwarten 41 Prozent der in Serbien tätigen deutschen Firmen dieses Jahr eine Verbesserung ihrer Geschäfte, wobei die Hälfte der rund 250 dort aktiven deutschen Unternehmen ihre Umsätze selbst im Krisenjahr 2009 steigern konnten – dank niedriger Steuern und Löhne auf der einen und üppiger staatlicher Förderung auf der anderen Seite.