Über Gott im Comic

Mach dir ein Bild von Gott

Der Comic wendet sich der Schöpfungsgeschichte zu.

Der Volkszählungsfunktionär staunt nicht schlecht. Da kommt einer, der weder Identitätspapiere noch Herkunftsnachweis, noch Sozialversicherungsnummer oder Wohnsitz hat. »Man könnte meinen, Sie existieren gar nicht!« Zögerlich antwortet der Angesprochene: »Existieren? Äh, ja und nein. Es kommt darauf an, auf welcher Seite man steht.« Seinen Nachnamen gibt er dann mit »GOTT« an. Vorname: »Gott«. Mit dieser Szene beginnt Marc-Antoine Mathieu seinen Comic »Gott höchstselbst«.
Gott kommt zu den Menschen, und die Welt, die er vorfindet, ist sehr düster. Durchweg ist der Hintergrund der in Grautönen gezeichneten Bilder schwarz. Schwarz sind auch die markanten Gesichtsfalten sämtlicher Figuren.
Derer gibt es viele in dem als journalistische Reportage angelegten Comic: Anwalt, Image-Berater, Investor, Psychiater, Pressesprecherin, Soziologe usw. treten auf und erzählen von dem Hype um den Allwissenheit ausstrahlenden Neuankömmling. Der Trubel hat allerdings keine religiöse Bedeutung, zumindest nicht im herkömmlichen Sinn: Menschen mit Kreuzen oder apokalyptische Predigten kommen nicht vor. Gott wirkt vielmehr wie eine Berühmtheit des massenmedialen Zeitalters. Seine Person wird vermarktet, Gott-Bücher, -Comics und -Theaterstücke werden Riesenerfolge, ein Film wird geplant, ein Vergnügungspark entsteht.
Den sozialkritischen Aspekt seines Comic betonte auch Marc-Antoine Mathieu im Gespräch: »Es ist ein soziologisches Buch. Gott kommt nicht, um zu richten, sondern um sich umzuschauen.«
Und schnell verdient Gott mit der Marke »Gott« einen Haufen Geld. Das hat er auch nötig, denn bald wird er zum Sündenbock, der für das Unglück in der Welt verantwortlich gemacht wird. Unzählige Organisationen verklagen ihn auf Schadensersatz und Schmerzensgeld, der Richter lässt die Verlesung ihrer Namen abbrechen, weil es ihm zu lange dauert. 158 Verteidiger stehen im größten jemals erbauten Justizpalast 62 Staatsanwälten gegenüber. 1 853 Zeugen und 457 Kommissionen sollen helfen, über Gott ein Urteil zu fällen, der zum Sündenbock für alle Probleme auf dieser Welt erklärt wird.
Wie konnte es dazu kommen? Die Erzählung ist da nicht ganz stichhaltig. Ohnehin besteht sie aus oft nur lose zusammengefügten Episoden. »Gott hat kein Vertrauen mehr in die Menschheit, und umgekehrt«, fasst Marc-Antoine Mathieu die Geschichte zusammen. Die Figur Gott stehe bei ihm stellvertretend für viele andere Dinge, gleichsam für Ersatzreligionen, heute, wo es generell keine einfachen Gewissheiten mehr gebe. Gott ist im Comic eine Chiffre, und deshalb hat der Zeichner seine Hauptfigur auch immer nur schemenhaft gezeichnet, nie sieht man Gott direkt, nie erkennt man sein Gesicht. Auch vor Gericht sitzt er hinter Plexiglas, wodurch sein Konterfei verschwimmt. Allerdings wird Gott auf zahlreichen Titelseiten und Gemälden gezeigt, so dass man als Leser des Comic irgendwann weiß: Auch in dieser Geschichte ist er der alte bärtige Mann, wie er traditionellerweise imaginiert wird.
Mit der patriarchalen Gottesvorstellung beschäftigt sich Robert Crumb in seiner neuen Arbeit. Auf dem Cover seines Comic »Genesis« sieht man einen ernsten Alten mit wallendem Kopf- und Barthaar. Crumb hat sich auf seine alten Tage den ersten Teil der Bibel vorgenommen.
Der unbescheidene Titel seines Buches, »Robert Crumbs Genesis«, könnte den Eindruck erwecken, der Altmeister wolle sich selbst erhöhen und identifiziere sich mit dem bärtigen, patriarchalen Schöpfer auf dem Cover. Dazu würde passen, dass Crumb, der sich früher mal als sexsüchtig bekannt haben soll, allen Frauen seines Comic große Brüste verleiht.
Seine Sympathien für die Bibel bringt er in der zweiseitigen Einführung zum Ausdruck. Die beginnt mit dem Satz: »Ich, R. Crumb, Illustrator dieses Buches, versichere hiermit, dass ich den Originaltext der Bibel nach bestem Wissen und Gewissen wortgetreu und ungekürzt wiedergegeben habe.« Er habe »an einem solch bedeutenden Werk« nicht »unnötig herumpfuschen« wollen. Die Bibel sei »ein fulminantes Werk, dessen vielfältige Bedeutungsebenen tief in unserem kollektiven Bewusstsein – oder in der Kulturgeschichte des Menschen – verwurzelt sind«, und habe so eine »besondere Kraft«. Crumb äußert Verständnis dafür, dass die »gänzlich wortgetreue grafische Umsetzung« dieses verehrten Buches manche Menschen »schockieren« mag. Zeichenvorlagen fand er übrigens in »Hollywood-Monumentalfilmen«.
Entspringt diese Arbeit des 1943 geborenen Crumb, der nach Angaben des Verlags »mit seiner Familie zurückgezogen in einem kleinen Dorf in Frankreich« lebt, also einer Form von Altersreligiosität? Nein, sein Respekt hat Grenzen. Die Bibel sei eigentlich eine Sammlung »ehemaliger Überlieferungen des jüdischen Volkes«, die »von der jüdischen Priesterkaste« zusammengetragen und »zum Wort Gottes‹ hochstilisiert« worden seien, wobei »ältere Bedeutungsebenen von der zunehmend etablierten Priesterschaft systematisch verfälscht wurden«. In den Anmerkungen, die Crumb zu vielen Genesis-Kapiteln verfasst hat, wird seine Position klarer. Der Zeichner hat sich mit der historisch-kritischen Forschung zum Thema beschäftigt und kritisiert die Tilgung der matriarchalen Bezüge durch die Priester. Viele Bibelstellen ließen sich nur mit diesem Hintergrundwissen überhaupt verstehen.
Der Gott der Bibel muss also »in seiner ex­trem patriarchalischen Art« (Crumb) dargestellt werden – als solchen haben ihn die Verfasser nun mal gewollt. Das Alte Testament spiegelt für Crumb den Sieg des Patriarchats über das Matriarchat in Mesopotamien und Ägypten seit dem Jahr 2000 v.u.Z. wider, nachdem die beiden Strömungen dort lange Zeit neben- und miteinander existiert hatten.
Eine Abwandlung des traditionellen Bildes vom Christengott hat der Zeichner Flix geschaffen. In seiner »Faust«-Adaption hat der Weltenschöpfer zwar weiße Haare, trägt aber Schnauzer und Pferdeschwanz sowie einen Anzug, und über seinem Kopf schwebt ein einäugiges Dreieck. Er ist Abteilungsleiter in einem Großraumbüro, wo kleine Engel als Dienstboten umherfliegen und Mohammed und Buddha als »Kollegen« auftreten. Die Götter arbeiten vom Computer aus, wo sie jeweils eine Datei mit ihren Gläubigen haben und Welten kreieren, kommunizieren per Skype und beobachten die Erde durch ein Riesen-Teleskop. Ein Büro hat ebenfalls der lockere Meph(istopheles), der dem zerstreut und alles andere als souverän – geschweige denn perfekt – wirkenden Günter (wie Gott sich einmal selbst nennt) eine Wette aufschwatzt. Was folgt, ist eine Geschichte über Mephs Versuche, den Berliner Taxifahrer Heinrich Faust glücklich zu machen. Sie endet im Klischee der (auch im Wortsinn) hässlichen muslimischen Familie, die eine junge Frau zwangsverheiraten will.
Einen ganz anderen Gott präsentiert der Independent-Comic »Die Zeit und Gott« von Aike Arndt. Im Klappentext heißt es: »Aike Arndts Gott hat mit dem Charakter aus dem Buch ›Die Bibel‹ lediglich den Namen und einige schöpferische Fähigkeiten gemeinsam.« In diesem Comic hat Gott die Zeit aus rein pragmatischen Gründen erschaffen, vor allem aus Langeweile. Gott wohnt mit einem Gehörnten namens Luz zusammen und pflegt mit anderen Göttern ein pragmatisches Miteinander. Regelmäßig spielen sie Tischtennis, wer gewinnt, darf eine Woche lang »über Raum und Zeit herrschen«.
Mal liegt der tonnenförmige Gott im Bikini am Strand. Auf die Frage »Du bist eine Frau?« antwortet er: »Als Gott bin ich beides.« Ein anderes Mal zeigt der Comic, warum es »die ganzen Kriege« gibt: Weil Gott damit beschäftigt ist, Pflanzen wachsen zu lassen.

Marc-Antoine Mathieu: Gott höchstselbst. Aus dem Französischen von Kai Wilksen. Reprodukt, Berlin 2010, 128 Seiten, 20 Euro
Robert Crumb: Robert Crumbs Genesis. Carlsen, Hamburg 2009, 224 Seiten, 29,90 Euro
Flix: Faust. Der Tragödie erster Teil, Carlsen, Hamburg 2010, 96 Seiten, 14,90 Euro
Aike Arndt: Die Zeit und Gott. Zwerchfell, Hamburg 2010, 64 Seiten, 12 Euro