Die Labour Party wählt einen neuen Vorsitzenden

Old New Labour

Während die Brüder Ed und David Miliband um den Vorsitz der britischen Labour Party kämpfen, wird die Debatte über die Zukunft der Partei immer mehr von Figuren der Vergangenheit beeinflusst. In seinen Memoiren rechnet Tony Blair mit dem ehemaligen Premierminister Gordon Brown ab.

Zufall oder Kalkül? Für viele britische Kommentatoren war das keine Frage: Auf den Tag genau fiel am Mittwoch vergangener Woche die Aussendung der Stimmzettel für die Wahl des neuen Vorsitzenden der Labour Party mit der Veröffentlichung der Memoiren des ehemaligen Premierministers Tony Blair zusammen. Alastair Campbell erklärte zwar, es handele sich um reinen Zufall, der Verlag habe das Datum gewählt, doch niemand wollte ihm glauben. Als enger Vertrauter Tony Blairs hatte Campbell nach der Machtübernahme der Labour Party im Jahr 1997 den Begriff des »Spin« populär gemacht, jene Idee vom Primat der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit vor dem Inhalt in der Politik, die über Großbritannien hinaus untrennbar mit dem postideologischen, wirtschaftsliberalen Projekt von »New Labour« verbunden ist.

»A Journey« (eine Reise), so der Titel von Blairs Memoiren, erweist sich als Verkaufsschlager. Bereits am Tag der Veröffentlichung prophezeiten britische Buchhändler einen Bestseller und tatsächlich führt das Buch sämtliche Listen an. Blair reflektiert auf knapp 400 Seiten seine Zeit als britischer Premierminister und sinniert über die Jahre nach seinem erzwungenen Rücktritt 2007. Das Buch ist gespickt mit eher peinlichen Details aus seinem Privat- und Liebesleben, formuliert in einer, wie einige Kritiker schreiben, oft »liederlichen« Sprache. Doch es sind weniger die Anekdoten über Sex und Alkoholkonsum, die das Buch in den Augen vieler Briten so interessant machen. Die Leser interessieren sich vor allem für zwei Aspekte: Blairs Position zum Irakkrieg und sein Verhältnis zu Gordon Brown.
In der ersten Frage bietet das Buch wenig Neues. Wie bereits in den vergangenen Jahren erklärt Blair, dass die Bekämpfung von Saddam Husseins Regime die richtige Entscheidung gewesen und dass die Welt heute sicherer sei. Blair hatte mit dieser Entscheidung allerdings die Sympathien der britischen Linken verspielt und damit sein politisches Ende selbst heraufbeschworen. In »A Journey« schiebt er die Schuld für seinen Abschied sowie den seiner Partei von der Macht allerdings ausschließlich Gordon Brown zu, seinem Nachfolger.
In den Memoiren kommt zum ersten Mal deutlich zum Ausdruck, was längst als offenes Geheimnis galt. Blair und Brown, die 1997 gemeinsam die Labour Party an die Macht gebracht hatten, sind einander nur durch gegenseitige Verachtung verbunden. »Ich wusste, dass Gordon Brown als Premierminister ein Desaster sein würde«, schreibt Blair und attestiert dem Rivalen: »Politisches Kalkül, ja. Politisches Gefühl, nein. Analy­tische Intelligenz, absolut. Emotionale Intelligenz, null.« Brown hat auf die Veröffentlichung bisher nicht reagiert, schreibt allerdings derzeit seine eigenen Memoiren.

Der Machtkampf zwischen den beiden begann im Jahr 2005, als Blair entgegen früherer Absprachen keine Bereitschaft zeigte, Brown das Amt zu überlassen. Blair behauptet, dass es ihm hierbei um Inhalte ging. Brown habe nicht die New-Labour-Politik den »dritten Weges« weiterführen wollen und stattdessen zu sehr auf den Staat gesetzt. Deswegen, so Blairs Analyse, habe die Labour Party auch die Wahlen im Frühjahr 2010 verloren.
Mit solchen Aussagen mischt sich Blair auch direkt in die Debatte um die Wahl des neuen Vorsitzenden und die zukünftige politische Richtung der Labour Party ein. In seinen Memoiren lobt er nicht nur die Wirtschaftspolitik der neuen konservativ-liberalen Regierungskoalition. Er warnt die Labour Party davor, sich vom Kurs des »dritten Weges« abzuwenden. Er attestiert David Miliband, dem früheren Außenminister und Favoriten bei der Wahl, gute Führungsqualitäten und bekundet damit indirekt seine Präferenz. Auch Peter Mandelson, der einflussreichste Politiker der New-Labour-Ära nach Tony Blair und Gordon Brown, sprach sich für Miliband aus. Von Mandelson stammt auch ein berühmt gewordenes Zitat aus den neunziger Jahren, welches das Projekt von New Labour gut beschreibt: »Wir haben nichts dagegen, wenn Leute richtig dreckig reich werden.« Er fügte hinzu: »Wenn sie ihre Steuern zahlen.«
David Miliband gilt immer mehr als Repräsentant von New Labour und Erbe Blairs. In der Tat ist er bisher am wenigsten auf Distanz zu Blairs Politik gegangen. Die Unterstützung der alten Garde allerdings alles andere als hilfreich.

Viele Mitglieder wünschen sich einen Neuanfang und blicken auf Tony Blairs Amtszeit mit eher gemischten Gefühlen zurück. Dabei spielt nicht nur seine unpopuläre Irak-Politik eine wichtige Rolle, sondern auch die Nähe Blairs und seiner Vertrauten zu den wirtschaftlichen Eliten des Landes. Die Parteibasis will in Zeiten von radikalen Sparmaßnahmen auch nicht vergessen, dass Blair, Mandelson und andere ehemalige Kabinettsmitglieder nichts dagegen haben, ihren Sommerurlaub auf den Yachten von britischen Milliardären zu verbringen.
David Miliband tat in der letzten Woche alles, um sich von der unwillkommenen Unterstützung Blairs zu distanzieren. Er sagte, die Partei suche Einigkeit und habe genug von den Schlachten der Vergangenheit. Auch kritisierte er Blairs Lob der Wirtschaftspolitik Camerons. Dessen radikales Sparprogramm drohe das Land in eine neue Rezession zu führen.
Aussichtsreichster Konkurrent David Milibands ist sein jüngerer Bruder. Auch er kritisiert Blair und Mandelson. Allerdings beansprucht er, das Bedürfnis der Parteimitglieder nach einem Neuanfang besser als sein Bruder zu repräsentieren. Er will sich als linker Politiker profilieren und kritisiert offen den Irakkrieg sowie die Steuerpolitik der Blairs und Browns, die den Reichen zu wenig abverlangt hätten. Außerdem fordert Ed Miliband ein stärkeres Engagement der Partei in der Umweltpolitik.
Glaubt man den Umfragen, haben die anderen drei Kandidaten kaum Chancen auf einen Sieg. Ed Balls, der ehemalige Erziehungsminister, gilt als Erbe Gordon Browns. Er war sein enger Vertrauter in der letzten Regierung und konzentriert sich in seinem Wahlkampf auf die Erfolge der Regierung Brown. Andy Burnham stilisiert sich zum Vertreter der Arbeiterklasse, während Diane Abbott um den linken Rand der Labour Party wirbt.
Obwohl David Miliband als Favorit gilt, könnte ihm sein Bruder den Sieg noch streitig machen, insbesondere wegen des Wahlverfahrens. Neben einer ersten Präferenz können alle Wahlberechtigten Parteimitglieder und Abgeordnete sowie die Mitglieder assoziierter Gewerkschaften auch eine zweite Präferenz aussprechen. Ed Miliband hofft hier auf die Unterstützer der anderen drei Kandidaten, die einer möglichen Wiederbelebung von New Labour ebenfalls kritisch gegenüberstehen.
Die Brüder kämpfen, wie sie sagen, »brüderlich«. Beide haben angekündigt, im Kabinett des anderen mitwirken zu wollen. Am 25. September wird das Ergebnis der Wahlen verkündet.