Schwaben gucken

Hässlich isses ja, das Ding, und aus ästhetischen Gründen hätte man es eigentlich schon vor vielen Jahren abreißen müssen. Aber nun ist der Stuttgarter Hauptbahnhof auf einmal zum Symbol bürgerlichen Ungehorsams geworden, und die Zeiten sind definitiv nicht so, dass man es sich leisten könnte, irgendein, noch dazu kostenloses, Unterhaltungsangebot nicht wahrzunehmen. Mit anderen Worten: Wer unter http://webcam.schrem.eu/ den Schwaben nicht beim Demonstrieren gegen den Abriss des Nordflügels zuguckt, ist selber schuld. Denn auch wenn der Protest von echten Amateuren vorgetragen und gefilmt wird – zu Beginn der Abbrucharbeiten schaltete man die Livecam zwischendurch mit der Begründung, die Leute sollten demonstrieren kommen, statt zu glotzen, für ein paar Stündchen ab und konnte erst durch stichhaltige Argumente wie »Hey, Ihr verfickten Loser, Cam an, aber schnell, hier gucken auch Leute von auswärts zu« von der Wiederinbetriebnahme überzeugt werden –, erlebt man echt revolutionäre Szenen. Nicht verpassen sollte man es, wenn der gemeine Stuttgarter seine Küchengeräte zum Lärmmachen am Bahnhof ausführt, was täglich um 19 Uhr für zwei sehr lange Minuten der Fall ist.
Ganz besonders unterhaltsam wird es übrigens zwischen fünf und sechs Uhr morgens, wenn sich die Stuttgarter Gesetzes- und Baustellenhüter auf den neuen Tag vorbereiten. Mit etwas Glück kann man sie dann dabei beobachten, wie sie ihre Autos in Position bringen – im Fach Rückwärtsfahren haben die Stuttgarter Polizisten nämlich erkennbar in der Fahrschule nicht besonders gut aufgepasst, so dass es immer ganz besonders spannend wird, wenn, umwabert von ersten herbstlichen Frühnebelansätzen, ein tapferer schwäbischer Beamter seinen Schaltknüppel in den R-Modus versetzt und stark schlingernd aus dem Sichtbereich der Livecam heraustrudelt.