Über die Entdeckung des Arbeitslosen-Gens

Sie sind prädestiniert!

Wie einst die Entdeckung des Arbeitslosen-Gens dem Staat Ausgaben in Milliardenhöhe ersparte.

Noch vor gar nicht allzu langer Zeit dachte man, Arbeitslosigkeit sei ein »soziales Risiko«, also etwas, das potentiell jeden treffen könne und das daher nach gesellschaftlicher Absicherung verlange. Wenn Arbeitslosigkeit auch mich treffen kann, so dachten die Menschen, dann ist es gar nicht unpraktisch, jeden Einzelnen für den Fall abzusichern, dass er unschuldigerweise seiner Verwert- und Nutzbarkeit verlustig geht. Daher stammt die heute irrwitzig erscheinende Idee, dass der Staat Arbeitslosen selbst für ihr nutzloses Dahinsiechen vor Flachbildfernsehern Beiträge in ihre Rentenkasse einzahlen solle. Freilich nicht viel, aber immerhin so viel, dass sich der monatliche Rentenanspruch des Arbeitslosen pro Jahr um 2,09 Euro erhöhte. Wer also früher das Glück hatte, 100 Jahre arbeitslos zu sein, der kam auf eine monatliche Rente von immerhin 209 Euro.
Natürlich kritisieren viele, die vom Staat bezahlten Rentenbeiträge für Arbeitslose seien ohnehin nur von symbolischem Wert, da kaum einer der Betroffenen 100 Jahre arbeitslos sei. Aber immerhin, die Beiträge galten als Symbol dafür, dass auch der, den das Schicksal der Arbeitslosigkeit ereilte, als potentiell dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehende Reservearbeitskraft ein Anrecht auf eine wohlverdiente Rente habe, damit er nicht nur auf Almosen angewiesen sei.
Doch die Zeiten haben sich geändert, denn im Zuge der Entdeckung des Juden- und des Basken-Gens durch den Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin wurde auch das Arbeitslosen-Gen entschlüsselt. So begriff man schließlich, dass es derlei Symbolpolitik wie etwa Rentenzuschüsse für Hartz-IV-Empfänger gar nicht bedarf, sondern dass vielmehr jede noch so kleine Anerkennung für Arbeitslose nur zu deren Vermehrung beiträgt. Also strich man den Empfängern von Leistungen der Leistungsträger den Rentenbeitrag und ersparte damit den Steuerzahlern in den Jahren 2011 bis 2014 7,2 Milliarden Euro. Auch strich man das Elterngeld für Arbeitslose, um deren unermessliche Gebärfreude und damit endlich auch die Arbeitslosigkeit selbst wirksam zu bekämpfen. Das ersparte dem Staat im genannten Zeitraum 1,6 Milliarden Euro. Die sogenannten Pflichtleistungen, mit denen der Staat einst Arbeitslosen rechtmäßig garantierte, durch mehr oder weniger geeignete Maßnahmen ihre Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt voranzutreiben, wurden durch »Ermessensleistungen« ersetzt. Denn wenn der Arbeitsvermittler ahnt, dass sein unglückseliges Gegenüber das Arbeitslosen-Gen in sich trägt, was sollen da schon Bewerbungskurse ausrichten? Die Umwandlung von Pflicht- in Ermessensleistungen seitens der staatlichen Arbeitslosenbetreuung sparte im selben Zeitraum immerhin 16 Milliarden Euro ein und entlasteten damit die Leistungsträger.
Aber nehmen wir einmal an, auch Sie gehörten zu den Trägern des Arbeitslosen-Gens und kämen vielleicht auf die Idee, zu fragen: »Was kann ich für meine Gene? Was kann ich dafür, dass ich antriebsschwach und nicht eben schlank bin und eine Vorliebe für Jogginganzüge habe, wenn all dies in meinen Genen steckt?« Ja, mit dieser Frage haben Sie nicht ganz unrecht. Aber Sie sollten sie auch einmal anders formulieren. Richtig gestellt heißt die Frage nämlich: »Was kann die Gesellschaft für Ihre Gene?« »Was kann der Staat für Ihr Arbeitslosen-Gen?« Oder: »Was können die Leistungsträger dafür, dass Ihre unverantwort­lichen Eltern Sie überhaupt in die Welt gesetzt haben?« Nichts. Ihre genetische Disposition ist Ihr individuelles Problem.
Aber solch eine Disposition darf auch nicht als Entschuldigung für Integrationsverweigerung, für die Bildung parasitärer Parallelgesellschaften und nichtsnutziges Herumgammeln verstanden werden. So einfach ist der Fall nicht. Denn mit dem Arbeistlosen-Gen verhält es sich ähnlich, wie es Johannes Calvin schon vor rund 450 Jahren in Hinblick auf die göttliche Prädestination lehrte: Allein Ihr beruflicher Erfolg gibt Auskunft darüber, wie es um Ihr Schicksal steht. Ob man wirklich Träger des Arbeitslosen-Gens und demnach zu ewiger Nutzlosigkeit prädestiniert ist, findet man erst heraus, wenn man sich unablässig anstrengt, seinen Körper strafft, Fremdsprachen paukt, zum Coaching geht. Sie müssen daher alles geben. Und wenn Sie dann noch immer nicht die geringste Fähigkeit entwickeln konnten, die sich ökonomisch verwerten läßt, dann kann das nochimmer zwei Gründe haben: Entweder Sie sind tatsächlich Träger des Arbeitslosen-Gens, oder Sie haben sich einfach noch immer nicht genug angestrengt. In beiden Fällen gilt: Was können da Wirtschaft, Staat und Gesellschaft dafür?