Ein Beichtstuhl für das Bewerbungsgespräch

Ab in den Beichtstuhl!

Die Gegner der anonymisierten Bewerbungsverfahren polemisieren, wenn Bewerbungsunterlagen anonym eingereicht würden, müsste das Vorstellungsgespräch konsequenterweise in einer Art »Beichtstuhl« geführt werden. So absurd ist diese Idee allerdings nicht, wie ein Beispiel aus den USA demonstriert.

Das Lieblingsargument der Gegner von anonymisierten Bewerbungsverfahren ist das Vorstellungsgespräch. Was bringe es, so argumentieren viele Unternehmer, wenn man sich beim Sichten der Bewerbungsunterlagen erst mühselig das Diskriminieren unmöglich mache, aber dann im Vorstellungsgespräch seine Ressentiments gegen Alte, Behinderte, Schwule, Migranten und Frauen ohnehin voll ausleben dürfe? Um ihr Argument zu unterstreichen, greifen jene, die den üblicherweise Benachteiligten keinen noch so kleinen Vorteil gönnen, gern zu der Behauptung, das Bewerbungsgespräch könne sich dann ja gleich »in einer Art Beichtstuhl« abspielen.
Das ist wirklich keine schlechte Idee. Wenn Personalchefs Bewerbern schon zu Beichten über Kinderwünsche, Drogenkonsum und politische wie religiöse Bekenntnisse nötigen, sollte sich dies zumindest nicht von Angesicht zu Angesicht zutragen. Und das ein Sichtschutz zwischen Bewerbern und Personalentscheidern Diskriminierung verhindert und zu objektiveren Enscheidungen beiträgt, ist durch eine Studie der amerikanischen Wissenschaftlerinnen Claudia Goldin und Cecilia Rouse aus dem Jahr 2000 so gut wie bewiesen.
Die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, so schreiben die beiden Autorinnen, sei zwar in vielen Bereichen Gang und Gäbe, sie wissenschaftlich nachzuweisen, sei dagegen schwer. Gouldin und Rouse haben sich daraufhin ein Berufsfeld gesucht, in dem der Nachweis leicht zu erbringen war, und in dem seit einem gewissen Zeitpunkt eine Sichtblende eine Rolle spielte. In Laufe der siebziger und achtziger Jahre gingen die großen amerikanischen Symphonieorchester der USA nämlich dazu über, Orchesterkandidaten hinter einem Vorhang vorspielen zu lassen, damit sich die Jury nicht auf deren körperliche Merkmale, sondern allein auf die Qualität ihrer musikalischen Darbietung konzentriere.
Goldin und Rouse untersuchten, ob die Einführung des »blinden« Vorspielens etwas an der Zusammensetzung der Orchester änderte. Bis Anfang der achtziger Jahre hatten die fünf großen Symphonieorchester der USA einen Frauenanteil von rund zwölf Prozent, was von prominenten Dirigenten immer wieder gern damit begründet worden war, dass Frauen nunmal unmusikalischer seien als Männer. Nach der Einführung des anonymisierten Vorspielens, so zeigen die Autorinnen, erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Frau in der ersten Runde des Auswahlverfahrens qualifizieren konnte, um 50 Prozent. Der Frauenanteil in den Orchestern wuchs, beim New York Philharmonic Orchestra liegt er heute bei fast 50 Prozent.
Doch wie würden deutsche Unternehmen klagen, müssten sie anonyme Bewerber künftig durch einen Vorhang oder gar im Internetchat ohne Kamera befragen? Die armen deutschen Unternehmen jammern schon jetzt über die Zumutung, sie müssten »die Katze im Sack« kaufen, die sie dann wegen arbeitsrechtlicher Zumutungen nicht wieder los würden. Und dann sollen Sie bei der Personalauswahl gar auf ihre »Menschenkenntnis« verzichten? Also machen sie es lieber wie die Wiener Symphoniker, bei denen Frauen erst seit 1997 mitspielen dürfen und die heute gerade mal einen Musikerinnen-Anteil von 2,43 Prozent im Orchester sitzen haben: Sie nehmen wie eh und je lieber den Idioten im Frack als die Katze im Sack.